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„Letzte Chance“ vor der Katastrophe

■ USA sammeln Unterstützung für Krieg gegen Irak / Nato-Partner zurückhaltend Arabischer Dringlichkeitsgipfel in Kairo / Jordanien distanziert sich von Bagdad / PLO will vermitteln

Washington/Amman/Kairo (afp/ap/dpa/taz) - Nach der Annexion Kuwaits hat der Irak angesichts der wachsenden Zahl von US-Soldaten in Saudi-Arabien am Donnerstag erneut bekräftigt, keine Angriffsabsichten gegen seine südlichen Nachbarn zu hegen. US-Präsident Bush wartete unterdessen weiter auf einen positiven Bescheid der Nato-Verbündeten bezüglich ihrer Beteiligung an einer multinationalen Streitmacht. Bisher hat nur Großbritannien mit der Entsendung zusätzlicher Kriegsschiffe reagiert. Die Bundesrepublik, in der ein heftiger Parteienstreit um eine mögliche deutsche Beteiligung ausbrach, sowie Italien, Spanien und Portugal boten vorerst lediglich die Benutzung von Stützpunkten auf ihrem Gebiet für die nach Nahost in Marsch gesetzten US-Verbände an. Marokko und Ägypten verweigerten die Entsendung von Soldaten. Auch die israelische Regierung will sich vorerst nicht an den amerikanischen Militärmaßnahmen beteiligen.

Um das annektierte Kuwait noch fester an sich zu binden, hat die Regierung von Präsident Saddam Hussein am Donnerstag ihren Statthalter in dem eroberten Emirat zum stellvertretenden Ministerpräsidenten „Groß-Iraks“ ernannt. Saddam hatte zuvor erklärt, die Annexion sei auf Ersuchen der „Provisorischen Regierung des Freien Kuwaits“ erfolgt. Der UN-Sicherheitsrat will die irakische Annexion Kuwaits für „null und nichtig“ erklären. Über eine entsprechende Resolution sollte gestern nachmittag abgestimmt werden.

Bei einer Temperatur von mehr als 40 Grad gruben sich US -Soldaten derweil entlang der Grenze zum Irak in der Wüste ein. Bush verweigerte Angaben über den Umfang des „völlig defensiven“ Unternehmens. Regierungsquellen sprachen von 5.000 Mann Bodentruppen, die auf dem Weg nach oder schon in Saudi-Arabien stationiert seien. Ihre Stärke könne 30.000 Mann erreichen. Andere Schätzungen sprachen von 50.000 Mann mit 140 hochmodernen Bombern und Jagdflugzeugen. Das Expeditionskorps verfügt den Angaben zufolge über schwere Panzer und über Marschflugkörper, deren Computersteuerungen für Angriffe auf bestimmte Ziele im Irak programmiert sind. Der Flugzeugträger „Eisenhower“ passierte am Mittwoch den Suezkanal, um sich den im Golf befindlichen US -Seestreitkräften anzuschließen.

In seiner Fernsehansprache hatte Bush Saddam davor gewarnt, chemische Waffen einzusetzen. Dies würde „sehr, sehr ernste Konsequenzen“ haben. Die US-Truppen sind nach amtlichen Angaben mit ABC-Schutzkleidung und Medikamenten gegen Chemiewaffen ausgerüstet. Bush hob auf einer Pressekonferenz hervor, die für Saudi-Arabien vorgesehenen US-Truppen sollten nicht dazu eingesetzt werden, die irakischen Invasionstruppen aus Kuwait zu vertreiben. Er äußerte die Hoffnung, daß dies allein mit den internationalen Sanktionen erreicht werden kann.

