: Zweifel werden nicht zugelassen
■ In Stuttgart-Stammheim klammert sich der Staatsschutzsenat im Revisionsprozeß gegen Luitgard Hornstein verbissen an unhaltbare Anklagen und Urteile / Nach der Demontage des Schriftsachverständigen Hans Ockelmann tut die Stammheimer Justiz immer noch so, als sei nichts geschehen
Von Walter Jakobs
Neun Monate saß der Düsseldorfer Rolf Hartung 1988/89 in Untersuchungshaft. Für den damaligen Generalbundesanwalt Kurt Rebmann stand fest, daß der am 4. Oktober 1988 verhaftete Hartung als Mitglied der RAF in einer sogenannten „Kämpfenden Einheit“ an den Bombenanschlägen auf die Immerstaader Dornier-Werke und das Kölner Amt für Verfassungsschutz im Jahr 1986 beteiligt war. Für die Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW) bestand darüber hinaus kein Zweifel daran, daß Hartung den Dornier-Anschlag, zu dem ein Bekenntnis einer sogenannten „Kämpfenden Einheit“ vorlag, unter anderem zusammen mit Luitgard Hornstein durchgeführt hatte.
Die beiden kannten sich von der Düsseldorfer Kiefernstraße, wohnten - ordentlich gemeldet - längere Zeit in den dort besetzten Häusern und zählten sich selbst zum sogenannten „antiimperialistischen Widerstand“.
In Stuttgart-Stammheim steht Luitgard Hornstein, die vom 4.Strafsenat des dortigen Oberlandesgerichts am 28. Juni 1988 schon wegen „mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Urkundenfälschung“ zu vier Jahren Haft verurteilt worden war, wegen des Dornier-Anschlages ein zweites Mal vor Gericht. Rolf Hartung, der in der Welt am 13.Oktober 88 schon als „Bombenleger“ bezeichnet worden war, sitzt möglicherweise auf der Zuschauerbank, denn Rolf Hartung ist frei. Von der dicken Anklageschrift gegen ihn ist nichts geblieben; für die erlittene U-Haft hat er inzwischen Haftentschädigung bekommen.
Die Justiz-Pleite hat einen Namen: Ockelmann
Der Fall Hartung hat viel mit dem Hornstein-Prozeß zu tun. So viel, daß die Stammheimer Richter davon am liebsten gar nichts hören mögen. Die Pleite der Bundesanwaltschaft im Falle Hartung hat nämlich einen Namen, dem auch im Hornstein -Verfahren zentrale Bedeutung zukommt: Hans Ockelmann, privater Schriftsachverständiger aus Hamburg. Nachdem dessen Gutachten, das einzige „Beweisstück“ gegen Hartung, sich als unhaltbar erwiesen hatte, war der Bundesanwaltschaft nur der Rückzug geblieben. In der Ockelmann-Expertise war Hartung als der Urheber von Warnschreiben zum Dornier-Anschlag und von handschriftlichen Einfügungen in das Bekennerschreiben zum Anschlag auf das Kölner Amt für Verfassungsschutz bezeichnet worden. Doch das Gutachten war - wie die taz am 23.11.89 berichtete - „vom Ergebnis her falsch“.
Das vernichtende Urteil stammt von Dr. Kai Nissen, renommierter Schriftsachverständiger des Landeskriminalamtes in Baden-Württemberg. Nissen kam zu dem Schluß, daß das Ockelmann-Gutachten „außerordentlich weit entfernt ist vom heutigen Stand des Faches“ und „als methodisch fehlerhaft und vom Ergebnis her als falsch anzusehen ist“.
Der Mann, der 1989 von Nissen mit diesen Worten fachlich demontiert wurde, galt der Bundesanwaltschaft bis dahin als eine Art Geheimwaffe gegen eine Vielzahl von Düsseldorfer „Antiimperialisten“, die sich nach Meinung der Staatsschützer zu einer „kämpfenden Einheit“ zusammengeschlossen hatten. „Kämpfende Einheiten“ gelten bei der BAW als zur RAF gehörende Gruppen, die ihre Anschläge aus der Legalität heraus in enger Absprache und Kooperation mit den in der Illegalität lebenden RAF-Mitgliedern ausführen. Entsprechend dieser Karlsruher Konstruktion wurden in der Vergangenheit mehrere Personen, die die Gerichte als Mitglieder von „Kämpfenden Einheiten“ glaubten überführt zu haben, regelmäßig auch wegen Mitgliedschaft in der RAF verurteilt.
