Die Mohawks sind wieder auf dem Kriegspfad

■ Schon seit Wochen blockieren Mitglieder des Mohawk-Stammes einen Golfplatz und eine Brücke nahe Montreal / Es geht um Land und mehr / Die neue Militanz schreckt auch vor Waffengewalt nicht zurück / Kanadas Regierung ist völlig ratlos

Aus Montreal Rolf Paasch

Zum ersten Mal seit Kolumbus‘ Landung in Nordamerika spielen die Indianer von Oka Golf. Wo sonst die Franko-Kanadier der kleinen Stadt am Rande von Montreal den weißen Ball in die Löcher manövrieren, steuern nun vermummte Krieger vom Stamm der Mohawk zum Zeitvertreib die batteriebetriebenen Elektrokarren über den kurzgeschorenen Rasen. So mancher Abschlag vom Grün landet dabei in jenem Nadelholz, das die indianischen Golf-Anfänger als ihren rechtmäßigen Besitz ansehen. Die Gemeinde von Oka will es jedoch der Erweiterung des Golfplatzes opfern. Deswegen halten sich dort, wo die Chevrolets der weißen Bürger Okas sonst am indianischen Friedhof zum Clubhaus abbiegen, nun die Männer der „Warrior Society“ (Kriegergesellschaft) mit ihren Maschinengewehren verschanzt. „Was würden Sie denn machen, wenn jemand Ihren Wald abholzen und die Ruhestätte ihrer Vorfahren als Parkplatz mißbrauchen wollte“, fragt einer der Krieger, der sich optimistisch „Captain Can Do“ nennt.

Seit sie am 11. Juli die gewaltsame Attacke der Polizei erfolgreich abgewehrt haben, warten Can Do und seine Mitstreiter hinter den Barrikaden aus gefällten Bäumen und umgestürzten Polizeifahrzeugen auf ein akzeptables Angebot der anderen Seite: vom Bürgermeister der 1.800-Seelen -Gemeinde, der den mißglückten Sturm auf die Indianerblockade angeordnet hatte, bei dem ein Polizist umkam; von Kanadas „Minister für indianische Angelegenheiten“, Thomas Siddon, der das von den Indianern beanspruchte Gelände nun kaufen will, um die umstrittene Erweiterung des Golfplatzes von 9 auf 18 Löcher durch den Stadtrat zu verhindern; und vom Indianerminister der Provinz Quebec, John Ciacca, der sich weiterhin weigert, den Mohawk -Kriegern nach dem Abbau ihrer Barrikade eine Amnestie zu gewähren.

Die neue Militanz der Mohawks macht Schule. Seit der brutalen Polizeiattacke von Oka blockieren die Stammesbrüder des Kahnawake-Reservats am gegenüberliegenden Südufer des St.-Lorenz-Flusses aus Solidarität eine Autobahnbrücke und sorgen damit für den allmorgendlichen Zusammenbruch des Pendelverkehrs nach Montreal. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht aus den entferntesten Ecken Kanadas Indianerblockaden gemeldet werden: sei es zur Unterstützung der Mohawks oder zur Unterstreichung lokaler Landansprüche, die von den Behörden immer wieder hinausgezögert worden sind. Der Griff der Mohawks zu den Waffen konfrontiert Kanada plötzlich mit einem lange vernachlässigten Problem, das vielen Einwohnern des liberalen Vorzeigestaates peinlich ist: die über Jahrhunderte schändliche Behandlung der nordamerikanischen Ureinwohner.

