: DELCO Freedom
■ Die Kunst der Übersprungshandlung: Video-Installationen von Wolfgang Staehle in der Kunsthalle
Wolfgang Staehle liebt es, Fernsehempfänger hoch auf Stehleitern zu inthronisieren. Ho capito, hinauf also. Der erste Monitor, auf Alu-Leiter, zeigt die Aufblendung der pathetischen Titelschrift „Vers la victoire“, „dem Sieg entgegen“. Den Titel samt Brausemusik hat Staehle einer faschistischen Wochenschau aus dem besetzten Frankreich entnommen, aber es macht gar nichts, wenn man das weiß. Es handelt sich um Material, welches, wer mag, und Staehle mag, gerne auf Endlosschleife wiederholen kann. Immerzu „vers la victoire“, das Elektrische besorgt eine Autobatterie, Marke DELCO Freedom. Früher oder später ist die aus und alle. Na, was fällt Ihnen da jetzt ein?
Sagen Sie's ruhig, schreiben Sie uns. Wenn es nach Wolfgang Staehle ginge, dessen Video-Installationen die Kunsthalle jetzt zeigt, dann wäre die Kunst mittlerweile endgültig in der Konversation aufgegangen. Der eine wirft ein, die nächste hat auch Ideen, und grad wenn es am plauschigsten ist, kommt Staehle und sagt: ja, gibt es denn Neues im Grunde, meine Liebe?
Vielleicht ist in New York, wo der gebürtige Stuttgarter seit 15 Jahren lebt, schon die ganze Welt auf Video überspielt, und man muß nur noch achtgeben, daß niemand sie löscht. Staehle zeigt uns auf kleinen Watchmännern einen Hürdenspringer und die strampelnden Beine einer Radfahrerin, immer in endloser Wiederholung. Er setzt seine Fernsehbilder einem hospitalistischen Schock aus: sie werden so weiterstolpern in alle Zeit und atmen jetzt schon die gruselige Weihe des Ewigen.
Auf einer anderen Leiter ein Monitor zeigt eine Tricksequenz aus einem alten Stummfilm. Pe
gasos, das Flügelpferd, galoppiert über die Wolken dahin, ohne Ende. Nichts ist verlorener; das ist, als Zitat eines Zitats, hundert Prozent destillierter Mythos. Oder: ein entlaufenes Symbol, wofür noch gleich? Jedenfalls: Material. Man kann es zerhauen,
übermalen; dekonstruieren lautet die terminologische Herbstmode. Die Frage ist, was herauskommt, wenn sich die Kunst jetzt begnügt, selbstvergessen die mäßig aufregende Debatte über ihre eigene Geschichte als Medium zu illustrieren. Die kniffligste Installati
on funktioniert so: Ein Watchman, auf ein Stativ geschraubt, zeigt, was eine große Antenne empfängt, was nebenan ein Sender sendet. Und wir sehen, als Miniatur auf dem winzigen Bildschirm abgespielt, das Uralt-Filmlogo der Firma „Radio Pic
ture“: einen archaischen Funkturm, der sichtlich Wellen abstrahlt. So charmant ist die Selbstbezüglichkeit, die Tautologie geraten, daß sie ganz wie intelligente Kritik daherkommt, aber woran nur? Und nun stellen Sie sich vor, wie die Buten & Binnen
Kamera auf den gesendeten Sendeturm glotzt, das ganze über den Sender geht mit des Sprechers Kommentar, er verstünde nicht, und ich das alles sehe und mir denke, daß solche Sorte Irritation und Party-Gesprächstreibstoff das Höchste ist, was solche Sorte Kunst je erreicht.
Da läuft, in den endlosen Kreisläufen der Zitation, eine halbwegs witzige Party, eine ewige Finissage, das endlich entdeckte Perpetuum Immobile der Kunst.
Oder, in einer Schraubzwinge, ein Monitor, der Mighty Joe Young zeigt, King Kongs Bruder, wie der ein schönbergspielendes Klaviermägdlein auf einem Tablett hoch über sich dreht. „Frankfurter Schule“ ist der Titel. Aha, Basis, Überbau, Wildnis, Kultur. Denken Sie, was Sie wollen. Diese netten kleinen Einfälle sind wie Staubkörnchen. Man muß nur reichlich Gedankennebel machen, dann regnet es auch schon.
Ich muß da immer an die Hühner denken, die, in eine leere Garage eingeschlossen, auf dem blanken Betonboden mit Eifer und meinetwegen auch Geschick weiter herumpicken. Als wären sie draußen, mitten im Hühnerleben. Der leicht klaustrophobische Diskurs (verzeihen Sie das abscheuliche Wort, es paßt da einfach), dem die Kunst in ihren circles nachgeht - weiß man's, wieviel darin anÜbersprungshandlung steckt? Möglicherweise. Manfred Dworscha
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen