: Marx geht, die Monumente bleiben?
■ Zur Diskussion um die politischen Denkmäler in der DDR
Von Dirk Schumann
Eine Gesellschaftsidee wurde verabschiedet, unzählige von ihr kündende Plastiken und Inschriften blieben zurück. Doch auch die werden immer weniger. Fast regelmäßig kann man neue Leerstellen einstiger Überzeugungen feststellen. Setzt hier ein Bildersturm ein, wie er in der Vergangenheit häufig in Verbindung mit „revolutionären Veränderungen“ anzutreffen war? Revolution und Bildersturm, Begriffe, die wie zwei Geschwister allzugern auf die jüngsten Verwandlungen der alten DDR angewendet werden. Suggeriert der Begriff Bildersturm eine breite bilderfeindliche Basis gegen die Denkmale aus der DDR-Vergangenheit, so blieb der Farbeimer in der Regel zurückhaltend, stürmten und stürzten keine aufgebrachten Menschenmengen die Monumente ihrer Vergangenheit.
Der leise Abbau
Der Abbau geschieht leise, keine Zeitung dokumentiert, keine Öffentlichkeit diskutiert und keine Einrichtung bezieht Stellung dazu. Selbst nach dem Aufruf gegen die beiden „schwächlichen Großwerke“, dem Thälmann- und dem Lenindenkmal, als „notwendige Hygiene (...) einer zukünftigen Hauptstadt“ durch das Mitglied der Akademie der Künste Joachim John, bleibt der „Volkszorn“ nur mäßig. Vielmehr zeigt der Beschluß des alten Berliner Magistrates vom 6. Februar 1990 zur Demontage zweier Gedenk beziehungsweise Texttafeln und die Entscheidung des Rates des Stadtbezirkes Prenzlauer Berg zum Abbau der Textstelen des Thälmanndenkmales, die heimlichen Bereiniger bildgewordener Vergangenheit sitzen in den Büroetagen. Selten fallen die Bilder ihrer künstlerischen Mängel wegen, sondern immer wieder in Stellvertreterfunktion für verschiedene Herrschaftsansprüche: Wo eine Macht ist, kann keine zweite sein. Dabei hat eine Diskussion über formale und ästhetische Wertungen sowie die Funktionsweisen politischer Denkmäler der DDR überhaupt noch nicht stattgefunden. Aber gab es überhaupt die immer wieder heraufbeschworene Staatskunst, die schließlich in den Denkmälern explizit zum Ausdruck kommen mußte? Es gibt wenig Bereitschaft zu differenzierter Sicht. Pauschale Gleichsetzungen wie: SED-Herrschaft gleich Stalinismus gleich Faschismus. (Zitat: „faschistische Selbstdarstellung des SED-PDS-Regimes“) stehen für das Ausmaß der Versäumnisse in der äußerst einseitigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der DDR als historische Schwarzweißpolarisierung, in der kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge Randthemen und besonders die Kunstvorstellungen unausgeleuchtet bleiben.
Zeugnisse der Niederlage
Ein weiteres Problem, was in der Abrechnung mit dem Nationalsozialismus schnell beiseite gelegt wurde und heute wieder relevant wird: Die Denkmäler sind nicht nur Zeugnisse der ideologischen Herrschaftsansprüche ihrer Auftraggeber sondern gleichzeitig auch Zeugnisse der allgemeinen Duldung, der alltäglichen Niederlage eines jeden einzelnen.
Die Inititative politischer Denkmäler entstand aus einer kunstgeschichtlichen Studentenkonferenz im Mai 1990 in Berlin, an der erstmals neben Studenten verschiedener Universitäten der BRD, West-Berlin, der Schweiz und Österreichs auch Studenten aus der DDR teilnahmen. Eine Arbeitsgruppe dieser Konferenz beschäftigte sich mit Funktion und Wirkung politischer Plastik in der DDR und fragte dabei auch nach den zukünftigen Umgangsweisen. Die fortschreitende Bereinigung sichtbarer DDR-Geschichte veranlaßte die Arbeitsgruppe, in die Öffentlichkeit zu gehen. Als bedenklich wurde vor allem die Zurücknahme von Denkmälern wie das für den in der NS-Zeit ermordeten Max Hoelz in Falkenstein oder der Büste für den Antifaschisten Theodor Neubauer in Brotterode gewertet.
