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Tempelhof Airport: Ein Tabu verschwindet

■ Die riesige Fläche rund um Europas größtes Gebäude rückt in das Bewußtsein von Stadtplanern und Interessenten / Was wird nach einem Abzug der US-Luftwaffe? / Keine fertigen Pläne in der Schublade, aber Ideen und Begehrlichkeiten sind vorhanden

Tempelhof. Der Ort ist gigantisch. „Tempelhof Central Airport“, wie der Berliner Stützpunkt der US-Air-Force offiziell heißt, gilt als das größte Gebäude Europas und als das viertgrößte der Welt. Der Flughafen besitzt ein eigenes Wasserwerk mit vier Tiefbrunnen und einer Höchstleistung von einer Million Liter pro Stunde. Das hauseigene Heizkraftwerk produziert in den Wintermonaten soviel Strom, daß umliegende Straßenzüge mitversorgt werden - auch der Neubau der Kripo am Tempelhofer Damm will sich der Energiezentrale anschließen. Würde man auf das gut 360 Hektar große Gelände des Tempelhofer Flugfeldes das New Yorker Empire State Building quer hinlegen, würde über der Spitze sogar noch reichlich Platz bleiben. Das hat Christina Goodwin ausgerechnet, die auf dem Airport für die Presse zuständig ist und die riesigen Dimensionen ihres Arbeitsplatzes zunächst selbst nicht glauben wollte. Frau Goodwin steht in den zum Flugfeld offenen Flugzeughallen, in denen eine Handvoll Maschinen für den zivilen Regionalverkehr geparkt sind.

Sie zeigt auf die Rollbahn, auf der gerade eine Militärmaschine landet. Der militärische Auftrag für Tempelhof Airport bestehe weiterhin, bekräftigt Mrs. Goodwin. Und der laute: Versorgung Berlins über den Luftweg bei einer zweiten sowjetischen Blockade. Die Konzepte seien fertig. „Man muß einen Plan haben“, sagt sie. Mit Zukunftsplänen für Tempelhof beschäftigen sich die Zivilisten erst seit kurzer Zeit. Alliierte Flächen galten bisher als unantastbar. In der Westberliner Stadtentwicklungsbehörde hat man sich bereits erste Gedanken gemacht: Ein Drittel Wohnungsbau, ein Drittel Grün und ein Drittel Kleingewerbe lautet ein derzeit favorisiertes Grobkonzept. Weiteres könne erst ein Wettbewerb klären, fügt Klaus Kundt von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz schnell hinzu.

Auch andernorts trainiert man sich in Gedankenspielen. Die Berliner Messegesellschaft AMK stellt sich zum Beispiel vor, die riesigen Flughafenhallen für Ausstellungen zu nutzen, als „Schnellösung“, wie die AMK-Pressesprecherin Rita Stark betont. Spezialschauen oder wichtige Ausstellungsteile könnten nach Tempelhof ziehen, so zum Beispiel der Bereich „Nutzfahrzeuge“ der Inter nationalen Automobilausstellung (IAA), die ja vielleicht nach Berlin kommen soll. Unter dem Funkturm herrsche große Platznot, klagt Frau Stark; so hätten sich die Anmeldungen für den hauseigenen Autosalon AAA im Herbst „glatt verdoppelt“.

Ein neues Regierungsviertel kann sich der Westberliner Architekt Gerd Neumann auf dem Tempelhofer Feld vorstellen. Bereits vor acht Jahren hatte Neumann anläßlich eines Wettbewerbes zum jetzt vieldiskutierten „zentralen Bereich“ auf dieses „Leerfeld“ inmitten der Stadt aufmerksam gemacht. Er argumentierte schon damals, daß im Falle einer Wiedervereinigung der Flughafen überflüssig werde und das Gelände deshalb als Ausweichquartier für Hauptstadtfunktionen dienen könne. Natürlich will auch Neumann nicht das ganze Feld zubauen. Aber er kann sich Hochhauskomplexe vorstellen, die nur der Verwaltung dienen: „Die Stadt kann an einigen Stellen durchaus Monostrukturen verkraften“, sagt der Architekt.

Ein potentieller künftiger Nutzer des Tempelhofer Feldes ist bereits wieder abgesprungen: die Olympischen Spiele, die Berlin zum Jahr 2000 beschert werden sollen. In einem ersten Szenario West war zunächst davon die Rede gewesen, das Olympische Dorf in Tempelhof zu errichten. Doch jetzt sei das Gelände „nicht mehr vorrangig“, befindet der Geschäftsführer des gemeinsamen Olympiabüros von Senat und Magistrat, Jürgen Kießling. Tempelhof sei zu weit vom Olympiastadion entfernt, auch rechne er mit einer Flughafennutzung zumindest bis zum Olympiajahr. In die Planungen des Olympiabüros sind hingegen die von den Briten genutzten Flächen um das Olympiastadion aufgenommen worden ihre Größe beträgt insgesamt rund 120 Hektar. Dazu gehören unter anderem Trainingsplätze, eine Fechterhalle oder Pavillons zur Unterbringung von Panzern. Das alliierte Übungsgelände in Ruhleben kann sich der Olympiaplaner als Sportlerdorf vorstellen. „Für uns sind diese Flächen nicht mehr tabu“, erklärt er.

Die Amerikaner geben sich, was Tempelhof Airport und die Zukunft der dort beschäftigten rund 1.700 Luftwaffenkräfte angeht, eher zurückhaltend. Man wolle die politischen Verhandlungen abwarten, sagt Frau Goodwin. Außerdem sei die Armee nicht unbedingt eine „war machine“. Zum Beweis führt sie die Besucher in die abgedunkelten Räume des Berlin Air Route Traffic Control Center (BARTCC), wo Fluglotsen der drei Westalliierten Militär- und Verkehrsmaschinen über die Luftkorridore nach West-Berlin leiten. Der Ostberliner Flughafen Schönefeld soll bald in die Radarkontrolle integriert werden. Eine Arbeit für „jeden Berliner“, beschreibt Oberstleutnant Bill Droke seinen Job.

Neben dem Eingang zum BARTCC führt ein Zugang auf das Dach des Flughafenkomplexes, das leicht ansteigt und getreppt ist. Nach der Vorstellung des Architekten Ernst Sagebiel, der das Gebäude bis zum Kriegsbeginn 1939 fast vollenden konnte, sollten hier fast 70.000 Schaulustige bei Luftfahrt -Shows Stehplätze finden. Was immer also in Zukunft auf dem Tempelhofer Feld geschehen mag - Beobachter werden einen guten Blick darauf werfen können.

Christian Böhmer

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