: Wehende Haare, kesse Lippe
■ Manfred Burgsmüller nahm Abschied
PRESS-SCHLAG
In der Nationalmannschaft könnte er heute schon aus technischen Gründen nicht spielen: Mit Sicherheit würde er sich kategorisch weigern, das Trikot in die Hose zu stopfen, wie es die FIFA neuerdings fordert. Doch auch in den Zeiten, als flatternde Trikots noch geduldet waren, brachte es Manfred Burgsmüller, einer der besten Bundesligaspieler aller Zeiten, nur auf mickrige drei Länderspieleinsätze. Als Freund des offenen Wortes war er den diversen Bundestrainern kein sonderlich angenehmer Untergebener.
Dabei wirkte Burgsmüller mit wehendem Blondhaar und kessen Sprüchen auf der Lippe zwar wie der typische Bürgerschreck der 70er Jahre - aufmüpfig, unbequem, rebellisch - was er aber dann in Gesprächen von sich gab, war meist eher harmlos. Er pflegte jedoch stets zu sagen, was er dachte, und das reichte damals wie heute. „Als DFB kann ich doch von erwachsenen Menschen nicht verlangen, daß sie sich an den Tisch setzen, die Pfoten artig drauflegen, Mahlzeit sagen und ansonsten die Klappe halten“, grantelte er, eine Auffassung, mit der er auch im aktuellen Weltmeisterkader des Teamchefs gewirkt hätte wie ein Hecht im Goldfischteich.
Im September 1969 betrat Manfred Burgsmüller im Trikot von Rot-Weiß Essen zum erstenmal Bundesligarasen, für einen Spieler mit seiner Persönlichkeit dauerte es jedoch erstaunlich lange, bis er Fuß fassen konnte. Sporadische Einsätze als Auswechselspieler in der Saison 1969/70, gerade mal zwei Kurzauftritte im nächsten Jahr, als die Essener abstiegen, dann drei Lehrjahre eine Klasse tiefer. Der Durchbruch kam erst am 24.August 1974. Rot-Weiß Essen schnupperte inzwischen wieder Erstligaluft, Burgsmüller, von einem Abstecher nach Uerdingen zurückgekehrt, bestritt am ersten Spieltag der Saison 1974/75 seine erste vollständige Bundesligabegegnung und schoß beim 1. FC Köln auch gleich das Siegtor zum 1:0.
17 weitere Treffer folgten in jener Saison, 213 Mal traf er insgesamt während seiner 21jährigen Bundesligalaufbahn. Damit liegt er an vierter Stelle der ewigen Torjägerliste hinter Gerd Müller (365), Klaus Fischer (268), Jupp Heynckes (220). Wo immer Burgsmüller auftauchte, lag ein Tor in der Luft. Jedes Mittel war ihm recht und nicht einmal beim Abschlag oder wenn sie den Ball in der Hand hatten, waren die Torhüter vor ihm sicher. Unvergessen die Szene, als er Kaiserslauterns Keeper Ehrmann den Ball mit der Hand aus den Fingern schlug, ihn mit dem Fuß ins Tor stupste und diesen Treffer vom Schiedsrichter auch noch anerkannt bekam.
Ente Lippens, mit dem er in Essen und später in Dortmund eines der unterhaltsamsten Duos der deutsche Fußballgeschichte seit Szepan und Kuzorra bildete, sagte ihm das „beste Auge der Bundesliga“ nach, Erich Ribbeck nannte ihn einen Typen „für Kavaliersdelikte“, weniger fein drückte sich Rivale Klaus Fischer aus: „Der spielt immer unfair.“ Burgsmüller selbst sah die Sache denkbar einfach: „Tor ist, wenn der Schiedsrichter pfeift.“
Seinen größten Fan fand der listige Westfale in Otto Rehhagel. Während er Jupp Derwall schon mit 28 „zu alt“ für dessen Neuaufbau der Nationalmannschaft war, holte ihn Rehhagel mit fast 36 aus der Versenkung der zweiten Liga zu Werder Bremen und schwärmte: „Ein Riesenspieler, ein Instinktfußballer...“ Rehhagels Mut wurde reich belohnt. Fünf Jahre lang war Burgsmüller eine wertvolle Stütze der Bremer, erlebte die größte Zeit seiner Karriere und fast hätte er sogar noch das letzte Pokalfinale gegen den 1. FC Kaiserslautern herumgerissen.
Zu einem wahren Triumphzug geriet sein Abschiedsspiel am Montag in Dortmund, bei dem eine Altstarauswahl der Dortmunder mit 4:10 gegen das aktuelle Team verlor und Burgsmüller noch einmal zwei Tore schoß. Schön und gut, aber wir wollen nicht hoffen, daß damit nun wirklich Schluß ist. Ein paar Jährchen könnte Manni wahrhaftig noch dranhängen. Wie wäre es zum Beispiel auf der Insel Reunion, gemeinsam mit Roger Milla.
Matti
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