Die Diskussion
In Berlin verschwanden mehrere Gedenktafeln zur Nachkriegsgeschichte wie die des Vereinigungsparteitages von KPD und SPD am Admiralpalst, die Tafel für Otto Grothewohl am Bankgebäude August-Bebel-Platz, die Tafel für Wilhelm Pieck an der Prenzlauer Allee Ecke Wilhelm-Pieck-Straße, die Gedenktafel für Egon Schulz in Nähe der Berliner Mauer sowie eine Hinweistafel zum Aufenthalt Friedrich Engels an der Friedrichstraße 90. Der schon genannte Magistratsbeschluß zog die Beseitigung eines Erich-Honecker-Zitates am Schauspielhaus und einer Gedenktafel zur Gründung der FDJ am Magistratsgebäude in der Parochialstraße nach sich, eine Enscheidung des Rates des Stadtbezirkes Prenzlauer Berg die Entfernung der Schriftstelen am Thälmanndenkmal in der Greifswalder Straße. Selbst Plastik ohne vordergründig politischen Gehalt ist nicht vor dem Abbau und Abtransport sicher, wie zwei Plastiken von W. Arnold und W. Fitzenreiter auf der Erfurter Gartenausstellung beweisen.
Auf einem Diskussionsforum mit VertreterInnen aus Denkmalpflege, Kunstwissenschaft und Kulturministerium bestand ein breiter Konsens, der sich gegen die Zerstörung dieser Denkmäler richtet. Nicht befriedigen kann der dort geäußerte Lösungsvorschlag: die Denkmäler aus ihrem öffentlichen Wirkungsraum zu entfernen, und sie in „gesicherten“ Unterbringungsmöglichkeiten die Zeit ihrer Gefährdung überdauern zu lassen. Allzu leichtferig würde einer Totalräumung Vorschub geleistet, in der die Denkmäler ja „nicht verloren gingen“.
Die gegenläufige Tendenz aus der Distanz westlicher Sicht zum konkreten Leben in vierzigjähriger DDR-Vergangenheit ist die Intention, die gesamte DDR zu einem musealen Raum zu gestalten, in dem, so sinngemäß der Leiter des Deutschen Historischen Museums in West-Berlin, Stoelzel, die alten Denkmäler in ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu eigentlichen Siegesmalen der neuen Freiheit avancieren.
Die Monumente
Hoch aufragend in dunkler Bronze, rotem Granit, Edelstahl oder in Sandstein, meist in „lockeren“ Gruppen arrangiert oder auch als Stele oder Inschrifttafel untergebracht, bestimmen sie das Bild eines Großteils der öffentlichen Plätze. Sie beziehen sich in der Hauptsache auf historische Persönlichkeiten und Ereignisse aus der langen Strecke des sozialistischen Kampfes, der scheinbar folgerichtig in der DDR-Realität zu münden schien.
Da ist es schon mal möglich, daß, wie beim Thälmanndenkmal an der Greifswalder Straße, die Persönlichkeit zu einer rein äußerlichen Hülle erstarrt. Mit den Reminiszenzen an das sechzehn Jahre ältere Leninmonument führt die Darstellung Thälmanns zum Bild eines zeitlosen Revolutionärs, wird dessen übergroße Büste auf einem altarartigen Sockel zu einem gewaltigen Votivbild. Barock bewegt ist die Formsprache der Fahne im Hintergrund, barocken Prinzipien folgt die Gestaltung des Umraumes: neben einer repräsentativen Frontalsicht von Hochhäusern gerahmt, gibt es jeweils noch eine diagonale Ansichtsseite, mit Wegen, die auf sie zu führen, und Hochhaussilhouetten als Kulisse. Es entsteht eine korrespondierende Bindung des Denkmals an die umliegenden Bauten, als Sinnstifter für ein ganzes architektonisches Ensemble, das die DDR-Regierung seiner Berliner Bevölkerung als repräsentatives Geschenk überreicht, zum 100. Geburtstag des KPD-Führers als sichtbare Einlösung dessen Vermächtnisses im Vorfeld der 750 -Jahrfeiern der geteilten Stadt.
