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Fähig zum (symbolischen) Spagat

■ betr.: "Die Linke - als historische Erscheinung?" von Alexander Wendt, taz vom 24.7.90

betr.: „Die Linke - als historische Erscheinung?“ von Alexander Wendt, taz vom 24.7.90

Da wir uns - Linke in Ost und West - in der Situation gegenseitiger freundlicher Belehrung denken können, möchte ich Korrekturen anmelden.

Wer die alte Hegelsche Figur der „expressiven Totalität“ (alle gesellschaftlichen Formen werden bloß als Ausdruck einer allen gemeinsam zugrunde liegenden Verdinglichungsstruktur analysiert) so vehement bekämpft wie Alexander Wendt dies tut, darf dieselbe Figur nicht zur eigenen Analyse verwenden. Die Aneinanderreihung einiger (als links betitelter) Symptome ergibt noch kein Bild (der DDR-Dramatiker ist nicht ernsthaft „vergleichbar“ mit der Marxistischen Gruppe).

Eine theoretische Dimension des Problems der Linken ist doch: Es gibt wesentliche Fortschritte in der Weiterentwicklung eines Marxismus. Sie haben unter anderem in Frankreich (Seve, Althusser, Poulantzas und andere), England (Stuart Hall, P. Willis und andere), Bundesrepublik (vergleiche W. F. Haug, K. Holzkamp und andere) stattgefunden. Die gesellschaftlichen Bereiche, in die theoretisches Licht geworfen wurde, waren bei Marx selbst nur Skizzen: unter anderem Staats- und Politiktheorie, Persönlichkeitsentwicklung. Und herausstreichen möchte ich die internationale feministischen Arbeiten im Marxismus, die verbunden sind mit Namen wie: R. Rossanda, S. Rowbotham, D. Smith, D. Harraway, C. Buci-Glucksman, S. Harding, M. Barret und den Frauen in der Zeitschrift 'Das Argument‘.

Die politische Dimension: Jene TheoretikerInnen, die der jeweiligen KP ihres Landes angehörten, wurden exkommuniziert, oder es wurde „von oben“ weggehört. Die theoretischen Erkenntnisse konnten nicht in Politik übersetzt werden und die Linken in der BRD, die Politik machen, sind zwar häufig intellektuell im akademischen Sinn, sehr selten aber im Sinne eines „organischen Intellektuellen“ wie er Gramsci vorschwebte. Sie sind - mal frei übersetzt, keine RahmenbauerInnen, die es vielen ermöglichen, theoretisch und politisch in ihre Verhältnisse einzugreifen. Häufig reduzieren sich die Statements von linken Politikern auf „richtige“ Sätze, die die ZuhörerInnen passivieren.

Bei Wendt sind die Begriffe - und das war typisch für die DDR-Wissenschaften - Philosophie, Ideologie, Theorie fast synonym verwendbar. Warum sollte die Linke so philosophiefreundlich sein? Wer die Architektur der Philosophie zur Kenntnis nimmt, muß bezweifeln, daß in ihr herrschaftsfrei gedacht werden kann oder über Herrschaftsfreiheit nachgedacht wird. Zum Beispiel sind alle strategischen „Plätze“ männlich besetzt: Subjekt, Freiheit etc.

Die Linke ist auch keine Ideologie, wie Wendt behauptet. Aber „die“ Linke gibt es ja auch gar nicht. Nach der StudentInnenbewegung - die unter anderem erkämpfte, daß die Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus überhaupt zur Kenntnis genommen werden können - zerstreuten sie sich. Unterschiedliche theoretische und politische Begreifensweisen dieser kapitalistischen Gesellschaft schufen eine Pluralität, die noch nicht in ihren produktiven Elementen fruchtbar gemacht werden konnte. Wendt spricht über Theoriebildung und blickt bloß auf gemachte Politik. In der BRD muß jede/r, die/der theoretisch und politisch eingreifen will (und die Frauenbewegung unternimmt dies besonders sichtbar) fähig zum (symbolischen) Spagat sein. Der Spagat sollte also Gegenstand sein, nicht das eine Bein, das nicht genügend über die Beschaffenheit des anderen Auskunft gibt.

Und zum Schluß: Welcher „Neuansatz“ (der offenbar nicht „links“ heißen kann/darf/soll?) formiert sich - und wo? Da es „das Alte“ nicht gab, kann es auch nicht durch „das Neue“ negiert oder „aufgehoben“ werden. Dies ist wieder so eine wenig nützliche logische Figur; diesmal kommt sie aus der kritischen Theorie: die abstrakte Negation. Es gibt kein Richtiges im Falschen. Eine Politik Ende der sechziger Jahre - der Versuch, sich zu verweigern - ist gescheitert. Daraus wären theoretische und politische Lehren zu ziehen.

Kornelia Hauser, Bielefeld (BRD

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