piwik no script img

Armenien trotzt Gorbatschow

■ Der Oberste Sowjet der Kaukasusrepublik setzt das Dekret über die Waffenabgabe der Milizen außer Kraft / Ukrainische Soldaten wollen nicht für Ordnung in den Unruheprovinzen sorgen

Moskau (dpa/ap) - Die sowjetische Kaukasusrepublik Armenien hat sich offen einem Erlaß von Staatspräsident Michail Gorbatschow widersetzt, der die Auflösung und Entwaffnung illegaler bewaffneter Verbände fordert. Die Anordnung widerspreche „dem natürlichen Recht des armenischen Volkes auf Selbstverteidigung“, befand der Oberste Sowjet in Eriwan am Montag abend. Derartige Einmischung von außen sei unzulässig. Wie ein Sprecher der armenischen Nachrichtenagentur 'armenpress‘ berichtete, habe das armenische Parlament einen nationalen Verteidigungsrat gebildet, dem alle in Armenien aktiven „Freiwilligenverbände“ unterstellt sind. Die Beschlüsse sollen ausdrücklich auch für das vorwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet Berg-Karabach gelten, das verwaltungsmäßig zur Sowjetrepublik Aserbaidschan gehört. Nach Angaben des 'armenpress'-Sprechers haben die Freiwilligenverbände in Armenien rund 40.000 Mann unter Waffen; in der Armeezeitung 'Krasnaja Swesda‘ wird ihre Zahl auf 10.000 geschätzt.

Die 'Prawda‘ berichtete, daß weiterhin Munitionsdepots von Milizen überfallen würden. Am Sonntag hatten armenische Nationalisten aus einer Fabrik in der nordarmenischen Stadt Kirowakan Waffen und Munition erbeutet. Am Samstag sei in der Nähe des südrussischen Stawropol unter einem Heuhaufen ein Waffenarsenal und 56.000 Patronen entdeckt worden.

Der sowjetische Innenminister Vadim Bakatin hatte am Freitag gesagt, Moskau sei entschlossen, das Dekret Gorbatschows notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Am 25.Juli hatte Gorbatschow den bewaffneten Milizen eine zweiwöchige Frist zur Abgabe ihrer Waffen gegeben.

Unterstützung finden die Armenier in ihrem Aufbegehren gegen Gorbatschow in der Ukraine. Der Oberste Sowjet der zweitgrößten Sowjetrepublik hat eine Resolution angenommen, die den Moskauer Zentralbehörden den Einsatz von ukrainischen Rekruten zur Wiederherstellung der Ordnung bei interethnischen Konflikten untersagt. Nach Angaben der sowjetischen Nachrichtenagentur 'interfax‘ hat das ukrainische Parlament eine entsprechende Botschaft an den Obersten Sowjet in Moskau und an Präsident Gorbatschow gerichtet, in der der Rückgriff auf ukrainische Wehrdienstleistende bei Militäroperationen in Unruhegebieten als „unzulässig“ erklärt wird . Damit sind insbesondere die Gebiete im Kaukasus und Zentralasien genmeint. Nach Angaben von 'interfax‘ haben die ukrainischen Abgeordneten auch Botschaften an die Parlamente von Armenien, Aserbaidschan, Kirgisien und Usbekistan gerichtet, in denen sie sie auffordern, ihre Republiken selbst vor gewaltsamen Nationalitätenkonflikten zu schützen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen