: Wie finden Sie eigentlich Lafontaine?
■ Vom Querdenker zur Kassandra - sind Bremer SozialdemokratInnen noch glücklich mit ihrem Kandidaten?
Der große helle Stern des SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine scheint im Sinken begriffen zu sein. In einer Umfrage unter Führungskräften zu Spitzenpolitikern von Ende Juli rangiert der SPD-Hoffnungsträger im demoskopischen Tief: Im Vergleich Kohl - Lafontaine werden dem Kanzler nicht nur mehr Führungskraft (80 Prozent zu 8 bei Lafontaine), sondern auch ökonomisch mehr Sachkenntnis (58 zu 21) zugetraut. Wie stehen Bremer SPD -SpitzenpolitikerInnen inzwischen zu ihrem Kandidaten? Das Lafontainsche Wahlprogramm, „Fortschritt 90“, hatte der Bremer SPD-Parteivorstand seinerzeit als das beste überhaupt gelobt. In den politischen Debatten der letzten Wochen und Monate aber stand der Kandidat bei Medien und GenossInnen immer wieder im Regen. Die Serie seiner vergeblichen Vorschläge, seiner diktatorischen, scheinbar ultimativen und vorsorglich, aber folgenlos mit Rücktrittsdrohungen versehenen Aufforderungen an die Partei ist lang: Lafontaine lehnte einst den Wahltermin im Dezember 90 strikt ab und kandidiert nun. Die schnelle Einführung der D-Mark, in der DDR sehnlich erwartet, sei, so war es noch Sonntag im Hessischen Rundfunk zu hören, „ein schwerer Fehler“. An die DDR-SPD erging am
Donnerstag letzter Woche die folgenlose Aufforderung zum Koalitionsbruch. Seit zwei Tagen verteilt Lafontaine in seinem Saarland unter Polizeischutz statt Sozialhilfe Naturalien an asylsuchende Roma und Sinti und macht so der CDU Hoffnung, endlich doch das Grundrecht auf Asyl einschränken zu können.
Die taz fragte einige Bremer PolitikerInnen: Wie finden Sie Lafontaine? UNTEN beschneiden
hier den Mann mit
Händen am Kinn
Henning Scherf
Das Absacken des Kandidaten in der öffentlichen Wertschätzung macht Henning Scherf, Bremer Bildungssenator und zweiter Bürgermeister, keine Sorgen: „Es ist sogar ein unnormaler Vorgang, wenn der Herausforderer vor dem amtierenden Kanzler liegt! Und das ist in der jüngsten Spiegel
Unfrage wieder der Fall. Alles andere wäre Normalisierung.“ Ähnlich furchtlos Finanzsenator Claus Grobecker: „Von den guten Umfrage-Ergebnissen des Bismarck II (gemeint ist Kohl, d. Red.) laß ich mich gar nicht beeindrucken.“
Die Lafontainsche Eiertanz-Idee, über die Währungs-Union in Bundestag und Bundesrat getrennt abzustimmen und so mit einem klaren Jein, ohne am Ergebnis etwas zu ändern, ein bißchen Oppositions-Gesicht zu wahren, war ein politischer Mißgriff. Das sprechen auch die BremerInnen relativ offen aus: Scherf findet das „rückwirkend betrachtet vielleicht nicht besonders klug„; Bürgermeister Wedemeier hatte schon damals an die Adresse des Genossen Kandidat gesagt: „Man kann sich nicht gegen die Geschichte stellen.“
hier die blonde Frau
Vera Rüdiger
Der Gedanke, das Asylrecht einzuschränken (vgl. taz S.7) alarmiert heftig - trotz aller Solidarität mit dem einzig verfügbaren Hoffnungsträger. Volker Kröning, Senator für Justiz und Verfassung: „Man muß nicht alles mitmachen, wie früher den Austritt aus der Nato oder heute die Einschränkung des Asylrechts.“ Ganz klare Postion dazu auch von Vera Rüdiger, Politologin, Bremer Senatorin für Gesundheit und Bundesangelegenheiten: „Für mich ist eine Änderung des Grundrechts auf Asyl indiskutabel. Ich werde nie vergessen, daß ich aus einer politisch verfolgten Familie stammme. Da bin ich wirklich kompromißlos.“
Lafontaine hat vom Abbau der Pershing-Raketen gesprochen, als das in der SPD kaum jemand hören wollte. Er hat mit radikaler Gewerkschaftskritik politische Debatten initiiert. Sein „Fortschritt 90„-Programm mit dem ökologischen Umbau der Industriegesellschaft besetzte grüne Themen für die SPD.
Inzwischen aber scheint der produktive Querdenker nicht mehr wiederzuerkennen zu sein. Während der Kanzler so unbesorgt wie dampfmaschinenartig Politik macht und Rita Süssmuth auf Kompromißformeln in der 218-Frage kam, verlegte sich der SPD -Kandidat aufs Nachrechnen und Warnen: Die Einigung werde
viel zu teuer, die Menschen müßtens bezahlen, man werde schon noch sehen, wohin das führe. Sind Bremer SozialdemokratInnen glücklich mit einem Kanzlerkandidaten, der den Amtsinhaber Konzepte machen läßt und darauf setzt, ausgerechnet vom Kassandrarufen zu profitieren?
hier den mann mit Brille
Volker Kröning
Die Hoffnung darauf, daß es irgendwann, bald, richtig losgeht mit eigenen politischen Alternativen ist nötig und vielleicht deshalb groß. Kröning hofft: „Seine Strategie wird sich in den kommenden Monaten zeigen.“ Grobecker stört sich zwar an Lafontaines Kommandoton „wie so ein Napoleon“, glaubt aber: „Das war zwar sein Fehler, das Wahlergebnis in der DDR zu ignorieren und auch, daß die Leute uns hier überschwemmt hätten. Aber: er hat richtig gelegen in der politischen Wertung.“
Mann it Pfeife
Claus Grobecker
Seine Hoffnung: „Der Oskar wartet ab, ob er recht behält. Dann wird er auftreten und sagen: Wir müssen das und das machen.“ Scherf erinnert: „Populistisch war Lafontaine nie. Er ist ein sozial engagierter Politiker.“ Immerhin habe der Kandidat die Nachbesserung des 1. Staatsvertrags durchgesetzt uns sei in der Partei Themen-Vorreiter gewesen. Scherf räumt ein: „Insgesamt muß man sagen, daß ihm der große Gegenentwurf nicht gelungen ist. Bedingt aus der wahnsinnigen Entwicklung - und aus seinem Handicap. Es ging einfach zu schnell.“
Auch Vera Rüdiger gibt sich sicher: „Je deutlicher die Schwierigkeiten in den nächsten Monaten werden, desto mehr wird er mit konkreten Vorschlägen kommen. Da unterschätze ich ihn nun weiß Gott nicht.“ Susanne Paa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen