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„Ohne Einsicht schlechte Karten“

■ Die IGMetall versucht 80 aufmüpfige Gewerkschafter von Opel-Bochum in einem Mammutverfahren zu disziplinieren / Bisher ein Ausschluß, knapp 30 Rügen und langjährige Funktionssperren verlangt

Von Walter Jakobs

Bochum (taz) - „Offenheit, Toleranz, Diskussionsfreudigkeit und Dialogfähigkeit nach innen und außen“ - das, so schwärmte Franz Steinkühler auf dem ersten Zukunftskongreß der IGMetall, müßten die Attribute künftiger Gewerkschaftspolitik sein. Nur so könne die IGMetall neue Attraktivität gewinnen und Zugang zu höher qualifzierten Beschäftigten aus dem wissenschaftlich-technischen Bereich finden. Eine offene, diskussionsfreudige IGMetall? 80 Bochumer Opel-Werker und IG-Metall-Mitglieder hören die Botschaft wohl, allein es fehlt der Glaube. Denn ausgerechnet der enge Gefolgsmann des IGM-Vorsitzenden Steinkühler, der soeben aus Altersgründen aus dem IG-Metall -Vorstand ausgeschiedene Karl-Heinz Janzen, zeigt den Bochumer „IGM-Rebellen“ in diesen Tagen, wo der Hammer hängt.

Janzen ist Vorsitzender einer Untersuchungskommission, die nach einem wahren Verhörmarathon inzwischen gegen etwa 30 Gewerkschafter Disziplinarmaßnahmen wegen „gewerkschaftsschädigenden Verhaltens“ empfohlen hat. Von der Rüge über vierjährige Funktionsverbote bis hin zum Gewerkschaftsausschluß reichen die bisher vorgeschlagenen Maßregelungen.

Die Fronten im innergewerkschaftlichen Streit bei Opel sind verhärtet wie nie. In der Substanz geht es um den Kampf zweier Linien gewerkschaftlicher Betriebspolitik. Während die Mehrheit des Betriebsrates um den Vorsitzenden Rolf Breuer und dessen Stellvertreter Günter Perschke eine brave sozialpartnerschaftliche Politik betreibt, fordern die „Rebellen“ mehr Konfliktbereitschaft beim Clinch mit der Geschäftsleitung. Sie werfen der Betriebsratsspitze vor, schon beim ersten Räuspern der Opel-Bosse regelmäßig einzuknicken. Ganz gleich ob es in der Vergangenheit um die Gemeinkostenwertanalyse durch McKinsey, um die Ausweitung der Nachtarbeit oder um Neuordnungen der Urlaubszeit ging, immer waren es die „Rebellen“, die - zumeist erfolglos - auf die Umsetzung von Gewerkschaftsbeschlüssen pochten. Manchmal halfen sogar die Gerichte. Eine von der Betriebsratsmehrheit abgesegnete Betriebsvereinbarung, die Urlaubskürzungen in der Energieabteilung vorsah, mußte zurückgenommen werden, weil selbst das Bochumer Arbeitsgericht darin einen Verstoß gegen den Manteltarifvertrag sah. Kein Wunder, daß der ewige Streit auch zu persönlichen Verletzungen führte und im Betriebsrat über die Jahre hinweg eine giftige, teilweise haßerfüllte Atmosphäre entstand.

Eigene Kandidatenliste der „Rebellen“

Jedenfalls sahen sich die Oppositionellen IG-Metaller, angeführt von dem Sozialdemokraten Hans Reppel und dem ehemaligen DKP-Mitglied Peter Jaszczyk, im Vorfeld der diesjährigen Betriebsratswahl nicht mehr in der Lage, mit Breuer und Perschke gemeinsam auf einer IG-Metall-Liste zu kandidieren. Dazu Peter Jaszczyk: „Ich mache mich doch im Betrieb völlig unglaubwürdig, wenn ich mich mit denen auf eine Liste begebe, nachdem ich drei Jahre deren Politik öffentlich bekämpft habe. Irgendwann ist Schluß.“ Doch das Ansinnen der aufmüpfigen Metaller, beim IG-Metall-Vorstand eine Zustimmung zur Aufstellung zweier IGM-Listen zu erlangen, schlug fehl. Auch der Hinweis auf das Rüsselsheimer Opel-Werk, wo der jetzige Betriebsratsvorsitzende Richard Heller 1975 ebenfalls als „Rebell“ mit Billigung des Vorstands auf einer zweiten Liste antrat, fruchtete nicht. Jede andere als die IGM-Liste werde als „gegnerische Liste“ behandelt, hieß es. Wer darauf kandidiere, so die Botschaft aus Frankfurt, müsse mit satzungsgemäßen Konsequenzen bis hin zum Ausschluß rechnen. Dennoch traten 67 Gewerkschafter, darunter mehrere Betriebsräte, auf der Liste „Metaller bei Opel“ zur Betriebsratswahl an.

Auf Anhieb erreichten sie 14 der 34 Betriebsratsposten im Arbeiterbereich. Zusammen mit vier weiteren linken Kollegen, die über zwei andere Listen in den Betriebsrat gelangten, reichte es bei den Arbeitern sogar für eine Mehrheit. Allein die fünf Angestelltenvertreter sicherten der alten Betriebsratsspitze die Macht. Für die IGMetall, die sich im Wahllampf voll auf die Seite des Betriebsratsvorsitzenden Breuer schlug, kam das Wahlergebnis einer schallenden Ohrfeige gleich. Zwar wird in der Bochumer IG-Metall -Ortsverwaltung der jetzige Betriebsratschef Breuer hinter vorgehaltener Hand als absolute Fehlbesetzung, ja als „ein Bourgeois“ tituliert, aber öffentlich mag das niemand sagen.