Am Donnerstag morgen ist US-Außenminister Baker in Ankara eingetroffen, um über eine mögliche türkische Beteiligung an einer internationalen Militäraktion gegen den Irak zu beraten. Nach einem Bericht der Tageszeitung 'Cumhüriyet‘ vom Donnerstag ist die türkische Luftwaffe in Alarmbereitschaft versetzt worden. Dies wurde von der türkischen Regierung umgehend dementiert. Laut 'Cumhüriyet‘ sind Soldaten und Raketenwerfer in die türkisch-irakische Grenzregion verlegt worden. Heute wird Baker mit sowjetischen Verantwortlichen in Brüssel zusammentreffen und an einer Sitzung des Nato-Außenministerrates zur Golfkrise teilnehmen. Mittlerweile sollen mehr als 200.000 irakische Soldaten an den südlichen Grenzen Iraks und Kuwaits zusammengezogen worden sein. Zwar hat der Irak nach Informationen aus Geheimdienstkreisen seine Streitkräfte in Kuwait nicht verstärkt, doch die vorhandenen Truppen seien voll ausgerüstet und könnten „innerhalb weniger Stunden nach Süden marschieren“. Ein aus Kuwait geflohener Augenzeuge hat am Mittwoch in London Ausschreitungen irakischer Soldaten geschildert. Der Zeuge berichtete, auch Passagiere von British Airways seien angegriffen worden. Ein irakischer Soldat habe eine Frau aus der Passagiergruppe vergewaltigt. Er berichtete weiter, irakische Soldaten hätten einen Truppenrückzug vorgetäuscht, indem sie erbeutete kuwaitische Panzer mit irakischen Hoheitszeichen übermalten und wegfuhren.

Amerikanische Experten sind der Ansicht, daß die nächsten 48 Stunden entscheidend für den Ausgang der Golfkrise sein könnten. Soviel Zeit benötigen die entsandten US -Eliteeinheiten, um nach Saudi-Arabien zu gelangen und ihre Stellungen einzunehmen. Saddam Hussein könnte nach Ansicht dieser Experten der US-Truppenstationierung mit einer Offensive gegen die Ölfelder an der Ostküste Saudi-Arabiens zuvorkommen. Saddam habe nur drei Optionen: den Rückzug aus Kuwait, was einer De-facto-Niederlage gleichkäme, den Verbleib auf den bisherigen Positionen, was er wegen des Toatalembargos gegen sein Land nur begrenzt durchhalten könnte, oder den Einmarsch in Saudi-Arabien.

Überraschend reiste PLO-Führer Yassir Arafat am Mittwoch abend nach Bagdad. Er habe dort versucht, eine für beide Teile tragbare Lösung im Konflikt zwischen Irak und Kuwait zu finden, teilte sein Berater Bassam Abu Scharif am Donnerstag in Tunis mit.

Eine politische Wende deutet sich in Jordanien an, das stets gute Beziehungen zum Irak unterhielt. Jordaniens König Hussein wandte sich am Mittwoch auf einer Pressekonferenz klar gegen „die Annexion von Territorium auf kriegerischem Wege“ und erklärte seine Bereitschaft, Boykottmaßnahmen gegen Irak „zu prüfen“. Jordanien, so der König, erkenne weiterhin die Regierung des Emirs von Kuwait an.

Der kuwaitische Kronprinz Scheich Saad Abadallah as-Sabah wird sein Land auf dem Dringlichkeitsgipfel der Arabischen Liga zur Lage am Golf vertreten, der gestern abend in Kairo beginnen sollte. Bisher haben 16 der 21 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga ihre Teilnahme zugesagt. Der Irak, Sudan, Somalia, Dschibuti und die PLO mochten sich noch nicht entscheiden. Ägyptens Präsident Mubarak hatte am Mittwoch den Sondergipfel beantragt. Er sei, so Mubarak, „die letzte Chance, innerhalb der arabischen Welt eine Lösung der Golfkrise“ zu finden. Auch die Tageszeitungen in den Golfstaaten richteten am Donnerstag in ihren Kommentaren alle Hoffnungen auf den Dringlichkeitsgipfel. Dabei vermieden die meisten eine direkte Stellungnahme zur Einverleibung Kuwaits durch den Irak. Die saudische 'Al -Bilad‘ nennt den von Ägyptens Präsident einberufenen Gipfel „von größter Notwendigkeit angesichts der äußerst schwierigen Umstände, die die arabische Nation durchlebt“. Das ebenfalls saudische Blatt 'Okaz‘ kommentiert: „Wir als Araber haben eine letzte Chance, uns selbst und die ganze Menschheit vor einer Katastrophe zu bewahren, von der viele wissen, wie sie beginnen, aber niemand weiß, wie sie enden wird.“

wasa

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