: Anschlag auf das Asylrecht
■ „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ - so kurz und eindeutig stellt es das Grundgesetz der Bundesrepublik fest. Schon lange ist der Union der Artikel 16 ein Dorn im Auge. Mit einer Einschränkung des Rechts auf Asyl möchte sie die „Asylantenflut“ eindämmen. Nun erhalten die Christdemokraten Schützenhilfe - von Lafontaine. Im Wahlkampf ist dem Kanzlerkandidaten der SPD das Thema der offenbar überzähligen Ausländer gerade recht.
Lafontaine im Wahlkampf
In Fischkuttern, Motorbooten und maroden Nußschalen setzen sie am frühen Morgen über - dort wo die Kluft zwischen Afrika und Europa am kleinsten ist: an der Straße von Gibraltar. Tausende klettern aus den Schiffen an Land. Nach einem wochenlangen Marsch durch den afrikanischen Kontinent haben sie ihr Ziel erreicht: Europa. Doch sie kommen nur wenige Meter weit. Am Fuße der Stadt empfängt sie eine Phalanx schwerbewaffneter Soldaten, die den Flüchtlingen nur einen Weg offenläßt: zurück ins Meer.
Szenen aus dem BBC-Film Der Marsch, der vor kurzem über deutsche Fernsehschirme in Ost und West flimmerte. Die Flüchtlinge, je nach politischer Gemütslage Synonym für Schrecken oder Mitleid, standen plötzlich in den Wohnzimmern. Diese Horrorvision, kombiniert mit der Forderung nach Einschränkung des Artikels 16 Absatz 2 („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) zählt längst zum Standardrepertoire bundesdeutscher Politiker - seit kurzem auch von Oskar Lafontaine, dem Kanzlerkandidaten der SPD, der sich nunmehr den Kampf gegen den „Asylmißbrauch“ auf die Wahlkampffahne geschrieben hat.
Lafontaine will demontieren, was die vielzitierten VerfasserInnen des Grundgesetzes 1949 - in Gedanken an die Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, vor allem an diejenigen, die an den Grenzen zum Ausland abgewiesen wurden eingeführt haben: Nur in der Bundesrepublik haben Flüchtlinge einen Rechtsanspruch darauf, bei der Einreise politisches Asyl zu beantragen.
Das Argument, das Asylrecht werde zunehmend mißbraucht, scheint auf den ersten Blick einleuchtend, sind doch in den letzten Jahren die Anerkennungsquoten kontinuierlich in den Keller gesunken. Wurde 1985 noch 29 Prozent aller AsylantragstellerInnen der Status eines politisch Verfolgten zuerkannt, waren es in den ersten Monaten diesen Jahres noch 3,3 Prozent. Doch nicht die Fluchtgründe waren „banaler“ geworden, sondern die Rechtsprechung bundesdeutscher Gerichte wurde immer restriktiver. Symptomatisch für das Niveau der Asylrichter ist zum Beispiel die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom August 1988. Nach Auffassung des Gerichts könne der Betroffene, in diesem Fall ein irakischer Wehrdienstverweigerer, durchaus in sein Heimatland zurückgeschickt werden - auch wenn dem Mann die Todesstrafe droht. Denn diese sahen die Richter in diesem Fall nicht als übermäßig hart an. Damit werde ein Verhalten geahndet, das besonders geeignet sei, „einen kriegsführenden Staat in seiner staatstragenden Struktur zu erschüttern“. An der Zahl der Flüchtlinge in der Bundesrepublik ändert die Ablehnung von 95 Prozent der AsylantragstellerInnen wenig, denn die meisten dürfen entweder aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention oder aufgrund eines Abschiebestopps nicht zurückgeschickt werden. Doch in der Öffentlichkeit wird die immer enger gefaßte Definition des Asylberechtigten mit der des Flüchtlings bewußt verknüpft. Wer kein Asyl bekommt, steht automatisch im Ruch des „Scheinasylanten“.
Bis vors Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf oder gar vor ein bundesdeutsches Gericht kommen viele Flüchtlinge aus den außereuropäischen Ländern gar nicht mehr. Visumzwang und Sanktionen gegen Fluggesellschaften, die Flüchtlinge ohne erforderliche Papiere transportieren, machen die legale Einreise in die Bundesrepublik mittlerweile fast unmöglich. Wer es dennoch bis an die Grenze schafft, dem kann der Eintritt verweigert werden, wenn er bereits in einem anderen Staat Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Artikel 16,2 ist mit dieser simplen Strategie fast vollständig ausgehöhlt worden: je dichter die Grenze, desto weniger Asylanträge. Den Rest erledigen die Gerichte.
