: Ohne Korn, Knaller & Konfetti
■ Bundesligapremiere mit Ost- und Westberliner Fans - und linken St.-Pauli-Anhängern im Olympiastadion / Kritik vom Fanprojekt
Spandau. Die heutige Bundesligapremiere ist gleich zweimal ein Ereignis. Bei dem Spiel zwischen Hertha BSC und dem FC St. Pauli im Olympiastadion werden einerseits Fußballfans aus der DDR sowie aus Ost-Berlin auf bundesdeutsche Fans stoßen - und es haben sich auch die wenigen linken „Pauli„-Anhänger aus West-Berlin angekündigt. Der Verein vom Millerntor genießt die Sympathie vor allem der Hamburger Linken - bis weit in die besetzte Hafenstraße.
Insgesamt werden heute 35.000 Zuschauer erwartet, und die werden einem Heer von über 700 Ordnern und Polizisten gegenüberstehen, die für einen „geregelten Ablauf“ sorgen wollen: keine Knaller, kein Korn und kein Konfetti. Fahnenstöcke sind nur bis 1 Meter 50 Länge zugelassen, das Stehen in den Rängen verboten - wir bitten Platz zu nehmen (siehe auch nebenstehendes Interview).
Beim Fanprojekt treffen die Sicherheitsvorkehrungen im Olympiastadion auf herbe Kritik. „Fans sind für die Vereine nur noch Staffage“, beschwert sich Helmut Heitmann, Diplompädagoge und Mitarbeiter der Fanbetreuung. Das Publikum feuert zweimal 45 Minuten seine Mannschaft an, doch am Spielende zeigen die Profikicker „nur arrogant ihren Rücken“ und verschwinden undankbar in ihren Kabinen - egal welche Trikotträger den Triumph davontragen, verloren hat immer das Publikum. „Fußball wird erlebnisarm“, bemängelt Soziologe Andreas Klose vom Fanprojekt. Besonders Jugendliche werden im Stadion ärgerlich. Die Großstadt läßt ihnen kaum noch Platz für Abenteuer, und die Hausordnung im Stadion soll regeln, wie geflucht oder gefeiert wird und wie sich wildfremde Menschen in die Arme fallen dürfen.
Die vier Mitarbeiter des „Frösche„-Projekts arbeiten seit Anfang April. Sie wollen zwischen Polizei, Verein und Fans vermitteln und „außerhalb der Bundesligaspiele“ Freizeit und Sportangebote machen. Hoffen wir für sie, daß Zweitligist Hertha nicht wieder absteigt. Weil der Verein 1987 die Tabelle heruntergefallen war, strich Jugendsenatorin Laurien (CDU) dem Vorgänger-Fanprojekt nach zwei Jahren Arbeit einfach die Sozialsubvention. Dieses Jahr bekommt das Projekt, für das die Sportjugend die Trägerschaft übernommen hat, 250.000 DM von der Senatsverwaltung für Jugend und 50.000 DM von Hertha. Etwa der gleiche Geldbatzen, den der heutige Einsatz der 700 Mann starken Eingreiftruppe den Veranstalter und Steuerzahler kosten wird.
Trotzdem soll man von dem Projekt „keine Wunder erwarten“ (Heitmann). Krawalle wie auf dem Alexanderplatz werden auch die vier Don Quichotes aus dem Raum 105 des Schwimmstadions nicht verhindern können. Inwieweit nun Besucher aus Ost -Berlin und der DDR die Arbeit erschweren werden, wollen sie nicht abschätzen. Die Fans aus dem wegdemonstrierten SED -Staat seien in der Regel besser organisiert, mehr von Rechtsradikalen vereinnahmt - und brutaler.
Die „Berliner St.-Pauli-Fans“ haben auf einem Flugblatt jedenfalls angekündigt, „die Stadien zurückzuerobern“. Früher seien sie öfters zu Spielen gegangen, doch irgendwann hatten sie „die Schnauze vom Reichsmarinefahnengewedel voll“ gehabt. Sie wollen Brot und Fußballspiele für politische Botschaften (Frauen gegen das sexistische Gehabe von Typen im Stadion, Flugblattaktionen gegen Rassismus und Nazis) nutzen, aber nicht auf den „Spaß und Volksfestcharakter“ verzichten. Um eine „Schlägerei mit Hools und Nazis und Bullen“ gehe es ihnen aber nicht.
Dirk Wildt
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