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Die Verfassung Südafrikas

■ Fast könnte man meinen, der ANC und die weiße Regierung säßen nicht nur in einem Boot, sondern regierten schon gemeinsam

Aus Johannesburg Hans Brandt

„Der Weg zu Verhandlungen über eine neue Verfassung ist jetzt bereitet“, heißt es zum Abschluß des Abkommens vom Dienstag zwischen der südafrikanischen Regierung und dem Afrikanischen Nationalkongreß (ANC). Doch wie genau dieser Weg verläuft und wieviele Schlaglöcher er hat - darüber gehen die Ansichten zwischen Regierung und ANC weit auseinander. Letzterer will so bald als möglich die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung, die ein Grundgesetz für Südafrika ausarbeiten soll. Das wiederholte ANC -Vizepräsident Nelson Mandela am Vorabend der jüngsten Verhandlungen. Mandela betonte, daß eine solche Wahl, an der alle SüdafrikanerInnen teilnähmen, Fragen nach dem politischen Gewicht einzelner Gruppen und nach der Legitimität von Verhandlungsstrukturen endgültig aus der Welt räumen würde.

Doch wenn es nichtrassistische Wahlen vor Verhandlungen über eine Verfassung gibt, wer soll dann diese Wahlen überwachen? „Kann eine der Parteien, in diesem Fall die (regierende) Nationale Partei (NP) gleichzeitig Spieler und Schiedsrichter sein?“ fragte Mandela. „Natürlich nicht“, antwortete er selber. Deshalb fordert der Afrikanische Nationalkongreß eine Übergangsregierung, in der alle politischen Kräfte des Landes, von ultrarechten weißen Extremisten bis zu linken Splittergruppen, vertreten sind. Eine solche Regierung würde die Unterstützung aller Beteiligten genießen. Sie müßte, so der ANC, per Dekret regieren können, um langwierige parlamentarische Prozesse zu vermeiden.

Beides wird von der Regierung de Klerk rundweg abgelehnt. Sie fühlt sich nach internationalem Recht legitim, sie sei keine Kolonialregierung. De Klerk ist jedenfalls nicht bereit, die Macht abzugeben oder die legislative Funktion des Parlaments auszuschalten. Die NP will keine nichtrassistische Wahl zu Beginn des Verhandlungsprozesses. Stattdessen sollen Vertreter politischer Gruppen, deren Legitimität „allgemein akzeptiert“ wird, Verfassungsgrundlagen ausarbeiten. Über diese soll die Bevölkerung dann in einer Volksabstimmung entscheiden.

Was die Ablehnung einer Übergangsregierung betrifft, spricht die Realität eine andere Sprache. Immerhin gibt es eine Reihe von gemeinsamen Arbeitsgruppen zwischen ANC und Regierung, die sich mit Fragen des bewaffneten Kampfes, mit der Freilassung von politischen Gefangenen oder mit der Strukturierung von Verhandlungen über eine Verfassung befassen. Auch auf Provinz- und Lokalebene gibt es zahlreiche Beispiele der Zusammenarbeit bei Problemen mit Schulen oder Demonstrationen oder Gewaltausbrüchen. Man verwaltet de facto in vielen Bereichen schon zusammen. Wichtigste Ausnahme ist der Sicherheitsbereich. Dennoch wissen beide über die jeweilige Kompromißfähigkeit mehr, als sie in der öffentlichkeit zugeben. So glauben politische Beobachter, schon jetzt einen möglichen Clou in der Frage der Verfassungsverhandlungen erkennen zu können. Danach würden Verfassungsgrundlagen in einem Forum ausgearbeitet, das mehr oder weniger den Wünschen der Regierung entspricht. Tatsächlich meint ein ANC-Vertreter, der nächste Schritt im Verhandlungsprozeß sei eine „Übereinkunft über die Prinzipien, die einer Verfassung zugrunde liegen sollten“. Beide Seiten haben schon vor einiger Zeit Verfassungsgrundlagen ausgearbeitet, die durchaus miteinander vergleichbar sind.

In einer Volksabstimmung würden diese Grundlagen akzeptiert werden - und obwohl alle SüdafrikanerInnen an einer solchen Abstimmung beteiligt wären, würde es Mechanismen geben, um das Ergebnis nach Ethnien zu analysieren. Damit könnte de Klerk sein oft wiederholtes Versprechen einlösen, weiße WählerInnen über ein neues Südafrika abstimmen zu lassen und zugleich neue Wahlen nach Apartheidmaß (Weiße, Mischlinge und Inder) vermeiden.

Dann könnte eine Übergangsregierung gebildet werden, die Wahlen für eine verfassunggebende Versammlung durchführt. Diese würde endlich unter Berücksichtigung der schon verabschiedeten Verfassungsgrundlagen im Detail eine neue Verfassung ausarbeiten. Das könnte bis etwa 1994 abgeschlossen sein.

„Wir erheben nicht den Anspruch, die einzigen Parteien zu sein, die an der Bildung eines neuen Südafrikas beteiligt sind“, behaupten Regierung und ANC in dem jüngsten Abkommen. Beide versuchen, andere Gruppen für sich zu gewinnen. Die Regierung bevorzugt „gemäßigte“ Schwarze wie vor allem die Zuluorganisation Inkatha und deren Führer Häuptling Mangosuthu Buthelezi. Der ANC bemüht sich schon seit einigen Wochen, Kontakte zu Homeland-Führern und schwarzen Stadträten, aber auch zu Kirchen und schwarzen politischen Opponenten wie dem Panafrikanistischen Kongreß (PAC) auszubauen. ANC-Vertreter machen keinen Hehl daraus, daß sie keinen runden Tisch mit unzähligen rivalisierenden Parteien wünschen.

Für Anfang nächsten Jahres ist jedenfalls eine gemeinsame Konferenz von Anti-Apartheid-Organisationen geplant, bei der Gruppen wie ANC, PAC und die „Black-Consciousness„-Bewegung ihre Strategien koordinieren können.

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