„Dreihundert Jahre der Lügen, gebrochenen Versprechungen und Verträge sind genug.“ So erklärt Captain Can Do, warum er in seinem Reservat im US-Bundesstaat New York schon als 15jähriger zur AK-47 griff und sich den Warriors anschloß, die nun in Oka und Kahnawake den Konflikt bestimmen. Er gehört damit zu der jüngeren Generation von Mohawks, die von den Ideen und theoretischen Schriften des Malers und „Longhouse„-Mitglieds Louis Karoniaktajeh Hall beeinflußt wurden (siehe Zeichnung). Der heute 72jährige Vater des modernen Warrior-Gedankens lebt in Kahnawake. Die 6.000 Einwohner dieses Reservats südlich von Montreal waren vor allem durch die Übergriffe der Provinzpolizei aus Quebec radikalisiert worden, die zuletzt 1988 im Reservat gegen angeblichen Zigarettenschmuggel vorging.

Wie in anderen US-Reservaten kontrollieren die Warriors auch in Kahnawake Glücksspiel und Zigarettenhandel, was sie als staatenlose und nicht steuerpflichtige Indianer für durchaus legitim erachten. Daß die weißen Nachbarn zum vielversprechenden Glücksspiel oder Zigarettenkauf in die Reservate kommen, halten die Mohawks nicht für ihr Problem. Ob die „Warriors Society“ mafiaähnliche Züge entwickelt oder mit ihren Geschäften zum allgemeinen Wohlstand der Indianergemeinden beiträgt, ist auch unter den Mohawks umstritten.

Dennoch ist es den kanadischen Behörden im Konflikt von Oka bisher noch nicht gelungen, mit ihren Verhandlungsangeboten einen Keil zwischen die Mohawks und ihre Warriors zu treiben. Im Gegenteil: viele der 440.000 kanadischen Indianer schöpfen aus dem bewaffneten Widerstand der Mohawk -Krieger neues Selbstbewußtsein. Die Forderung nach Anerkennung als unabhängige indianische Nation war jedenfalls schon lange nicht mehr so laut, wie in diesen Tagen der publicityträchtigen Blockaden. Gespalten ist dagegen die weiße Bevölkerung Kanadas, was Ansprüche und Methoden der Mohawks angeht.

Da ist zunächst eine Minderheit, die sich seit Wochen jeden Abend an den Polizeisperren in Kahnawake und Oka versammelt und die Bombardierung der Barrikaden durch die Armee fordert. Dann gibt es diejenigen, die für eine bessere Behandlung der Indianer sind - solange es nicht zu viel kostet oder zu weiteren Landansprüchen führt. Und dann gibt es schließlich eine weitere Minderheit, die sich aufrichtig für die Behandlung der Ureinwohner durch „ihr“ Kanada schämt und einer großzügigen Kompensation für vergangenes Unrecht zustimmen würde. All dies macht das von einer Verfassungskrise geschüttelte politische Establishment ziemlich ratlos.

Während der Führer der oppositionellen Parti Quebecoise, Jacques Parizeau, die Warriors kurzerhand als „Terroristen“ bezeichnete, gab Kanadas Premier Brian Mulroney nach zwei Wochen des Schweigens zum Golfplatz-Konflikt jetzt kleinlaut zu, daß Ottawa für seine Ureinwohner nach „Jahrzehnten und Jahrhunderten der Mißhandlung“ nunmehr etwas tun müsse. Gleiches, nur in etwas dringlicherem Ton, empfiehlt auch Mohawk-Führer Peter Deome. „Viele halten mich mit meiner Unterstützung der Mohawk-Krieger und der Forderung nach einer Wiedervereinigung der indianischen Nation für einen Radikalen. Für die Generation, die nach mir kommt“, so warnt Deome, „bin ich dagegen nur noch ein moderater Waschlappen“.

Auf der Anhöhe am Golfplatz von Oka sind wie jeden Abend die Anwohner vorbeigekommen, um nach ihren Verteidigern zu schauen. Über der Barrikade wehen die Flaggen der „Irokesen -Konföderation der sechs indianischen Nationen“, das Banner der Mohawks und die schwarze Flagge der (auch indianischen) Vietnam-Veteranen. „Wenn wir kämpfend untergehen müssen“, sagt Captain Can Do in bewußt martialischer Pose, „wird Kanada nicht mehr dasselbe sein.“