: Die Reinigung der Hauptstadt
■ Der Künstler Joachim John plädiert für das Einschmelzen
Interview: Frank Böttcher
Frank Böttcher: In der „Resolution zum Erhalt der sozialistischen Denkmale in der DDR“, die auf der 44. Kunsthistorischen StudentInnen-Konferenz im Mai dieses Jahres verfaßt wurde, werden Sie zitiert als einer, der für das Einschmelzen von sozialistischer Denkmalsplastik plädiert. Vielleicht können Sie erläutern, worauf sich dieser Passus bezieht?
Joachim John: Ich habe im 'Sonntag‘ (Heft 8/1990) einen kurzen Text geschrieben, in dem steht: „Das Leninmonument am Leninplatz und das Thälmannmonument im Thälmannpark sollten aus künstlerischen Gründen beseitigt werden. Die Materialien, Stein und Bronze, könnten Berliner Bildhauern überlassen werden. Monumente einer zeitweisen Gewissensschwäche brauchen nicht sein, da hätte man können das ganze Land zum Denkmal erklären und stehen lassen, wie es war. Die beiden 'Denkmäler‘ gehören für mich zum Dämlichsten, was man von den Dargestellten denken kann. Das Beseitigen dieser beiden schwächlichsten Großwerke wäre nicht der endgültige Abschied von Lenin und Thälmann, sondern eine notwendige Hygiene, die Reinigung einer gegenwärtigen und einer zukünftigen Hauptstadt.“ Zu meiner völligen Verblüffung nun erhalte ich diese Resolution. Ihr Inhalt läuft darauf hinaus, daß ich, wenn ich das Beseitigen der beiden Monumente fordere, zugleich die dort „memorierten Personen pauschal diskreditiere“. Ich bin sicher, daß die meisten Leute, die diese Resolution unterschrieben haben, meinen kleinen Text nicht genau kennen und die Auswärtigen unter ihnen auch diese blöden Denkmäler nicht kennen. Sind die denn alle verrückt? Jetzt glauben die, ich will unsere Geschichte wegschmeißen! Das ist doch Quatsch - im Gegenteil, ich interessiere mich für Geschichte vielleicht mehr, als gut ist für meinen Beruf.
Ich möchte in dem Zusammenhang noch aus einem Brief zitieren, den ich einem der Unterzeichner der Resolution geschrieben habe: „Als ich 1986 in die Akademie gewählt worden war (in freier, gleicher, geheimer Wahl), fragte ich mich, ob ich in diese Akademie eintreten solle, die nicht das Berliner Lenin- und das Berliner Thälmanndenkmal verhindert hat (oder nicht verhindern konnte). So viel ich erfuhr, hat es gegen das Lenindenkmal von Tomski Proteste gegeben, welche die Partei- und Staatsführung selbstherrlich wegwischte. Gegenentwürfe zu den Absichten Lew Kerbels wurden abgelehnt. Ich erkläre mir die Selbstherrlichkeit in solchen Fragen mit der damaligen Russenmanie der alten Herren des real existierenden Senilismus. - Zu Thälmanns 100. Geburtstag hatte ich ein Blatt radiert, das zeigt, wie er nachts erschossen wurde (...) Der Auftraggeber, ein Berliner Verlag, lehnte die Radierung ab, weil Thälmann die Hose runterrutscht, die er noch mit einer Hand festhält ich dachte mir: Hosenträger oder Gürtel wird man ihm abgenommen haben. Also auch hier „diskreditierte“ ich den „historischen Stellenwert der memorierten Personen“ - genau wie mir in Ihrer Resolution vorgeworfen wird! (...) Irgendwelche Rechten werden diese Monumente sowieso zerstören, nicht weil sie wie ich das Berliner Stadtbild davon befreien wollen, nicht weil sie die Werke, sondern weil sie Lenin und Thälmann meinen (...) Übrigens bin ich auch froh, daß der Riesen-Stalin nicht mehr in der Stalinallee steht und so weiter.
