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USA und Saudis rüsten gegen Irak

■ Saudische Truppen dringen in neutrale Zone vor / Cheney will US-Militärpräsenz verstärken Irak bereitet Evakuierung Bagdads vor / BRD sorgt sich um die Deutschen in Kuwait

Bagdad (afp/ap/dpa) - Nachdem US-Präsident George Bush am Sonntag abend Verteidigungsminister Richard Cheney zu sofortigen Gesprächen mit der saudischen Regierung nach Riad entsandt hatte, um die Saudis von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihre Flughäfen für US-Kampfflugzeuge, Bomber und Bodentruppen zu öffnen, rechnet der Irak offenbar mit einem Luftangriff der USA oder Israels. Am Montag haben die irakischen Behörden mit ersten Vorbereitungen zur Evakuierung der rund vier Millionen Einwohner Bagdads begonnen. Wie aus Kreisen der regierenden Baath-Partei verlautete, wurden außerdem Waffen an Zehntausende Anhänger von Staatschef Saddam Hussein verteilt. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, „Irak und die Revolution in Kuwait“ zu verteidigen.

Funktionäre der Baath-Partei berichteten, die Bewohner Bagdads sollten im Falle eines Luftangriffs in Zeltlagern außerhalb der Hauptstadt untergebracht werden. Sie selbst seien instruiert worden, sich auf eine Evakuierung vorzubereiten und ihre Häuser sofort zu verlassen, falls sie über Rundfunk oder Fernsehen dazu aufgefordert würden.

Irak hatte am Sonntag das Ende der ersten Phase seines Truppenabzugs aus Kuwait bekanntgeben, ohne zu präzisieren, wieviel Soldaten in ihr Land zurückgekehrt seien. Gleichzeitig wurde versichert, daß der Abzug am Dienstag fortgesetzt wird. Das irakische Fernsehen zeigte fast 25 Minuten lang Bilder von einer Militärkolonne, die auf einer Autobahn vorrückte. In Washington hat US-Präsident George Bush die Behauptungen über einen Truppenrückzug aus Kuwait als „einmal mehr gelogen“ zurückgewiesen. Der Sprecher des Weißen Hauses, Marlin Fitzwater, gab an, daß die US -Regierung über „keinerlei unabhängige Information“ über den angeblichen Abzug verfüge.

Am Montag mittag meldete der israelische Armeesender, saudiarabische Truppen seien in Richtung auf neutrale Zonen an der Grenze zwischen Saudi-Arabien und Kuwait vorgedrungen. Nach den vorliegenden Berichten haben saudische Truppen den Ölhafen Hafdschi am Rand einer dieser neutralen Zonen besetzt. Abhörspezialisten des Senders berichteten auch von verstärkten gemeinsamen Übungen der im Persischen Golf stationierten siebten amerikanischen Flotte zusammen mit saudischen Einheiten. Der israelische Abhörspezialist Micky Gurdus verzeichnete ein außerordentlich starkes Ansteigen des Funkverkehrs in der umstrittenen Grenzregion, die als eine der ölreichsten Gebiete der Welt gilt.

Die „Provisorische Regierung des Freien Kuwait“ unter Ministerpräsident Alaa Hussein Ali, kuwaitischen Gerüchten zufolge ist er ein Schwiegersohn des Bagdader Regenten Saddam Hussein, hat am Montag die kuwaitische Bevölkerung aufgefordert, ihre Arbeit vor allem im Dienstleistungs-, Gesundheits- und Energiebereich wieder aufzunehmen. In der Aufforderung, die im irakischen Fernsehen verlesen wurde, heißt es, die Ordnung sei wiederhergestellt und die Ausgangssperre teilweise aufgehoben. Bäcker, Lebensmittelhändler, Krankenhausangestellte, Kraftwerksarbeiter sowie Verwaltungs- und Postangestellte sollten am Montag an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Die „Übergangsregierung“, die Angaben aus Bagdad zufolge die Regierung des Emirs von Kuwait gestürzt haben soll, kündigte an, der Ausgang sei zwischen 7.00 Uhr morgens und 19.00 Uhr abends wieder erlaubt.

