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Neubesetzung contra „Berliner Linie“

■ Friedliche Besetzerdemo in Friedrichshain / „Gemeinsam verhandeln - Lebensraum verwandeln“ / Weitere Besetzungen angekündigt / Bürgermeister Mendiburu will neubesetztes Haus räumen lassen

Friedrichshain. Zwar wurde es keine „Großdemonstration“, doch immerhin knapp 1.500 Personen hatten sich am Stellplatz Frankfurter Tor zur Demo „gegen Wohnungsleerstand“ eingefunden. Im Vorfeld gab es einige Irritationen. Die Volkspolizei bot nach eigenen Angaben dem „Vertragsgremium Besetzte Häuser“ - Initiator des Marsches - eine sogenannte Sicherheitspartnerschaft an, doch die Mitglieder dieses Gremiums lehnten ab. Viele von ihnen kommen aus West-Berlin und haben wohl aufgrund schlechter Erfahrungen Berührungsängste in bezug auf „Bullen“.

Davon zeugten denn auch die über Lautsprecher verkündeten Maßregeln: „Falls die Bullen Ketten bilden - laßt euch nicht provozieren! Wenn euch die Bullen provozieren sollten, geht nicht drauf ein!“ Erst kurz vor Beginn des Abmarsches konnten sich die VertreterInnen des Besetzergremiums dazu durchringen, das Angebot der Polizei zu akzeptieren. Das ganze Polizeiaufgebot bestand schließlich nur aus zwei Funkstreifenwagen.

Gegen halb drei setzte sich der bunte Zug bei brütender Hitze in Bewegung. Ein Plakat am Lautsprecherwagen verkündete „Gemeinsam verhandeln - Lebensraum verwandeln“, ein weiteres verhieß „Tuntenterror“, andere forderten: „Die Häuser denen, die drin wohnen!“ Aus dem Lautsprecher klangen Resolutionen, die die vom Magistrat beschlossene sogenannte „Berliner Linie“ bei Hausbesetzungen verurteilten, Hinweise auf die immer brutaler werdende Ausländerfeindlichkeit und Ankündigungen von Neubesetzungen „so lange der Leerstand reicht“. So manch Anwohner verfolgte von seinem Fenster aus den Zug mit mißtrauischen Blicken - in der Rigaer Straße nahm eine alte Dame gar ihren Vogelbauer samt Wellensittich vom Balkon - sicher ist sicher. Erfrischend wurde es für die DemonstrantInnen jedesmal, wenn sie an einem der besetzten Häuser vorbeizogen: die „Daheimgebliebenen“ sorgten für ausreichend künstlichen Regen aus Wassereimer und Schlauch.

Am Schluß der friedlich und fröhlich verlaufenen Demonstration kündigte die Lautsprecherstimme noch eine „Überraschung“ an. In der Kinzigstraße, dort, wo der Marsch sein geplantes Ende fand, wurde ein Haus „frisch“ besetzt. Aus Angst vor polizeilicher Räumung - der „Berliner Linie“ zufolge sind Neubesetzungen innerhalb von 24 Stunden zu räumen - wurden die DemonstrantInnen aufgefordert, zu bleiben und sich mit den NeubesetzerInnen zu solidarisieren.

Während jedoch ein Sprecher des Ostberliner Polizeipräsidiums der taz erklärte, daß Bezirksbürgermeister Mendiburu die Besetzung des Hauses nachträglich gebilligt habe und seine Behörde somit keinen Grund zu einer etwaigen Räumung sehe, teilte uns Mendiburu mit, daß er den bei der Demonstration anwesenden Polizeikräften lediglich versucht habe klarzumachen, daß eine „Räumung unmittelbar nach der Demonstration unklug wäre, da dies die Emotionen nur noch höher schlagen“ ließe und Gewalt somit nicht ausgeschlossen sei. Ansonsten aber habe „der Magistrat einen eindeutigen Beschluß gefaßt, an dem festzuhalten wäre. „Montag werde ich beim Magistrat darum bitten, daß dafür gesorgt wird, daß die Beschlüsse auch eingehalten werden.“ Zumal, so der Bezirksbügermeister weiter, es sich bei den Demonstranten sowieso „zum größten Teil um Jugendliche aus West-Berlin“ handele, die er bereits aus der Mainzer Straße kenne. Ostberliner Jugendliche habe er hingegen kaum entdecken können. Daß es auch bei einer späteren Räumung des Hauses Kinzigstraße zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen könne, schloß Mendiburu nicht aus.

Olaf Kampmann

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