Ich wäre vorher, wenn so viele Fachschaften so bedeutender Hochschulen besser eine Resolution verfaßt hätte, in der sie zum Kampf aufriefen gegen die derzeitige Garottierung der DDR-Kultur.
Ich verstehe Ihren Ansatz. Ihnen geht es durchaus um Lenin, um Thälmann, und sie meinen, die Denkmäler sind dieser historischen Persönlichkeiten nicht wert, deshalb müssen die monumentalen Scheußlichkeiten weg. Insofern haben die Verfasser der Resolution sie falsch verstanden.
Aus purer Unkenntnis. Die Resolution ist ehrenwert, aber von keiner Kenntnis getrübt.
Ich habe dennoch einige weiterführende Fragen an Sie. So ist es ja leicht zu sagen, das seien „Scheußlichkeiten“. Aber selbst wenn es welche sind - was wären Ihrer Meinung zufolge Kriterien für die Qualität von Kunst? Wo liegen die Grenzen zur Unkunst, und wer darf sich zum Richter berufen fühlen? Wer stattet wen mit administrativen Vollmachten aus, damit die „Scheußlichkeiten“ dann wegkönnen?
Das ist das allgemeine Kunstproblem, was ist gut, und was ist nicht gut. Wenn ich mich auf die Position begebe, alles ist Kunst, dann habe ich natürlich nicht das Recht einzuschreiten. Aber ich kenne keinen einzigen Bildhauer irgendwie ernster Art, der das, den Lenin und den Thälmann, für Kunst hält! Und jetzt sollen bloß nicht die Kunstwissenschaftler uns mit ihrem theoretischen Scheißdreck reinmischen. Wenn ich das schon nicht beurteilen kann, dann können wir uns ja über gar nichts mehr verständigen. Es muß doch irgendwo eine Bande geben. Denn wenn Grenzen nicht sind, kann ich nicht existieren. Wenn alles ausläuft, dann hätte man sich auch gar nicht die Mühe machen müssen, solche riesigen teuren Dinger dort hinzusetzen. Dann hätte man das auch einfacher machen können, indem man einen riesigen Würfel hinsetzt und drauschreibt: „Thälmann“.
Trotzdem besteht das Problem: Wenn man jetzt anfängt, hochoffizielle „Großkunst“ zu kippen, die ja eine bestimmte Ideologie massiv verbreiten sollte, dann müßten konsequenterweise auch Hunderte „kleinere“ Beispiele folgen. Nehmen Sie all die drallen Frauenakte und süßlichen Kinderplastiken in den Parks und auf den Boulevards unserer Städte, die auch alle sehr propagandistisch wirken, indem sie das glückliche Leben in der sozialistischen Menschengemeinschaft suggerieren - die müßten dann ebenfalls weg.
Darum geht es mir nicht. Ich bin ja nicht dazu da, daß ich in der DDR herumreise und überall ein Kreuz ranmache und sage, das muß weg, und das muß weg. Das soll der Geschmack der dortigen Einwohner entscheiden, oder der örtlichen Kulturgremien, wie sie dann auch heißen mögen. Natürlich wüßte ich noch andere Dinger, die mich grausen, zum Beispiel den Karl-Marx-Kopf in Chemnitz. Aber das sollen sie dort selber entscheiden.
Ein Argument zugunsten des Stehenlassens der Monumente, auch wenn sie unbestritten miserabel sind: Sie sind auf ihre Art ebenfalls ein spezifisches Zeugnis ihrer Zeit. Man erfährt durch sie etwas über den Geist, der dazu führte, daß solche Denkmäler entstehen konnten.
Und warum haben wir nicht das ganze Land so stehengelassen? Ich bin ja dafür, daß man das alles dokumentiert, was an Geschichte war. Zum Beispiel in Büchern. Aber ich will das nicht auf der ästhetischen Ebene erhalten wissen, und schon gar nicht im Stadtraum, wo es so ungeheuer bestimmend ist. Das ist ganz selbstsüchtig von mir, denn wenn die Gegend weiterhin voller dieser Dinger wäre, ich würde hier nicht mehr herkommen wollen.
