: Privilegien
■ "Wider die Rhetorik vom Kulturabbau in der DDR" von Rolf Schneider, taz vom 18.7.90
betr.: „Wider die Rhetorik vom Kulturabbau in der DDR“ von Rolf Schneider, taz vom 18.7.90
Ihr kürzlich in der taz erschienener Artikel, in dem Sie zum Ausdruck bringen, daß viele der um den Bestand einiger spezifischer DDR-Werte bangenden Kulturschaffenden in Wahrheit nur um den Fortfall ihrer Privilegien und um das Ende ihres „parasitären Daseins“ fürchten, hat mich als eines der Mitglieder des Schriftstellerverbandes der DDR, also einer Betroffenen, zutiefst empört. (...)
Ich habe gehört, daß Sie als Dramaturg am Mainzer Theater tätig waren, nach wie vor aber Ihren festen Wohnsitz in unserem Teil Berlins behalten haben, so daß Sie also, um in Mainz am Theater zu arbeiten, trotz der Mauer ungehindert hin und her fahren durften, oft sogar, wie man mir sagte, mit Ihren Angehörigen, die an einer Premiere in Mainz teilnehmen wollten. Waren das keine Privilegien, Herr Schneider? Bei anderen, die bis 1961 ihren subventionierten Wohnsitz und ihre billigen Brötchen im Ostteil Berlins, also in der DDR, genossen, ihre Arbeitskraft dagegen dem Westen zur Verfügung stellten, nannte man das Grenzgänger. Ich neide Ihnen nicht Ihren Lebensstil, der es Ihnen erlaubte, Ihre erarbeitete Westwährung lediglich für Luxusgüter zu verwenden, aber ich meine, es steht Leuten wie Ihnen schlecht zu Gesicht, wenn sie über angebliche Privilegien von Kollegen schreiben, die all die Jahre hindurch ihre Bücher für DDR-Leser schrieben und sie auch nur in der DDR veröffentlicht haben.
Sie werfen uns vor in Ihrem Artikel, daß wir zu wenig protestiert hätten. Angeblich seien wir blind gewesen gegenüber dem Verfall unserer Städte, stumm gegenüber der Verschwendung von Mitteln für Jubelaufmärsche, die lediglich der Repräsentation gedient hätten. Waren wir wirklich so blind und stumm? Es tut mir leid, Kollege Schneider, daß Sie offenbar keine Gelegenheit hatten oder wahrnehmen wollten, an unseren Verbandsversammlungen teilzunehmen, in denen über die Mängel in unserem Staat hitzig und mit größter Offenheit diskutiert worden ist. Andere Kollegen, die nicht so redegewandt sind, schrieben sich mit Eingaben an alle möglichen Ämter und Regierungsstellen die Finger wund. Nur das alles nützte leider nicht viel, nein, es nützte überhaupt nichts. Darum stimme ich einem Passus in Ihrem Artikel ohne Einschränkung zu, in dem es heißt, daß nicht die Künstler mit ihren Büchern, Bildern oder Liedern den 4. November 1989 ermöglicht haben. Kunstwerke, Herr Schneider, schaffen keine Revolution. Aber haben sie diese nicht doch vielleicht mit vorbereitet? (...)
Und wie ist es mit den Privilegien der Schriftsteller, von denen in letzter Zeit so oft und nicht nur von Ihnen die Rede war? Sie schreiben, daß unsere Einkünfte über dem Durchscnitt lagen. War das wirklich so? Ich kann nur sagen, daß es mir in 40 Jahren, in denen ich mehr als 20 Bücher veröffentlicht habe, nicht gelungen ist, Reichtümer anzuhäufen. Denn Nachauflagen auch begehrter Bücher wurden nicht gedruckt, weil der Bedarf danach vorhanden war, sondern es galten vorwiegend Kriterien der Kulturpolitik. So mußte man praktisch um jede Neuauflage erbittert kämpfen. Die Auflagen unserer Bücher waren zwar höher, als in der Bundesrepbulik üblich, aber da unsere Bücher sehr billig waren, blieben auch die Einkünfte des Autors, der ja nach Tantiemen bezahlt wird, bescheiden. Stipendien, die der Verband vergeben konnte, galten meist nur für ein halbes Jahr in einer Höhe von maximal 800 Mark im Monat. Sie waren jeweils an feste Vorhaben gebunden, die noch dazu der Befürwortung eines Verlages bedurften.
Aber gibt es Stipendien nicht auch in vielen anderen Ländern? (...) Auch in der Bundesrepublik werden Stipendien und Preise vergeben, und in vielen Städten gibt es Einrichtungen eines Stadtschreibers. Überdies werden Autorenlesungen weitaus besser bezahlt als in der DDR, wo das Honorar maximal 200 Mark beträgt - beziehungsweise betrug, denn neuerdings ist auch für Lesungen kein Geld mehr vorhanden, vorausgesetzt, daß überhaupt ein Interesse an ihnen besteht.
Nun aber zu dem größten Privileg der Schriftsteller, den Auslandsreisen. Ich fürchte, ich muß Ihnen auch hierin widersprechen, Herr Schneider, denn reisen konnte nur, wer über D-Mark verfügte. Der Staat zahlte auch bei Berufsreisen, denn nur solche durften wir ja antreten, nach zermürbenden Bittgängen zu allen möglichen Institutionen, die unsere gesellschaftliche Intaktheit beurkunden mußten, keinen Pfennig Valuta. Man mußte also großzügig Verwandte bemühen oder auf ein etwa vorhandenes Erbe zurückgreifen und die Reise aus eigener Tasche bezahlen. (...)
Doch jetzt widerrufe ich alles, was ich Ihnen bis jetzt geschrieben habe, Herr Schneider, und ich bekenne: Jawohl, wir Schriftsteller in der DDR waren privilegiert, aber in einem anderen Sinne, als Sie es meinen. Wir waren privilegiert, in dem lesefreudigsten Land zu leben, daß ich kenne; unter Menschen, die uns zu Freunden wurden, und unter denen das geschriebene Wort etwas galt. Ist es vermessen zu hoffen, daß nicht alles davon in der auf uns zukommenden Marktwirtschaft verlorengeht?
Elfriede Brüning, Berlin 1020
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