: Notmaßnahmen im Zivildienstbereich
■ Vermehrte Einberufung in den nächsten Monaten geplant / Verbände schlagen freiwillige Längerverpflichtung vor, um den jetzt zugespitzten Pflegenotstand zu mildern
Berlin (taz/dpa) - In die Diskussion um den Zivildienst und die soziale Arbeit von Zivis ist Bewegung geraten. So sollen in den nächsten Monaten verstärkt junge Männer zum Zivildienst einberufen werden, um die Auswirkungen der Verkürzung des zivilen Ersatzdienstes zu mindern. Das kündigte das dafür zuständige Bundesfamilienministerium am Wochenende an. Möglichst frühzeitig sollen jetzt Stellen mit neu beginnenden Zivis besetzt werden, damit diese von ihren Vorgängern eingearbeitet werden können. Die Zahl der Zivis sinkt wegen der Dienstverkürzung von 20 auf 15 Monate von derzeit 89.000 auf 72.000 bereits in diesem Oktober. Durch mehr Einberufungen soll sie jedoch 1991 wieder auf 80.000 steigen.
Es ist vereinbart, das Versetzungsverfahren zu erleichtern, damit die sozialen Dienste flexibler auf aktuelle Personallücken reagieren könnten. Bisher war eine Versetzung erst nach einer Genehmigung durch das Bundesamt für Zivildienst möglich, erläuterte der Bundesbeauftragte für den Zivildienst Peter Hintze. Dieses Genehmigungsverfahren kann nunmehr nachträglich geschehen.
Die Wohlfahrtsverbände erwarten durch die Verringerung der Zivildienstler eine dramatische Verschärfung der Personalnot. Immerhin leisten diese nach den Angaben eines CDU-Experten 23 Prozent der Arbeitsstunden in der Behindertenhilfe und 96 Prozent bei der individuellen Schwerstbehinderten-Betreuung. Von den 89.000 Zivildienstlern arbeiten 71.000 in der Betreuung von Alten, Kranken und Behinderten. 30.000 Plätze sind schon heute offen. Ab sofort, so schätzt etwa ein in dieser Sache tätiges Bündnis von Wohlfahrtsverbänden, Parteien und Gewerkschaften aus dem niedersächsischen Kreis Minden -Lübbecke, werden 30 bis 40 Prozent der momentan beschäftigten Zivildienstleistenden ihre Arbeit beenden. Damit entstehe ein „Versorgungs-Notstand für Pflegebedürftige“, heißt es in einer Erklärung.
Zur Forderung der SPD, den Wohlfahrtsverbänden die staatlichen Zuschüsse für Zivildienstler auch für die bei einer Verkürzung ausfallenden Monate im Jahr 1991 weiter zu zahlen, meldete Bundesbeauftragter Hintze rechtliche Bedenken an. Da der Zivildienst Ersatz für Wehrdienst sei, komme ihm nicht „der Charakter eines staatlichen Sozialdienstes“ zu. Nach dem Grundgesetz sei das aber Ländersache. Aber auch Wohlfahrtsverbände wie der Arbeiter -Samariter-Bund (ASB) favorisieren den Einsatz von Zivis über die Dienstzeit hinaus, vergütet mit einem Stundensatz von 20 Mark. Umfragen des ASB haben ergeben, daß ein Teil der Zivildienstleistenden nicht sofort zum 1. Oktober mit dem Studium beginnen, sondern weiterarbeiten würden. Diesen Vorschlag unterstützt auch die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG -VK) als „kurzfristige Maßnahme“. Für die Fianzierung der freiwilligen Weiterbeschäftigung werden die im Bundeswehretat vorgesehenen Mittel für das sogenannte „Attraktivitätsprogramm“ der Streitkräfte vorgeschlagen. Bei diesem Programm handele es sich um einen Haushaltsposten in Höhe von 400 Millionen Mark.
ak
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