Fritz Cremer hat mir mal erzählt, er war vor vielen Jahren in Leningrad, als er Mitglied der sowjetischen Akademie der Künste geworden war. Da haben sie ihn in Großateliers geführt, wo solche monumentalen Dinger gefertigt wurden. Und da geht nun der kleine Mann rein und geht auf solch ein Monstrum zu und zeigt auf den Fuß und sagt, na Moment mal, aber der Knöchel innen, der ist doch höher als der außen. Da haben sie ihm geantwortet, das spielt doch gar keine Rolle, hier geht es doch um die Helden der Revolution... Das ist doch bekloppt. Und jetzt untersuchen Sie die schwer- ja schwerstverständlichen Bilder von Realisten wie Picasso. Da ist auch nicht der Knöchel oben und der andere unten, bloß weil es in Wirklichkeit so ist, aber da ist so viel Intelligenz, so viel phantasievolle Verwandlung drin oder Tradition, oder was weiß ich, was da alles gemischt wurde man ist begeistert. Man ist begeistert von der Widersprüchlichkeit. Und dann schauen sie auf diese blöden Puppen, da ist überhaupt keine Widersprüchlichkeit. Das ist die ganz blanke Ideologie. Und die steht jedem Realismus feindlich gegenüber. Das ist das Gegenteil von Humanitas. In dem Sinne sind sie natürlich Ausdruck der Epoche. Aber: diese Epoche war ja nicht nur so! Wenn sie nur so gewesen wäre, dann hätten wir uns schon lange aufhängen müssen. Nein, die war sehr gut, und die war sehr schlecht, beides.
Ich komme gerade aus der Akademiesitzung, wo Heiner Müller zum neuen Präsidenten gewählt worden ist. Es ist heute viel darüber gesprochen worden, was war denn nun in den vierzig Jahren los, wieviel Idiotie haben wir mitgemacht, oder wie sehr haben wir dagegen gehalten. Wir haben mitgemacht, weil wir doch vermuteten oder glaubte, daß selbst die blödesten Großfunktionäre auf eine uns gemäße Art mit der Utopie verwoben seien wie wir auch. Daß wir nebenbei immerzu gegen die Kulturfunktionäre zu rammeln hatten, das schien verkraftbar. Die letzten fünfzehn Jahre übrigens waren eitel Sonnenschein gegen das, was früher, als ich hier im Prenzlauer Berg wohnte, los war. Da hat die Kulturführung Räuber und Gendarm mit uns gespielt. Die haben sich ihre Sessel gewärmt, indem sie uns immerzu zu Staatsfeinden, zu Antihumanen aufzäumten. Ich war nie in der Partei, aber ich kenne gute Kollegen, die hatten, weil sie in der Partei waren, noch größere Schwierigkeiten.
Sie sagten, die Monumente seien pure Ideologie, keine Kunst. Auch wenn das zutreffen mag, so ist es aber doch so, daß diese Ideologie nun hinter uns liegt. Kann man jetzt nicht eigentlich ganz gelassen damit umgehen: Es war einmal, und wir können jetzt beinahe drüber lachen? Es macht uns doch nicht mehr wirklich fertig, dieses Pompöse, Aufgeblasene?
Lachen kann ich darüber nicht. Ich kann schon deshalb nicht lachen, weil das Riesenexperiment Sozialismus vorläufig gescheitert ist. Wenn ich trotzdem der gegenwärigen Situation eine gewisse Hoffnung entnehme, dann vielleicht die Hoffnung auf eine Art Weltbürgertum, das in seinen Anfängen überall keimt aus Gründen der Bedrängnis, weil sich die Menschheit irgendwie einigen muß. Der Sozialismus hat es nicht geschafft, die Humanitas zu verbreiten, und der Kapitalismus ist auch unfähig. Was jetzt? Jetzt wird es nur die Möglichkeit geben, den vernünftigen Konzepten nachzugehen, die die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen betreffen. Zur Zeit stecken wir in der DDR natürlich in einer grausigen Situation. Ich finde es einfach außerordentlich unchristlich, Lebensmittel zu vernichten. Das hätte ich wirklich nie gedacht, daß es hierzulande einmal so weit kommt. In Schwerin am Marstall, da haben sie jetzt die Milch hingeschüttet, und in den Geschäften nur Westmilch. Es ist außerordentlich unchristlich, alles daran zu setzen, um vom zehnten Platz beim Lebensstandard in der Welt unbedingt auf den zweiten zu kommen, und hinter uns stehen 170 Staaten in einer steil abfallenden Kurve bis zu denen, die verhungern.
