: „Bagatellen - Erinnerung und Fantasie“
■ Lebens-Geschichten von Ernestine Zielke, Schauspielerin / Bisher unveröffentlichte Auszüge / taz-Sommer-Serie, Folge 1
Vielen BremerInnen ist sie ein Begriff: Ernestine Zielke, streitbare Schauspielerin, seit '62 in Bremen und ein Bild einer sogenannten „unwürdigen“ Alten mit dieser knallroten Löckchenpracht. In ihren letzten Einfrau-Programmen „Menetekel“ und „Der Widerspenstigen Zerstörung“ zieht sie bitterbitterböse gegen die Zurichtung der Frauen zu Felde.
Seit einiger Zeit schreibt Ernestine Zielke an und entlang ihrer Erinnerungen. Sie ist Jahrgang 1923, entstammt also einer Eltern- und Frauen-Generation, die sich nicht gerade durch Selbstreflexion hervorgetan hat. Warum sie schreibt? Um sich zu erinnern. Und weil, wie sie ganz lakonisch bemerkt, „ich nicht ewig spielen kann. Mußt ich mir was anderes ausdenken.“ Eine Autobiographie soll es eigentlich nicht sein. Und vieles ist so lange her. Aber es könnte genauso gewesen sein. Außerdem ist „das ICH ja auch in den Spinnereien drin!“ Was interessiert sie an (ihrem) Vergangenen? Wie Menschen zusammengelebt haben. Es ist ein Abenteuer, sagt sie, sich in ihrem Alter darauf einzulassen, nochmal ICH zu sagen. „Ich lebe allein. Ich möchte noch genauer wissen, wie ich einen Weg weitergehen will, soweit es noch auf meinen Willen ankommt.“ (E.Z.)
hierhin bitte die Zeichnung Frau auf Sarg
ICH soll keine Briefe mit ICH anfangen, habe ich gelernt. Nicht: 'Ich habe mich über Deinen Brief gefreut‘, sondern 'Über Deinen Brief habe ich mich gefreut‘. Nicht: 'Ich bin traurig'daß Du nicht mehr bei mir bist‘, sondern 'Daß Du nicht mehr bei mir bist, macht mich traurig.‘
ICH immer an zweiter Stelle, so lautet die Regel. Einzige Ausnahme: Ein Lebenslauf muß mit ICH beginnen. 'Ich, Walburga Wahn, Tochter des Kaufmanns Siegfried und dessen Ehefrau Rebekka, geborene Heydemann, wurde am 20. April 1923 in Braunschweig geboren.‘ Meine Mutter weigerte sich, einen anderen Vornamen zu beantragen. Der Standesbeamte hatte ihr jedesmal bei der Geburtsanzeige eines Kindes nahegelegt, ja, dringend empfohlen, aus der Rebekka eine Regine zu machen. 'Bitte, dann bleiben doch die Anfangsbuchstaben und die Initialen auf den Servietten, Taschentüchern und Kopfkissen stimmen weiterhin. Sie sind doch keine Jüdin!‘ Ein paar Sätze gab es noch, die mit ICH anfingen: Ich bin nichts, mein Volk ist alles! Ich schwöre dem Kaiser-dem-Führer-der -Fahne-Treue-und-Gehorsam. Nur noch Ausführung von Befehlen und Nibelungentreue.
In der Schule wurde uns ein Bild vorgestellt: Ein vorbildlicher Offizier Friedrichs des Großen. Friedrich der Große hatte ihn vor versammelter Mannschaft wegen einer Kleinigkeit einen Hundsfott geheißen: Der Offizier trat aus dem Glied und forderte seinen König wegen Beleidigung zum Duell. Er zog seine Pistole, legte auf Friedrich anund schoß dann in die Luft. Jetzt war Majestät an der Reihe. Der Offizier: 'Da ich aber nicht erwarten kann, daß Euer Majestät meine Ehre auf diese Weise wiederherstellen, tu ich es für Euch. Treue bleibt Treue‘ - und dann erschoß er sich selbst. Friedrich hatte Tränen in den Augen gehabt, als er sagte: 'Er war der Treueste.‘ - Auch wir Schulkinder waren ergriffen und die ganze Klasse heulte. Die Knaben durften es tun wie Friedrich. Dann machten wir ein Stück daraus. Die Rolle des Offiziers war sehr beliebt. Der Lehrer wollte gerecht sein und niemanden bevorzugen. So kam es denn dazu, daß schließlich auch die anderen Jungen, die die Langen Kerls spielten, hervortreten und sich, in gleicher Weise wie der Offizier, kollektiv erschießen durften. Und sie fielen so echt wie möglich. Die Rolle des Königs war nur interessant durch die Tränen, die man vergießen durfte. Am besten echte Tränen. Spucke war verpönt. Der Friedrich hatte dadurch immer einen etwas starren glotzenden Blick. Wir Mädchen spielten die trauernden Hinterbliebenen. Wir stützten den König beim Abgang.
Eine hohe Hitlerjugend-Führerin hatte Lebensmittelmarken aus der Tasche einer Kameradin gestohlen. Man erwischte sie, führte sie in ein Zimmer, auf dem Tisch lag eine Pistole, sie erschoß sich. Der Ehrenkodex - die geschworene Ich -Aufgabe - verbot jedes Nachdenken und machte den Weg frei für jedes Verbrechen. Und macht den Weg immer noch frei.....
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