: Neuer Sandkasten für Avus-Ritter
■ Wenn's in der City stinkt, geht's ins Umland: Motorradstrecke in Lübbenau eröffnet / Runden auch ohne Führerschein / Kids rasen auf 2,7-PS-Maschinen durch den Sand / Bislang noch keine Lärmschutzmessungen
Lübbenau. Früher konnten Westberliner Motorradfans ihre Lust aufs Beschleunigungstrauma nur auf westdeutschen Rennstrecken oder in West-Berlin mit der Polizei im Rücken ausleben. Jetzt öffnet sich das Berliner Umland bereitwillig für den Krach und Dreck verbreitenden Sport. Am Wochenende wurde eine Sandbahn und eine Speedwaybahn in Lübbenau, rund 90 Kilometer südlich von Berlin, für Freaks und interessierte Zuschauer geöffnet. Dort hofft der örtliche Motorradverein auf finanzkräftige Maschinenbegeisterte aus dem „ehemaligen Käfig“. Nur so kann er - seit Anfang Juli ohne staatliche Subventionen - überleben.
Bereits 1970 wurde die 750 Meter lange Sandbahn errichtet. Ein Fußballfeld würde in das Oval noch hineinpassen, erklärt der Westberliner Unternehmensberater Manfred Günther, der das Management für den „Motorsportclub Jugend Lübbenau“ (70 Mitglieder) übernommen hat. Bis 1967 war hier das Betriebsgelände des Braunkohletagebaus Cottbus untergebracht.
Fünf- bis sechsmal pro Jahr fanden auf dem Gelände internationale Rennen statt. Die Teilnehmer kamen meist aus Osteuropa, wo der Sandbahnsport verbreiteter ist als in Westeuropa. Am 1. Mai - traditioneller Renntag - waren fast 10.000 Besucher dort.
Die Resonanz am Wochenende war dagegen mit rund 100 Besuchern mäßig. Motorradfreaks rasen auf speziellen Maschinen über die Sandbahn. Mit über 100 Kilometer pro Stunde wirbeln sie Staub und Dreck auf die Tribüne. Jedes Gespräch wird durch den Krach unterbrochen. Gemessen wurde der Lärm nie, Schallschutz gibt es auch nicht. Der nächste Ort, so der Vereinsvorsitzende Udo Scheibe, liege „ohnehin über 1.000 Meter entfernt“. Beschwert habe sich noch niemand.
15 DM für 15 Minuten muß jeder berappen, der nicht Vereinsmitglied ist. Dafür bekommt er eine Spezialmaschine gestellt. Während der 15 Minuten muß zweimal getankt werden: Der Fünf-Liter-Methanol-Tank ist schnell leer.
Offiziell darf nur fahren, wer einen Führerschein für die 500-ccm-Maschinen hat - doch damit nahm man es zumindest letztes Wochenende auf dem „Privatgelände“ nicht so genau. „Echt super, einfach unbeschreiblich“, meint Rainer Koschella, ein 21jähriger Glaser aus West-Berlin. Er fuhr zum ersten mal ein Motorrad. Im Westen brauche man immer einen Führerschein, eine Versicherung und „das ganze Reglement“, erzählt sein 25jähriger Freund.
Daß die Sicherheitsvorkehrungen schlecht sind, will Scheibe nicht auf sich sitzen lassen: „Wir haben international anerkannte Sicherheitssysteme.“ Ansonsten hat der örtliche Rettungsdienst einen Krankenwagen und ein Ärzteteam zur Verfügung gestellt.
Der Unternehmensberater hat für das mehrere Hektar große Gelände viele Ideen. Hier gibt es neben den Rennstrecken auch größere Waldflächen und einen See. Noch liegt es idyllisch im Spreewald, und nur alle zwei Monate fielen Motorradrennen ein. Zukünftig sollen jedes Wochenende Rennen im Spreewald starten. Zudem sollen hier Hotelanlagen, Tennisplätze und Ferienbungalows entstehen. Gestreßte Berliner, die die Abgase in der Innenstadt nicht mehr aushalten, können hier dann das Umland verpesten.
Damit auch bei den Kleinsten schon das Interesse an den PS geweckt wird, bot am Wochenende ein Familienunternehmen für Kinder ab drei Jahre ein eigenes Motorradfahren an - eine Neuheit in der DDR. Die Rennveranstalter legen großen Wert auf Nachwuchsarbeit und stellten die Fläche zu Verfügung. Die drei Zwergmotorräder (2,7 PS) haben Rosi und Jürgen Hanuschke in Westdeutschland für 6.000 DM bei einem führenden Motorradhersteller gekauft. Auch wenn das Markenzeichen überall zu sehen ist: Sponsoring gab's keines, erklärt Rosi Hanuschke - „aber unser Händler hat uns eine der Mützen geschenkt“.
Mit 30 Stundenkilometern knattern die Kleinen für 2,50 DM über die Wiese und üben das monotone Rundenrennen wie die Älteren. Hier hält sich Staub und Lärm noch in Grenzen. Bei den Kleinen gibt es im Gegnsatz zu den Älteren auch weibliche FahrerInnen: „Das ist endlich mal ein Erlebnis“, so die 12jährige Mandy. „Jungs finden das gut“, meinte der 8jährige Christian resolut. „Mädchen aber auch“, muß Mandy da leicht gereizt ergänzen. „Wir sind überrascht, wie gut es bei Eltern und Kindern ankommt“, erzählt Rosi Hanuschke stolz, „die Vatis fiebern häufig mehr als die Kinder.“
Rochus Görgen
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