Ins Zentrum der Bundesanwaltschaft geriet die Düsseldorfer antiimperialistische Szene am 2.8.86. An diesem Tag wurde Luitgard Hornstein gemeinsam mit dem Düsseldorfer Christian Kluth und mit Eva Haule in einem Eiscafe in Rüsselsheim verhaftet. Eva Haule gehörte zu den in der Illegalität lebenden RAF-Mitgliedern und wurde per Haftbefehl gesucht.
Während Haule vom 5. Senat des OLG Stuttgart zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, erging gegen den bis dahin legal in Düsseldorf lebenden Kluth wegen Mitgliedschaft in der RAF und Beteiligung am Dornier-Anschlag eine Haftstrafe von zehn Jahren. Hornstein kam mit vier Jahren wegen Mitgliedschaft in der RAF davon, weil der Senat aus formalrechtlichen Gründen den Anklagepunkt Dornier in ihrem Fall nicht zuließ. Dagegen legte die BAW beim Bundesgerichtshof erfolgreich Revision ein. Infolgedessen wird nun über die Beteiligung am Dornier-Anschlag in Stammheim erneut verhandelt.
Eines ist sicher:
Die Parolen glichen sich
Am 25. Juli 86 detonierte auf dem Dornier-Gelände in Immenstaad gegen 5 Uhr in der Früh eine Autobombe. Es entstand ein Sachschaden von etwa 500.000 DM. Am 16.7.1986 wurde Christian Kluth in Düsseldorf von der Polizei kontrolliert. Man fand bei ihm eine Reihe von Papieren zum militärisch-industriellen Komplex - auch zu Dornier - und einen handschriftlich beschrifteten Zettel mit Parolen, die sich später nahezu wortgleich als Eingangsparolen auf dem Bekennerschreiben zum Dornier-Anschlag wiederfanden. Nach einem Schriftgutachten des Bundeskriminalamtes ordnete man die Handschrift auf dem Zettel dem ebenfalls in der Kiefernstraße lebenden Erik Prauss zu.
Prauss wohnte zusammen mit Andrea Sievering, der Freundin von Christian Kluth. Den Parolenzettel nahmen die Ermittler zum Anlaß, gegen Kluth, Hornstein, Prauss und Sievering konkrete Ermittlungen in bezug auf den Dornier-Anschlag anzustellen. Die Schriftsachverständige des BKA, Barbara Wagner, wurde mit der Begutachtung der drei Briefumschläge, in denen die Bekennerschreiben verschickt worden waren, beauftragt. Im Ergebnis hielt Wagner die Urheberschaft von Frau Sievering für „möglich“. Dazu muß man wissen, daß das BKA bei seinen Schriftgutachten nach einer sechsstufigen Rangfolge geht, die von „nicht entscheidbar“ bis zu „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ reicht. Das Prädikat „möglich“ kommt gleich nach „nicht entscheidbar“, und in der Praxis bedeutet die Einstufung „möglich“, daß auch noch ungezählte weitere Personen als Urheber in Frage kämen. Für die Belastung von Andrea Sievering gab dieses Ergebnis nichts her.
Am 15.4.1987 schrieb der Sachbearbeiter des für die Aufklärung des Dornier-Anschlags federführenden Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, Färber, einen 70seitigen Bericht, in dem er den Ermittlungsstand darstellte. In Kenntnis sämtlicher Beweismittel, einschließlich des Parolenzettels, kam der Bericht zu dem Ergebnis, daß ein konkreter Tatverdacht gegen bestimmte Personen im Fall Dornier nicht bestand. Das überrascht nicht, denn die von Prauss auf dem bei Kluth gefundenen Zettel formulierte Parole kursierte in der Szene und tauchte auch noch bei einem Anschlag am 8. September 86 auf. Tatsächlich entlastet der Parolenfund vom 16.7.86 die DüsseldorferInnen, denn für sie wäre es absolut zwingend gewesen, bei dem Anschlag am 25.7.86 gerade nicht die mit ihrem Namen verbundene Parole zu verwenden.
Herausgefunden hatten die Ermittler darüber hinaus, daß Kluth, Hornstein, Prauss und Sievering, die zweifellos zur militanten Szene gehören und der RAF-Ideologie - nicht der Organisation - nahestehen, im Juli 1986 zeitweise unter falschen Namen mit falschen Papieren sich in der Eifel und in Kölner Jugendherbergen aufhielten. Ein Beweis dafür, daß sie Papiere gefälscht haben, ein nicht gerade ungewöhnliches Verhalten in der ständig vom Staatsschutz observierten antiimperialistischen Szene.
