: „Es geht darum, links zu bleiben“
■ Interview mit Michael Stamm, einer der Hamburger Initiatoren des Wahlbündnisses Linke Liste/PDS / Stamm gehörte zu den führenden linken Theoretikern in der Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL)
INTERVIEW
taz: Du bist heute aus der Hamburger GAL ausgetreten, um der PDS zu folgen. Warum?
Michael Stamm: Ich folge nicht der PDS, sondern ich trete für ein Bündnis von Linken mit der PDS ein. Diese Linken sollen nach meinem Verständnis auch ihre Selbständigkeit gegenüber der PDS ausdrücken, z.B. in der AKW-Frage. Daß ich aus den Grünen rausgehe, hängt schlicht und einfach damit zusammen, daß ich deren Umgang mit der PDS für eine Katastrophe halte. Gerade die vielen radikalen Linken, die bei den Grünen in wichtigen Stellungen sind, die positionell teilweise viel schlimmere Sachen vertreten und nicht bewältigt haben als die PDS-Vorgängerin SED, werfen jetzt der PDS vor, sie habe ihre Geschichte nicht bewältigt. Damit verweigern sie der PDS die Möglichkeit einer Korrektur hin zu einer linken antikapitalistischen Position.
Bisher waren diejenigen in der DDR die Bündnispartner der Grünen, die von der SED in den Knast gesteckt oder ausgewiesen wurden. Diese Gruppierungen wollen auf keinen Fall mit der PDS zusammengehen. Du wechselst den Bündnispartner, nicht die Grünen.
Ich darf vielleicht daran erinnern, daß ich vor zehn Jahren zu den Mitbegründern des bundesweiten Bahro-Komitees gehört und in bezug auf den realen Sozialismus immer eine knallharte Kritik vertreten habe. Zu Zeiten im übrigen, als Wolfgang Templin noch Mitglied der SED war. Meine politischen Partner ergeben sich aus Übereinstimmungen, die in einer konkreten historischen Situation existieren. Meine Kritik am SED-Staat hat sich weitgehend mit der Position der Bürgerbewegungen, die schließlich zum Sturz des SED-Staat maßgeblich beigetragen haben, gedeckt. Jetzt existiert aber eine neue Lage. Ich will nun darum kämpfen, daß Menschen, die die drastische Korrektur des realsozialistischen Modells schrittweise zu vollziehen bereit sind, dies in einer Weise tun können, in der nicht die Anerkennung des Kapitalismus als der Geschichte letzter Schluß dabei herauskommt. Letztlich geht es darum, sich als Linke darzustellen, links zu bleiben. Leute vom Neuen Forum haben gesagt, wir sind weder links noch rechts, sondern unten. Das stimmt einfach nicht. Man kann sich nicht aus dem politischen Koordinatensystem herausdefinieren. Ich möchte mit Menschen politisch zusammenarbeiten, die die vage Idee einer Gesellschaft jenseits der Dominanz der Verwertung von Kapital noch auf dem Zettel haben, ohne heute sagen zu können, wie die aussehen könnte.
...eine solche Vision siehst du eher bei der PDS?
Ich sehe so etwas bei der PDS. Bei den Basisgruppen und bei den Grünen sehe ich Tendenzen, Fehlorientierungen aufzugeben. Dabei wünschte ich mir, daß zögernde Formen der Kooperation entstünden, die mich aus der Entscheidungssituation herausführen könnten. Aber die Entscheidungssituation ist derzeit gegeben, und deshalb hab‘ ich mich so entschieden.
Ist es nicht schlicht so, daß ihr die PDS als Transportkarren benutzen wollt, um ins Parlament zu kommen? Ellen Weber, Vorstandsfrau der DKP, hat klargemacht, daß die DKP auf diesen Karren aufspringen will.
Mir selbst ist es extrem unsympathisch, wenn Leute, die die Honecker-Ära hindurch immer Gewehr bei Fuß standen, auch heute Gewehr bei Fuß stehen. Das schließt nicht aus, daß es nicht auch bei DKP-Mitgliedern gründlichere, nicht nur taktisch bedingte Veränderungsprozesse gibt. Unter dieser Voraussetzung bin ich gegen Ausgrenzung. Die Unterstellung, wir wollten die PDS nur als Karren benutzen, läßt sich leicht widerlegen. Wir haben gesagt, daß wir nicht in der BRD antreten, wenn in zwei Wahlgebieten gewählt wird. In diesem Fall hätten wir die PDS in der DDR unterstützt. Kommt es aber zu einem einheitlichen Wahlgebiet, führt das Motiv, die PDS im Parlament haben zu wollen, dazu, daß man dann hier von der Kandidatur auch Gebrauch machen muß.
Wird in den nächsten Wochen ein Aufruf an die Linken in den Grünen ergehen, zur „Linken Liste“ überzulaufen, und hieltest du einen solchen Aufruf für richtig?
Ich habe meinen Freunden in den Grünen von meiner Entscheidung, die ich für ziemlich riskant halte, vorher nichts gesagt. Wenn sich dieses Wahlbündnis positiv entwickelt, also weg vom bloßen Addieren einiger Sektiererklamotten, dann ist mir jeder Mitstreiter willkommen, und dann wird auch um die gekämpft.
Wer bei euch mitmacht, wird die Grünen verlassen müssen.
Das sehe ich auch so. Die Logik der Parteien gebietet das, und deshalb bin ich ja auch aus der GAL ausgetreten.
Die Initiatoren wollen ein Bündnis von Einzelpersonen. Vertreter aller möglichen linken Gruppen haben dagegen ein Organisationsbündnis verlangt.
Der Kreis, der das angeleiert hat, macht kein Organisationsbündnis. Dazu stehen wir nicht zur Verfügung. Es kann folglich auch nur um die Erweiterung des Personenkreises gehen. Wir werden eine Wahlpartei gründen, um den Anforderungen des Wahlgesetzes zu genügen.
Wer gründet die? Wie sind die Gründer legitimiert?
Die Legitimation ergibt sich aus dem, was wir bisher gemacht haben, also aus der Tat.
Wer stellt die Kandidaten auf?
Die Mitglieder der Wahlpartei.
Du selbst gehst nach Ost-Berlin und arbeitest beim Parteivorstand der PDS. Als Koordinator?
Ich soll oder will zur Koordination der Wahlvorbereitung und zur Überwindung der Abstimmungsprobleme zwischen den Beteiligten einen Beitrag leisten. Das schließt aus, daß ich persönlicher Berater von Gysi werde, wie das in der taz gestanden hat. Ich hab‘ mir von meiner Arbeitsstelle ein halbes Jahr Urlaub genommen.
Interview: Bornhöft/Jakobs
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