Ist Dr. Mabuse Feind der Polikliniken?

■ In Treptow steht die Poliklinik „Maxim Zetkin“ im ungewissen / Die Gehälter werden vorerst von der Sozialversicherung bezahlt, doch für Investitionen ist kein müder Groschen da / Direktorin Wiegand verteidigt ehrgeiziges Finanzierungsmodell

Treptow. Von Ärzten in freier Niederlassung hält sie gar nichts, die resolute 60jährige, die auf ihre physiotherapeutische Behandlung wartet: „Wer weiß, was die mit uns rumtheatern werden.“ Zustimmendes Gemurmel im Warteraum der Treptower Poliklinik „Maxim Zetkin“. Der Arzt würde, so befürchtet sie, ihr allerlei Therapien aufschwatzen, um die notwendigen Taler einstreichen zu können. „Ich habe meine Hausärzte hier in der Poliklinik, und so soll es bleiben.“ So allerdings wird es nicht bleiben.

Die Klischees über das neue und das alte Gesundheitssystem schwanken momentan zwischen zwei Extremen: Da ist zum einen der privat praktizierende Arzt als geldgieriger Dr. Mabuse; zum anderen die DDR-Polikliniken und -Ambulatorien als unwirtschaftliche und unpersönliche Patientenabfertigungshallen.

Keine Zerstreuung in

freie Niederlassungen

Dr. Irmela Wiegand, Direktorin der Betriebspoliklinik „Maxim Zetkin“ in Adlershof, hält gar nichts davon, daß sich ihre 200 Kollegen - dar unter 38 Humanmediziner und Zahn ärzte - in einzelne Niederlassungen zerstreuen sollen. 16 medizinische Fachbereiche von der Allgemeinmedizin, Chirurgie, Stomatologie bis zur Röntgen- und Laborabteilung, befinden sich unter einem Dach. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Arbeitsmedizin und -hygiene. 16.000 Mitarbeiter von der benachbarten Deutschen Funk- und Fernsehanstalt (DFF), den Instituten der Akademie der Wissenschaften und kleinerer Handwerksunternehmen werden betreut - ein Service für die Arbeitskräfte. Unentbehrlich ist die Poliklinik jedoch für die EinwohnerInnen des Stadtbezirks Treptow. 40 bis 80 Prozent aller medizinischen Leistungen der Poliklinik werden von den Treptowern genutzt.

Dr. Wiegand nennt die Vorteile dieser medizinischen Gemeinschaft. Der Patient erspare sich lange Wege, weil Prävention, Diagnostik und Therapie verschiedener Fachgebiete an einem Ort sind. Die Ärzte können im Zweifelsfall unkompliziert die KollegIn konsultieren. Doppeluntersuchungen werden vermieden. Bei ambulanten chirurgischen Eingriffen kann für die nötige Voruntersuchung die Patientenkarte des Allgemeinmediziners herangezogen werden. Warum soll man dieses System aufgeben und die freien Niederlassungen erzwingen, fragen sich viele ÄrztInnen. Doch aus Angst, am Ende leer auszugehen, haben nahezu alle 347 Ärzte in Treptow „vorsorglich“ eine Niederlassung beantragt. Letztlich wollen nur rund 50, die jüngeren, das unternehmerische Risiko und den Existenzdruck auf sich nehmen.

Durch neues Finanzierungsmodell Existenzdruck nehmen

„Warum“, fragt Dr. Irmela Wiegand, „soll es nicht möglich sein, daß Ärzte in freier Niederlassung und in Polikliniken gemeinsam die Bürger ambulant betreuen? Warum können nicht die Leistungen beider von den Krankenkassen honoriert werden?“

Mit freundlicher Bestimmtheit verteidigt die Direktorin, die noch vor dem „Besenbeschluß“ von den Mitarbeitern gewählt wurde, ein Finanzierungsmodell für ihr „Ärztehaus“. Den Bereich Arbeitsmedizin/ Arbeitshygienischer Dienst müßten danach größtenteils die Unternehmen tragen. So verlangt es das bundesdeutsche Arbeitssicherungsgesetz. Die Leistungen im zweiten Bereich dem Zentrum für Diagnostik, Therapie und Gesundheitsfürsorge - sollten über Krankenscheine bei den Krankenkassen abgerechnet werden. Die arbeitsaufwendige Abrechnungsprozedur müßten nicht die ÄrztInnen selbst, sondern die Verwaltung des „Ärztehauses“ übernehmen - dem Arzt bliebe mehr Zeit für die Patienten. „Was zusätzlich für die Kommune an medizinischer Betreuung geleistet wird“, sagt Irmela Wiegand, „trägt das Bezirksamt.“ Das wären immerhin 25 Prozent aller Leistungen: Notdienst, Schwangeren- und Mütterberatung, Impfungen, Einberufungsuntersuchungen.

Sollte die Marktwirtschaft die Treptower „weniger schmerzempfindlich“ machen, will man flexibel auf die geringere Patientenzahl reagieren: Tagesbetten zur Beobachtung von Diabetikern und Bluthochdruckkranken aufstellen, Hausärzten bei der Diagnostik die Kooperation anbieten. Die hauseigene Sauna kann jetzt auch öffentlich genutzt werden. Ein Teil des Personals muß umgeschult werden, um psychologische Beratung anbieten zu können.

Keine Sympathie

für Polikliniken

Doch alle schlauen Modelle und die Absicht des Ostberliner Gesundheitsrats Zippel, „die poliklinische Arbeitsweise (...) auf einer kosteneffektiven Basis zu erhalten“, bleiben auf der Strecke, wenn in einem zukünftigen Gesamt-Berlin ÄrztInnen der Polikliniken und Ambulatorien nicht für die Kassenarztpraxis zugelassen werden, also für ihre Arbeit keinen Pfennig aus den verschiedenen Krankenkassen erhalten. Darüber müssen nach bundesdeutschem Recht die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung entscheiden. Während der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung West-Berlins, Manfred Richter-Reichhelm, unverhohlene Abneigung gegen Polikliniken demonstrierte, halten sich die Vertreter verschiedener Kassen und auch der Präsident der Ärztekammer in West-Berlin für die Modelle der Ostberliner Kollegen offen. Aus dem DDR-Gesundheitsministerium war zu vernehmen, daß im Einigungsvertrag die Zulassung der „staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Gesundheitseinrichtungen“ für fünf Jahre festgeschrieben sei. Bis zur Etablierung der Kassen nach bundesdeutschem Muster bezahlt die Sozialversicherung auch der Poliklinik „Maxim Zetkin“ die Gehälter. Für Investitionen, zum Beispiel die Anschaffung modernen Laborgeräts, bleibt kein müder Groschen. Zum Sterben zuviel, doch für die ehrgeizigen Pläne von Irmela Wiegand und ihren KollegInnen zuwenig.

Irina Grabowski