Errichtet wird dieses parkartige Stadtviertel mit dem Denkmal zu einer Zeit, als weitab vom Zentrum ein der Ökonomie verpflichteter „wohnmaschinenartiger“ Stadtbezirk entsteht, bei dem soziale, kulturelle und gestalterische Belange nebensächlich bleiben.
Die Kosten
Vor solchen Hintergründen werden viele politische Denkmäler zu wichtigen Zeitdokumenten und sind nicht so einfach aus ihrem Zusammenhang lösbar, in dem sie als bildgewordener Anspruch dazu bestimmt wurden, Vorstellungswelten zu prägen.
Ein ganz anderer, aber nicht zu vernachlässigender Aspekt ist der ungeheure Aufwand der Beseitigung gerade monumentaler Vertreter politischer Plastik. So errechnete ein Mitarbeiter der Abteilung Kultur beim Rat des Stadtbezirkes Prenzlauer Berg: die Beseitigung des Thälmannkopfes würde etwa zwei Millionen Mark kosten und beinhaltet Spezialtechnik zum Heben und dem Transport des Monuments sowie dem Abbau der komplizierten Installation, denn Thälmann hat eine beheizbare Nase, wie sich jetzt herausstellt, wohl um das äußerliche Ansehen des Arbeiterführers auch in Schneeperioden nicht zu gefährden. Wie gehen diese Denkmäler nun in die Vorstellungswelt ein, was läßt sich neben dem Feld unbewußter Wirkungsweisen konkret benennen?
Das Ergebnis einer Umfrage vor vier Berliner Denkmälern Mitte Juli 1990 zeigt: Diese wurden gar nicht so eindringlich und direkt wahrgenommen. Selbst bei dem vorrangig agitativ gemeinten Betriebskampfgruppendenkmal am Eingang des Volksparkes Prenzlauer Berg war eine häufige Äußerung: „Es stört mich nicht.“
Gleichgültigkeit und Abstand selbst bei den täglich an den Denkmalen vorübergehenden Anwohnern, stehen wohl für ein Phänomen gespaltener DDR-Realität, der Trennung von öffentlichem und privatem Bewußtsein.
Die Formsprache der Plastiken wurde im allgemeinen eher als „plump und tollpatschig“ empfungen; also scheinbar nichts mit bedrohlich in die Privatsphäre eindringenden plastischen Agitatoren. Dementsprechend war auch ein weiteres Ergebnis der Umfrage: eine Minderheit plädierte für den Abbau dieser vier Denkmale (gefragt wurde am 14. Juli 1990 vor Lenin-, Thälmann-, Spanienkämpfer- und Betriebskampfgruppendenkmälern), obgleich sie von der Mehrheit der Befragten als künstlerisch schwach empfunden wurden.
Trotz der Verwendung eines festen, leicht erkennbaren Zeichenvorrates führten die hauptsächlich figürlichen Plastiken äußerst selten zu Identifikation und positiver Aufnahme, schien die Beziehung zwischen Auftraggeber und Betrachter von vornherein gestört.
So könnte man zum Schluß fragen: Haben die Denkmale versagt?
Die Auseinandersetzung mit diesem Thema wird immer wieder neue Fragen aufwerfen, aber auch wesentliche Zusammenhänge beleuchten wie die der Funktionsprinzipien zwischen der Gesellschaft, in der diese Plastik entstand, und seinen Subjekten.
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