Solidarnosc als Vermittlerin für die Atomlobby

■ Deutsche und belgische Energiekonzerne versuchen, ein polnisches Atomkraftwerk zu retten / Walesa ist gegen den Weiterbau des AKW Zarnowiec bei Danzig / Innenpolitisches Tauziehen um die Zukunft der Atomenergie / Gutachten und Gegengutachten

Aus Warschau Klaus Bachmann

Einige europäische Energiekonzerne versuchen, das im Bau befindliche polnische Atomkraftwerk Zarnowiec bei Danzig zu retten. In Polen ist das Kraftwerk sehr umstritten: Zuletzt sprachen sich bei einem lokalen Referendum 84 Prozent der Bevölkerung gegen den Weiterbau aus. Eine Expertenkomission der staatlichen Atomagentur kam zu dem Schluß, ein Weiterbau sei aus Sicherheitsgründen weder wünschenswert noch bezahlbar. Inzwischen trat der Chef der Agentur im Fernsehen jedoch mit der Erklärung auf, es hätten sich westliche Partner gefunden, die bereit seien, den Bau zu Ende zu führen und das Unternehmen zu finanzieren. Nähere Auskünfte verweigern die polnischen Behörden mit Hinweis auf die noch andauernden Verhandlungen.

Siemens/KWU hatte mit der Direktion des Kraftwerks Zarnowiec bereits im Herbst letzten Jahres Kontakt aufgenommen und eine Finanzierung des Weiterbaus mit Hilfe eines 300-Millionen-Dollar-Kredits vorgeschlagen. Eine Rückzahlung sollte in Form von Stromlieferungen von Polen in die Bundesrepublik stattfinden. Der Preis, den Siemens vorschlug, sollte, wie es in einer Aktennotiz von Zarnowiec heißt, „unter 5 Pfennig pro Kilowattstunde“ liegen.

Neben Siemens bewirbt sich jedoch noch ein Konkurrent um den Einstieg ins polnische Atomgeschäft - die belgische Consulting-Firma Tractebel. Zusammen mit Belgatom will die Firma „die polnischen Behörden dabei unterstützen, das Atomkraftwerk Zarnowiec möglichen Investoren vorzustellen, um ausländisches Kapital für die notwendige Finanzierung des Projekts zu interessieren“, wie Tractebel-Chef Daniel Deroux an den Chef der polnischen Atomagentur, Professor Zelazny, schrieb.

Als Vermittler zwischen Polen und den belgischen Investoren tritt die Wirtschaftssektion der Gewerkschaft Solidarnosc auf. Deren Chef, der Danziger Abgeordnete Jacek Merkel, sagte: „Atomkraft in Polen ist ein Problem, Zarnowiec ein zweites. Das Ding steht nun mal in der Landschaft, und ich finde, es sollte auch zu Ende gebaut werden.“ Solidarnosc hatte sich bisher dagegen ausgesprochen. Ihr Vorsitzender Lech Walesa hatte nach dem Referendum bekanntgegeben, auch er habe gegen das AKW gestimmt. Diese Tatsache erfüllt offenbar die Belgier mit Sorgen. Sie erkundigten sich in einem Brief bei Zelazny, „wie ausländische Investoren in Polen vor Risiken und politischer Opposition geschützt werden sollen“. Zelazny schlug ein Treffen mit Hans Blix, dem Chef der Internationalen Atomenergie-Agentur in Wien vor, die Zarnowiec stets unterstützt hatte. An dem Treffen sollte auch Walesa teilnehmen. Bisher ist es dazu jedoch nicht gekommen.

Nach Aussage von polnischen Experten hat die belgische Trectabel insgesamt 250.000 Dollar für die Erstellung einer Expertise über Zarnowiec erhalten, die zwar schon vorliegt, der Öffentlichkeit jedoch noch nicht vorgestellt wurde. Gegner von Zarnowiec haben darauf hingewiesen, daß das künftige Kraftwerk auf seismisch unsicherem Grund stehe. Diese Befürchtung scheint Tractebel zu teilen. Die Firma sprach von „wichtigen Verifikationen“, die im Zusammenhang mit dem „geotechnischen Verhalten des Bodens“ durchzuführen seien.

Vertreter des polnischen Industrieministeriums und der Minister ohne Geschäftsbereich, Witold Trzeciakowski, sind unterdessen offenbar dabei, über die EG-Kommission in Brüssel jene Fonds zum Weiterbau des Danziger AKWs anzuzapfen, die seinerzeit von der Europäischen Gemeinschaft als Wirtschaftshilfe für Polen bereitgestellt worden waren. Dabei handelt es sich um Kreditzusagen in Höhe von 200 Millionen ECU für exportorientierte Investitionen sowie 220 Millionen ECU Kreditgarantien. Aus diesen Töpfen soll auch die Tractebel-Expertise bezahlt worden sein.

Merkel glaubt, daß zwischen Tractebel und Siemens möglicherweise gar keine Entscheidung getroffen werden müsse. Angesichts der Größe der Investition hält er eine Kooperation im Rahmen eines internationalen Konsortiums für denkbar, das aus französischen und belgischen Kooperanten sowie Siemens bestehen könnte.

Das innenpolitische Tauziehen um Zarnowiec ist indessen in eine neue Phase getreten. Nach dem äußerst negativen Gutachten der Expertenkommission um den Reaktoringenieur Andrzej Wierusz hat eine zweite Expertengruppe inzwischen ein Gegengutachten verfaßt. Während einer Sitzung des Ökonomischen Komitees des Ministerrats erklärte jedoch Industrieminister Syryjczyk, er sehe für die Atomkraft in Polen keine Zukunft. Kurz zuvor hatte Zelazny im Fernsehen genau das Gegenteil vertreten.

Seit die Regierung Mazowiecki zu Beginn ihrer Amtszeit den Bau für ein Jahr ausgesetzt hatte, war in Fachkreisen bisher mit dem langsamen Tod des Projekts gerechnet worden. Die Rettungsversuche ausländischer Konzerne werden daher bei Gegnern des Projekts mit Sorge betrachtet. Voraussetzung für die Beendigung des Baus, so findet Merkel, sei die Anwendung westeuropäischer Sicherheitsstandards. Aber genau damit gibt es seit Baubeginn Probleme. So wurde das Gesetz über die polnische Atomaufsicht erst 1988, sechs Jahre nach Baubeginn, verabschiedet.