Seit der Invasion irakischer Truppen in Kuwait sind nach Angaben einer am Sonntag abend in London eingetroffenen kuwaitischen Delegation 700 Menschen ums Leben gekommen. Unter den Opfern seien sechs Mitglieder der königlichen Familie, weitere drei Mitglieder des Königshauses würden noch vermißt. Von der Besatzungsmacht werde im Moment eine sogenannte „Volksarmee“ gebildet, die fast ausschließlich aus Irakern bestehen soll. Rund 80.000 Mann zähle diese Armee bereits.

Über die Zahl der Ausländer, die in Kuwait von der Invasion überrascht wurden, waren in London keine detaillierten Angaben zu erhalten. Zu der über eine Million Ausländer, die in dem Ölscheichtum lebten, gehörten nach Angaben des britischen Außenministeriums 3.000 Briten, 71 davon waren als Militärberater im Lande. Kuwaits „Provisorische Regierung“ hat den im Land anwesenden Ausländern für den Fall, daß deren Regierungen rigide Boykottmaßnahmen gegen den Irak durchführen sollten, angeblich bereits mit „Geiselhaft“ gedroht. Inzwischen relativierte sie diese Erklärung und teilte mit, Ausländer und Kuwaitis könnten wenn sie dies wünschten - das Land in Richtung Irak verlassen.

Unterdessen haben irakische Militärs damit begonnen, Ausländer aus den großen Kuwaiter Hotels mit unbekanntem Ziel abzutransportieren. Dies wurde am Montag zuverlässig aus westlichen Kreisen in der Golf-Region bekannt. Wie ferner verlautete, hat bisher kein Ausländer die Grenze in Richtung Saudi-Arabien überschritten, wo Diplomaten mehrerer Länder, darunter auch der Bundesrepublik, für Hilfe bereitstehen. Wie ein Sprecher des Bonner Auswärtigen Amtes berichtete, habe es Übergriffe gegen einzelne der etwa 400 bis 450 deutschen Staatsbürger in Kuwait gegeben. Die Bundesregierung, so der Sprecher, mache dafür die irakische Regierung verantwortlich.

Wie die türkische Nachrichtenagentur 'Anatolien‘ berichtete, hat der Irak am Montag angekündigt, eine der zwei Erdöl-Pipelines, die die Türkei in Richtung Yumurtalik Adana am Mittelmeer durchqueren, ab 17 Uhr zu schließen. Der Öltransport in der zweiten Pipeline werde zugleich auf 70 Prozent der normalen Kapazität gedrosselt. Bagdad begründete diese Maßnahme mit „Marktschwierigkeiten“. Einen direkten Zusammenhang mit den verhängten Boykottmaßnahmen stellten die Bagdader Behörden nicht her.

Die Gefahr eines neuen Nahostkrieges - diesmal mit mutmaßlicher Beteiligung der USA - hat die unterkühlten Beziehungen zwischen Israel und den USA praktisch über Nacht wieder erwärmt. Die kritische Lage in der Krisenregion hat die zähen Auseinandersetzungen zwischen Amerikanern und Jerusalem über den besten Weg zur Lösung des Palästinenserproblems zu einem Randthema gemacht. Vergessen scheinen die Ausfälle israelischer Politiker gegen die US -Nahostpolitik und die zornigen Reaktionen des State Departments auf Jerusalems starre Verweigerungshaltung. Israel ist gegenwärtig mehr denn je der einzige verläßliche Partner Washingtons im Nahen Osten.

Der irakische Einmarsch in Kuwait hat eine neue Konstellation der internationalen Kräfteverhältnisse offengelegt: Die Großmächte USA und Sowjetunion sind kaum mehr in der Lage, regionale Konflikte gezielt zu steuern.

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