: Für die DDR eine ungewöhnliche Karriere
■ Marlitt Köhnke von der SPD, Bezirksbürgermeisterin im Ostberliner Hellersdorf, will für die kommunale Selbstverwaltung in ihrem Bezirk kämpfen / Vom Ökonomiestudium über den Baubetrieb in die Charite und dann in die Kommunalpolitik
Hellersdorf. Das Bezirksamt Hellersdorf ist nicht anders untergebracht als die Bürger der Trabantenstadt. Aufgeteilt in verschiedene Wohnungen, logiert das Amt in einem Hochhaus an der Hellersdorfer Straße ohne verbindende Telefonleitungen, mit Sitzungsraum hinter vergitterten Scheiben im feuchten Tiefparterre und ohne Aufzug. Im vierten Stock residiert die Bürgermeisterin auf 15 Quadratmetern. Ihr Büro ähnelt mit der klobigen Schrankwand und der gemusterten Tapete mehr einem Wohnzimmer als einer Amtsstube. Marlitt Köhnke (SPD), leger in Bluse und Jeans gekleidet, sitzt am Eßtisch, der als Konferenztisch dient, die Unterlagen vor sich ausgebreitet. Durchs geöffnete Fenster dringt Kindergeschrei und Autolärm. Ihr Schreibtisch, herrisch vor dem Fenster aufgebaut, ist leer. „Er ist noch von meinem Vorgänger. Der Stuhl paßt nicht, und, naja ..., ich arbeite ungern da. Ich möchte aus dem Fenster gucken.“
Es „menschelt“ im Bezirksamt Hellersdorf, seitdem die 37jährige Ökonomin mit ihrem Team dort eingezogen ist. Dem Hauswart ist der „nette Umgangston“ schon aufgefallen: „Sind eben keene Parteibonzen da oben, irgendwie janz normal.“ Der Flurfunk ersetzt die Telefonleitungen, man residiert Tür an Tür. Als Provisorium will Marlitt Köhnke ihr Amt hingegen keineswegs verstanden wissen. Obwohl von der ursprünglichen „Illusion einer kommunalen Selbstverwaltung“ schon geheilt, besteht sie mit allem Nachdruck auf Eigenständigkeit. „Man muß den Menschen hier erst wieder klarmachen, daß ein Bezirksamt sich um ihre Belange kümmert. Auch der Magistrat und der Senat müssen mit unserer Stimme rechnen, sei es in Wohnungsfragen oder bei der Buga.“ Sie lacht und erzählt mit einigem Sarkasmus von der Posse, daß es eine „Projektsteuerungsgruppe Hellersdorf“ des Magistrats gegeben habe, die munter ohne kommunale Beteiligung vor sich hin projektierte. Jetzt habe es sie endlich geschafft, das Bezirksamt in diese Gruppe zu schicken.
Verwaltungseinheit von Groß-Berlin hin oder her: „Ich will nicht schon wieder Vollzugsorgan sein, nur Rädchen im Getriebe.“ Die Entscheidung, diesen Job in diesem Bezirk zu übernehmen - es klingt nicht nach Komplimenthascherei -, ist ihr schwergefallen. Selbstbewußt aber bemerkt sie: „Allerdings gab es auch niemanden sonst für diesen Posten.“ Und keines der 150 Mitglieder der Hellersdorfer SPD hatte dies wohl ernsthaft angezweifelt. Marlitt Köhnke macht
-ohne ihre Macht hinter wuchtigen Schreibtischen zu verschanzen. Trotz allem erscheint ihr das Ganze noch reichlich unwirklich, denn sie hat noch Mitte letzten Jahres geglaubt, „daß det alles hier nischt mehr wird“, daß „wir nie allein etwas verändern“. Die Ausreisewelle, ihr Ungarnaufenthalt im letzten August, die Hetzpropaganda im 'Neuen Deutschland‘, die Demonstrationen in Leipzig, der Aufruf zur Gründung der SDP (Vorläufer der Ost-SPD): „Ich dachte, wenn du jetzt nicht aus der Nische rausgehst, geht die Entwicklung an dir vorbei.“ Nach dem Urlaub gründete sie die Bezirksgruppe der SDP in Hellersdorf.