So werden jetzt die Untersuchungsverfahren gemäß Paragraph 11 der IGM-Satzung durchgezogen. Als schärfstes Sanktionsmittel droht einigen der Oppositionellen der Gewerkschaftsausschluß. Eine groteske Entwicklung, denn zum selben Zeitpunkt finden andernorts viele der ehemals ausgegrenzten aufmüpfigen Metaller in den Schoß der Organisation zurück. So die Mitglieder der bundesweit bekannten Plakat-Gruppe bei Daimler-Benz, die sich aus ganz ähnlichen Motiven einst zur eigenen Listenaufstellung entschlossen und aus der IGMetall flogen. Für Willy Hoss, Gründer der Plakat-Gruppe und inzwischen Bundestagsabgeordneter der Grünen, deutet der Bochumer Konflikt, der längst den örtlichen Rahmen gesprengt hat, darauf hin, „daß die IGMetall aus der Geschichte nichts gelernt hat“.

Im Betrieb gelten Gewerkschaftsbeschlüsse nichts mehr

Am Dienstag dieser Woche forderte die Janzen-Kommission den ersten Gewerkschaftsausschluß. Betriebsrat Rainer Einenkel, ehemals Mitglied der DKP, gilt Janzen als „Rädelsführer“ der „Rebellen“. Daß die Janzen-Kommission nicht für alle Kandidaten den Ausschluß fordert, ist nicht einer sanften Linie, sondern allein der Rechtslage geschuldet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof reicht allein die Kandidatur auf einer nicht von der IGMetall beschlossenen Liste für einen Ausschluß nicht aus. Hermann Günkel, Vorsitzender des IGM-Kontrollausschusses, hat das auf dem letzten Gewerkschaftstag unumwunden eingeräumt und sogleich Auswege aufgezeigt. Günkel wörtlich: „Der bloße Wettbewerb um Stimmen bei der Betriebsratswahl wird vom Bundesgerichtshof nicht als Ausschlußgrund gewertet, vielmehr muß dazu eine darüber hinausgehende gewerkschaftsfeindliche Aktivität vorliegen“. Diese Rechtsprechung könne die IGM zwar „so nicht akzeptieren“, aber ungeachtet dessen habe der Vorstand bekräftigt, „daß die Rechtsprehung für uns Anlaß sein muß, die konkreten gewerkschaftsschädigenden Aspekte einer nicht gebilligten Kandidatur beweiskräftig im Untersuchungsverfahren darzustellen.“

Entsprechend dieser Devise wird in Bochum vorgegangen. In bis zu zwölfstündigen Vernehmungen versucht Janzen die Verfasser von Flugblättern, von Broschüren, ja selbst von nicht genehmen Karikaturen dingfest zu machen. Dieser Eifer bei absoluten Nebensächlichkeiten steht im deutlichen Gegensatz zu dem Schnelldurchgang, den Janzen immer dann einlegt, wenn es um die politische Substanz, wenn es um gewerkschaftliche Grundsätze geht. Dem Einwand der Oppositionellen, mit ihrem Kampf gegen die Ausweitung der Nachtschicht hätten sie nur gewerkschaftlichen Grundsätzen entsprochen - der letzte Gewerkschaftstag hatte sich auf Antrag der Bochumer Verwaltungsstelle vehement gegen die Nachtschichtausweitung gewandt -, begegnet Janzen so: „Ja aber Kollege! Was wir auf dem Gewerkschaftstag beschließen ist doch Vision. Hier im Betrieb sieht das doch ganz anders aus. Das ist doch kein Grund für eine eigene Liste.“ Und der Kampf gegen die Gemeinkostenwertanalyse? Immerhin hatte der jetzige Steinkühler-Stellvertreter Klaus Zwickel als Stuttgarter Ortsbevollmächtigter 1986 noch eine Broschüre herausgegeben, in der davon die Rede ist, daß es Aufgabe aller Gewerkschafter, ja aller Arbeitnehmer sei, in diesem Fall bei Daimler Benz, die Gemeinkostenwertanalyse (GWA) „kompromißlos“ abzulehnen.

Nichts anderes haben die „Metaller bei Opel“ getan, die diese Broschüre nachdruckten, während die Betriebsratsmehrheit der GWA, die dazu dient auch die letzten Rationalisierungsreserven durch Verdichtung der Arbeit herauszufiltern, unterstützte. Auch in diesem Fall treffen die Beschuldigten bei Janzen auf keinerlei Nachsicht. Im Gegenteil! Das Ex-Vorstandsmitglied der größten Einzelgewerkschaft der Welt gibt den verdutzten Opelarbeitern eine Einschätzung mit auf den Weg, die ihnen regelmäßig die Sprache verschlägt: O-Ton Janzen: „Ich bin selber Refa-Mann. In vielen Betrieben in der Bundesrepublik, aber besonders in der DDR, hätte man schon viel früher die Gemeinkostenwertanalyse durchführen müssen.“

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