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Die neue alte Atompartei?

■ Berlins Regierender Walter Momper und seine SPD haben die Wahl

KOMMENTAR

West-Berlins Umweltsenatorin Schreyer hat getan, was sie laut Gesetz tun mußte. Sie hat einem Reaktor die Genehmigung verweigert, der nicht zu genehmigen ist. Das lediglich unbefristete Abstellen von verbrauchten hochradioaktiven Brennelementen in einem überdachten schottischen Lagerraum können nur ignorante Atomknechte als „gesicherte Entsorgung“ und „schadlose Verwertung“ bezeichnen. Auch in der SPD dürfte sich niemand finden, der die geplante „Zwischen„lagerung der strahlenden HMI-Exkremente allen Ernstes als ordnungsgemäße Entsorgung im Sinne des Atomgesetzes bezeichnen könnte. Darum geht es schon gar nicht mehr. Die SPD verlangt von der Umweltsenatorin nichts weniger, als beide Augen zuzudrücken und die Genehmigung trotzdem auszustellen. Man kann das Pragmatismus nennen

-oder Aufforderung zum Rechtsbruch.

Die SPD wird erklären müssen, warum eine Entsorgung plötzlich als gesichert gilt, die ihre Minister Jansen, Griefahn, Leinen, Jochimsen und ihre Energieexperten Schäfer, Schily, Catenhusen, Fahrtmann noch vor wenigen Wochen dreimal täglich als chronisch ungelöst aufs schärfste geprügelt haben. Sie wird eine dreifache Schraube mit Salto mortale vorführen müssen, damit in Berlin als prima Entsorgung gilt, was in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und auf allen SPD-Parteitagen stets wichtiger Grund für den Papiertiger Ausstieg aus der Atomenergie war. Mag die SPD sich derart verrenken?

Das einzige Argument der Sozialdemokraten war bisher, der Wannsee-Reaktor sei ja doch eher von der possierlichen Sorte. Und wer wird schon wegen der paar Brennelementlein einen Aufstand machen? Verludertes Rechtsbewußtsein, das konnte erwartungsgemäß niemand überzeugen, am allerwenigsten die wegen ihrer Kompetenz und ihrer Integrität nicht nur in Berlin hochangesehene Umweltsenatorin Schreyer.

Das einzig erkennbare Motiv für Momper und seine SPD, den Reaktor trotzdem zu genehmigen, ist die leere Kasse. Diese leere Kasse diktiert Wohlverhalten gegenüber Bonn bis zur Selbstaufgabe. Diese leere Kasse hat den Senat so weit gebracht, Automobilkonzernen Stadtzentren hinterherzuwerfen. Und jetzt soll der dringend notwendige Bonner Geldsegen mit atomrechtlichen Kniefällen erkauft werden. Politik als Unterwerfungskür. Der Bückling als Berliner Dauerkonserve. Lassen wir's Richard Löwenthal (SPD) sagen: „Wo die Zwänge regieren, hat die Politik versagt.“

Was nun, Herr Momper? Der Regierende muß die Frage beantworten, ob die SPD wieder Atompartei werden will. Momper muß zeigen, was ihm und der SPD die „einzig realistische Reformperspektive“ (Momper über Rot-Grün) wirklich wert ist. Und Momper muß wissen: Jetzt ist es die SPD, die die Koalition bricht - wegen eines possierlichen Forschungsreaktors. Der nachdenkliche Teil Berlins - bis hin zum konservativ-liberalen 'Tagesspiegel‘ - bekundet Respekt vor der Entscheidung von Senatorin Schreyer; dagegen wirkt die SPD mit ihrer Genehmigung-umjeden-Preis-Position nurmehr opportunistisch und weichgeklopft.

Vielleicht hilft dem Berliner Regierenden ein Telefongespräch mit Holger Börner. Der einstige hessische Ministerpräsident kann ihm heute vielleicht erklären, wie schnell man vom Ministerpräsidenten zum Feierabendpolitiker abrutschen kann. Und wie das damals war, als in Wiesbaden vor lauter Atomknicksen die Koalition zusammenbrach und am Ende Walli Wallmann kichernd den Chefsessel schmückte.

Manfred Kriener

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