Ihr unpretentiöses Selbstbewußtsein kommt nicht von ungefähr. Für DDR-Verhältnisse hat Marlitt Köhnke eine „abwechslungsreiche Karriere“ hinter sich. Eines konnte sie nie: sich zufrieden geben mit Verhältnisssen, die „mich regelrecht krank machen“. Nach dem Marxismus/Leninismus -Studium wollte sie im Bereich Wissenschaftliche Ökonomie an der Akademie der Wissenschaften arbeiten. Fasziniert hatte sie die Geschichte der Arbeiterbewegung, Ferdinand Lasalle vor allem. Ihr Engagement im Zirkel der „Neuen Linken“, die Ende der siebziger Jahre an der Akademie der Wissenschaften Stalinismusforschung betrieben, kostete sie den Job. Mit der Begründung, sie könne „nicht wissenschaftlich arbeiten“, wurde ihr Forschungsvertrag nicht verlängert. „Ich wollte auch gehen, die Lügerei hat mich irre gemacht.“
Sie ging als Ökonomin in einen Baubetrieb, erstellte Kalkulationen für den „Wasserkopf“ der dortigen Forschungsabteilung und holte sich Rückenschmerzen vom „Rumsitzen“. „Mir war klar, daß diese Wirtschaft nicht mehr lange überleben kann.“ 1983 schließlich wechselte sie erneut das Fach und wurde Verwaltungsleiterin in der Charite. Nach sechs Jahren ging sie auch dort, da ein neuer Chef ihr frühere Eskapaden vorzuhalten drohte. Zurück zur Wissenschaft: diesmal in den Bereich Literatur, eines ihrer Steckenpferde. Als die Arnold-Zweig-Gedenkstätte eingerichtet wurde, bekam sie dort einen Job, verbunden mit der Arbeit im Corella-Archiv.
Warum nun das Engagement für die SPD? „Das hat mit meiner unterbrochenen wissenschaftlichen Karriere zu tun, oder besser: Die Sozialdemokratie war mir immer näher als die Kommunistische Partei.“ Je mehr sie in Archiven arbeitete, desto klarer sei ihr geworden, daß diese Partei eine „tote Blüte am Baum der Bewegung“ gewesen sei und in ihrer deutschen Variante immer am Tropf der stalinistischen Kommintern hinge. Die SED habe in der Nachfolge dann völlig den Zeitbezug verloren: „Der Kommunismus ist nicht mehrheitsfähig, alle extremen Bewegungen sind es nicht.“
Das Schwimmen im Fahrwasser traditioneller SPD-Positionen fällt ihr nicht schwer. Die „linken Jusos in der Bundesrepublik“ hingegen betrachtet sie mit einiger Skepsis. Willy Brandt sei ihr politischer Ziehvater, und mit leichtem Erröten schwärmt sie von seinem Charme. Um gleich wieder ernsthaft zu werden: Sicher, der momentane Schlingerkurs der gesamtdeutschen SPD koste Stimmen, aber die Kassandrafunktion ihrer Genossen Lafontaine und Thierse könne sie nur unterstützen. Und die Einheit? „Am 18. März wurde entschieden“, sagt die Realistin.
Realistische Politik in Hellersdorf definiert sie - und einige Selbstüberredung fehlt da nicht angesichts der ungeklärten Finanzlage - als Politik der kleinen Schritte. Als erstes arbeite man an der Verbesserung der Infrastruktur - Erstellung eines Gewerbeansiedlungsplans - und an der Wohnungssituation. „Ich will im Kiez Arbeitsplätze schaffen und nicht nur von außen importieren.“ Geduld fiele da manchmal schwer: „Wenn wir wollten, könnte an jeder Ecke schon unkontrolliert gebaut werden.“ Einfache Wege liegen ihr eben nicht.
Nana Brink
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