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„Ent-rüstet euch!“ Der Ernstfall ist da

■ Außenpolitik auf Zeit - wo westdeutsche Politiker kein Aktionsfeld mehr sehen wollen, agiert ein Westberliner Friedensforscher in der DDR als Realpolitiker: Ulrich Albrecht sieht im Abschluß eines Stationierungs- und Abzugsvertrages zwischen der DDR und der Sowjetunion einen Dienst für das künftige Deutschland.

Waffenlager DDR

Seit die Vereinbarungen im Vorkaukasus das komplizierte Geflecht „äußere Aspekte der deutschen Einheit“ über Nacht aufgelöst haben, bleibt der DDR-Außenpolitik nur noch wenig zu tun. Das Außenministerium der DDR, dem dank seiner Bemühungen um Vermittlung zwischen den sowjetischen und westdeutschen Positionen internationales Prestige zugewachsen war, bietet heute eine Innenansicht der Machtlosigkeit.

Hier versieht Professor Ulrich Albrecht, Friedensforscher an der Westberliner FU und seit Mai dieses Jahres Leiter des Planungsstabes beim Ministerium unverdrossen seinen Dienst. Zu einem Zeitpunkt, wo westdeutsche Präpotenz alles überdröhnt, könnte es nicht schaden, denen zuzuhören, für die das deutsch-sowjetische Verhältnis stets im Zentrum stand.

Prof. Albrecht sieht im Abschluß eines „Stationierungs- und Abzugsvertrages“ mit der Sowjetunion noch eine Materie, für deren Erledigung die Regierung de Maiziere kraft Sachkenntnis und psychologischem Einfühlungsvermögen besonders prädestiniert ist. Auch der Bundesregierung wäre damit genützt, schrecken doch die Bonner Behörden vor den verzwickten Details einer solchen Regelung - von den Transportproblemen bis zur Frage der Rüstungskonversion zurück.

Ein Aspekt dieses Verhandlungspakets betrifft die wechselseitigen Lieferverträge von Rüstungsgütern zwischen der DDR und der Sowjetunion. Die Nationale Volksarmee (NVA) war nicht nur im Rahmen des Warschauer Vertrages der Sowjetarmee und speziell deren in der DDR stationierten Westgruppe organisatorisch unterstellt. Auch Ausbildung und Ausrüstung stammten von den „Freunden“. Die höheren militärischen Kader, Absolventen der DDR-Militärakademien, erhielten in der Sowjetunion den „letzten Schliff“, was ihrer Übernahme in die Bundeswehr jetzt unverständlicherweise entgegensteht.

Hinsichtlich der Rüstungsgüter bestanden langfristige Verträge, die Jahr um Jahr den Stückzahlen nach aktualisiert wurden.

Da die DDR „Vorposten des Sozialismus“ im Westen war, ihr mithin die Rolle der ersten strategischen Staffel der Warschauer Verbände zugewiesen wurde, lagern auf ihrem Territorium Unmassen von Waffen aller Art. Naiv war unser aller Glaube, es würde leicht und billig werden, Schwerter in Pflugscharen umzuschmieden.

Mit der Sowjetunion über Stationierung und Abzug zu verhandeln, wird kein leichtes Brot sein. Zwischen den zivilen und militärischen Behörden der Sowjetunion in der DDR gibt es keine direkte Kommunikation. Sie läuft nur über Moskau. Bislang wurde die Regierung der DDR über sowjetische Truppenbewegungen nur via Reichsbahn informiert. Noch auf der letzten Tagung des Warschauer Vertrages wurde der Verteidigungsminister der DDR zum Rapport bestellt. Aber die letzten Lebensmonate der DDR geben noch genügend Zeit zum Lernen und zu einem Vertrag, der überdauern kann.

Christian Semler

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