Ein letztes Mal zurück zu den Kultrelikten unserer Vergangenheit. Mir will schienen, als spräche aus dem Standpunkt, nun muß weg, was ganz platt an diese Ideologie erinnert, ein Noch-Nicht-zu-Rande-Kommen mit dieser Ideologe. Man hat damit noch nicht abgeschlossen.
Nehmen Sie die Französische Revolution. Die hat ja auch in ihrem Gegenteil geendet. Die vornehme Ware Geist, die dort bewegt wurde, strahlt trotzdem bis heute in vielleicht drei Viertel der Welt, die ist unzerstörbar. So etwas verschwindet nicht. Und die Konterrevolution jener Zeit hat sich auch ihren geistigen Weiterlauf in der Geschichte gesichert. Genauso ist von den vierzig Jahren DDR sehr viel an künstlerischem Anstoß in die anderen Länder gegangen, von der bildenden Kunst vielleicht weniger, aber vom Theater und der Musik unheimlich. Diese dusseligen Monumente von absoluten Nichtskönnern jedoch, um die es hier geht, die brauchen nicht sein. Im Theater spielen sie doch auch nicht die Nazistücke, bloß weil es die damals gab. Dabei zeigen sie den Nationalsozialismus auf ihre Art vielleicht sogar recht gut, die Stücke von Johst oder Blunck. In solches Theater gehe ich aber doch nicht. In ein Stück über die Nazizeit, das ist was anderes. Und was mich an der Zeit zwischen 1933 und 1945 interessiert, ist auch mitnichten die Bildhauerei von Herrn Breker. Mich interessiert, was an Gutem in der Zeit da war, der verfemte Otto Nagel zum Beispiel.
Drüben läuft ja gerade jetzt eine große Diskussion darüber, was man mit den übriggebliebenen Nazibildern und -denkmälern machen soll: Stellt man sie nun aus oder nicht.
Natürlich gibt es Leute, die wollen auch die Nazikunst aufheben. Einer ist dieser Schokoladen-Ludwig. Wenn der nicht so reich wäre, wäre er ja der blödeste Hund, aber der kann ja alles machen. Daß der nicht die Nazikunst in die Museen reinbringt, in denn ich die humanistische Tradition des 20.Jahrhunderts sehen will, na, Gott sei Dank. Wo ich Kirchner, Beckmann und Picasso sehe, da möchte ich nicht zugleich diesen antihumanen Dreck drinhaben. Vielleicht in einem Kuriositätenkabinett, in einem Disneyland, wo ich nicht vorbeikomme... Und genauso wenig will ich diesen Blödmann mit dieser Glatze sehe, der angeblich Thälmann verkörpern soll. Da ist doch eine Katastrophe. Da hätte ich ja lieber Honecker als Untermieter, mit dem könnte ich mich noch gut unterhalten, weil der Mann viel durchgemacht hat. Aber was erfahre ich von dem Ding über Thälmann - nichts! Ich erfahre nichts über den Geist, der mich interessiert.
Herr John, zum Abschluß dieses Gesprächs noch eine andere Frage. Was bedeuten die Situation der Zeit und ihre wahrscheinlichen Perspektiven für Ihre eigene Arbeit?
Ich mache meine Sachen weiter, und ich nehme an, daß das die allermeisten ernstzunehmenden Kollegen auch machen. Das Windhundrennen, das jetzt einsetzen wird möglicherweise, mache ich nicht mit. Ich nehme keine Aufträge oder irgendwelchen Schnellscheiß um des Vorteils willen an, da ruiniere ich mir ja nur die Nerven. Ich möchte bloß so viel, daß ich einigermaßen in Ruhe meins weitermachen kann.
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