Die Antragszahlen sind jedoch nicht gesunken - im Gegenteil: fast 19.000 Menschen baten allein letzten Monat um politisches Asyl in der Bundesrepublik. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres stieg die Zahl damit auf 98.000. Darunter sind unter anderem über 6.000 VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, Mosambik und Angola. Aus Angst, frühzeitig nach Hause geschickt zu werden, sind sie aus der DDR nach West-Berlin geflohen und haben dort Asyl beantragt. Auf diesen Schritt hätten die meisten verzichtet, wäre ihnen in der DDR ein Bleiberecht zuerkannt worden. Statt dessen tauchen sie nun in den Statistiken des Bundesinnenministeriums auf und werden für die steigende Zahl von Asylanträgen verantwortlich gemacht. Dieses Schicksal blüht möglicherweise auch den 2.000 albanischen Botschaftsflüchtlingen, die nach dem Willen der CDU -regierten Bundesländer das Asylverfahren durchlaufen sollen. „Dabei ist völlig klar, daß diese Leute in jedem Fall hierbleiben dürfen“, kritisiert Katja Krikowski-Martin von der Bonner Zentrale von amnesty international. Sämtliche aufenthaltsrechtlichen Probleme, so argwöhnt die Asylexpertin, werden „auf die Asylschiene“ geschoben.
Exemplarisch läßt sich dies am Beispiel der Polen verfolgen. „Herzlich willkommen“, hieß es noch Anfang der achtziger Jahre auf Flugblättern in Westberliner und westdeutschen Behörden. In Warschau war gerade das Kriegsrecht ausgerufen worden, Polen galten als Freiheitskämpfer schlechthin. In West-Berlin ersparte man ihnen gar den Gang ins Asylverfahren und gewährte ihnen eine Duldung mit Anspruch auf Sozialhilfe. Die Zahl polnischer EmigrantInnen wuchs von 3.500 im Jahr 1979 auf fast 9.000 im Jahre 1982. Zwei Jahre später war die Gastfreundschaft bereits abgekühlt, die Sozialämter stellten die Unterstützung ein mit der Begründung, die Polen hätten ja keinen Asylantrag gestellt. Prompt kletterten die Zahlen in der Asylstatistik nach oben. Daß heute die allermeisten polnischen Asylantragsteller keine Verfolgungsgründe haben, ist auch in Flüchtlingsgruppen unbestritten. Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge „Pro Asyl“, hat als Antwort auf Lafontaines Attacke gegen Artikel 16 vorgeschlagen, die Zuwanderung polnischer StaatsbürgerInnen in Zukunft durch Kontingente zu regeln.
Daß eine Einschränkung des Artikels 16 Absatz 2 Menschen daran hindert, ihre Heimat Richtung Deutschland zu verlassen, glaubt unter den Fachleuten ohnehin niemand. „Die Roma aus Rumänien zum Beispiel“, sagt Katja Krikowski-Martin von amnesty international, „kommen so oder so“ - zumindest, solange die Diskriminierung in ihrer Heimat anhält. Ihre Situation auch nur ansatzweise in der Öffentlichkeit zu vermitteln, ist in Wahlkampfzeiten ein hoffnungsloses Unterfangen. Die Bilder der Roma in den Aufnahmelagern bieten vielmehr gerade den Gegnern des Asylrechts eine visuelle Untermauerung ihrer Argumente. Nicht zufällig fand Lafontaines Kehrtwende in der Asylpolitik vor der Kulisse des überfüllten Aufnahmelagers im saarländischen Lebach statt, wo die einheimische Bevölkerung gegen das „Zigeunerlager“ auf die Barrikaden ging. „Pro Asyl„-Sprecher Leuninger befürchtet nun das „große Umfallen der SPD“ in Sachen Asyl. Unter Mißbrauch des Artikels 16 Absatz 2 versteht er im übrigen etwas anderes: „Wenn hier jemand das Asylrecht mißbraucht, dann die Bundesrepublik, weil sie es viel zu eingeschränkt gewährt.“
Andrea Böhm
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