Christian Kluth überlegte seinerzeit sogar, ganz in die Illegalität zu gehen. Auf 13 Seiten, die die Polizei bei ihm sicherstellte, hat er die Vor- und Nachteile abgewogen. Bei dem Treffen mit der RAF-Frau Eva Haule am 2.8.86 wollte er nach seiner eigenen Darstellung diese Frage mit einer Illegalen diskutieren. All dies war dem LKA-Beamten Färber bekannt, als er seinen Vermerk am 15.4.87 schrieb. Mit diesen Erkenntnissen konnte man alles mögliche beweisen, nur nicht eine Anschlagsbeteiligung.
Diese Einschätzung schlug sich auch in der Anklageschrift gegen Kluth und Hornstein nieder, die sich nur auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in der RAF stützte. Entsprechend begann auch die Beweisaufnahme in dem Verfahren gegen Hornstein, Kluth und Haule am 1.9.1987 vor dem OLG Stuttgart.
Doch die Bundesanwaltschaft (BAW) wollte mehr. Am 3.12.87 beauftragte die BAW Hans Ockelmann zu begutachten, ob Sievering die in Immenstaad aufgegebenen Bekennerbriefe zum Dornier-Anschlag beschriftet habe. Bereits wenige Tage später legte Ockelmann ein Gutachten vor, in dem Sievering ohne jeden Zweifel als die Urheberin bezeichnet wurde. Am 18.12. ließ die BAW Prauss und Sievering in Düsseldorf verhaften. Drei Tage später erging auf Antrag der BAW im Stammheimer Verfahren gegen Kluth ein rechtlicher Hinweis, der die Anklage um den Dornier-Anschlag in rechtlich zulässiger Form erweiterte. Die Wochen später von der BAW in gleicher Absicht auch gegen Hornstein beantragte Anklageausweitung lehnte das Gericht aus formalen Gründen ab.
Für Sievering und Prauss, die sich beide ebenfalls seit langem zum „antiimperialistischen Widerstand“ zählen, bildete das Ockelmann-Gutachten, das als einziges Beweismittel für die leibliche Anwesenheit einer der angeklagten DüsseldorferInnen in Immenstaad sprach, die wesentliche Grundlage ihrer Verurteilung. Beide erhielten je neun Jahre Haft. Daß die Angeklagte Sievering die Briefe adressiert habe, stehe „aufgrund der Gutachten der Schriftsachverständigen Barbara Wagner und Hans Ockelmann ... fest“, heißt es in der Urteilsbegründung des 5. Senats. Die Ausführungen des Sachverständigen Ockelmann, „an dessen wissenschaftlicher Qualifikation und Objektivität der Senat nicht zweifelt, ergänzen das Gutachten der Sachverständigen Wagner und erhärten die dargelegte Überzeugung des Gerichts“, heißt es weiter im Urteilstext.
Ohne Umstände wird die Gutachterin Wagner, die Sievering als Urheberin lediglich für „möglich“ hielt, nicht nur eingebunden, sondern im Urteil werden die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Das zentrale Ockelmann-Gutachten „ergänzt“ und „erhärtet“ plötzlich nur noch. Eine Formulierung, die ganz offensichtlich gewählt wurde, um revisionssicher zu sein. Weil der Senatsvorsitzende Schmid alle Anträge auf Hinzuziehung weiterer Schriftgutachter im Verfahren abgelehnt hatte, war dem Senat bei der Urteilsformulierung klar, daß der Revisionsantrag der Verteidigung genau darauf abzielen würde.
Offenbar schwante dem Gericht, daß die Blockade der fachlichen Überprüfung von Ockelmann nicht für alle Zeiten gesichert war. Weil eine Demontage der Zentralfigur Ockelmann aber das gesamte Verfahren zu sprengen drohte, spielte der Senat dessen Bedeutung im Urteil einfach herunter. Mit durchschlagendem Erfolg beim Bundesgerichtshof, der die Ablehnung der Revision so begründete. „Auch wenn die Sachkunde des Schriftgutachters Ockelmann zweifelhaft sein sollte, war das Oberlandesgericht aus Rechtsgründen nicht gehalten, neben der Schriftgutachterin Wagner, gegen deren Sachkunde auch die Revision keine Bedenken geltend macht, einen dritten Schriftgutachter hinzuzuziehen. Die Überzeugung des Oberlandesgerichts von der Schuld der Angeklagten beruht nicht entscheidend auf dem Gutachten des Sachverständigen Ockelmann. Das Oberlandesgericht sah sich durch ihn lediglich in seiner Überzeugung, die es aus dem Gutachten Wagners und von anderen Indizien gewonnen hatte, bestätigt“.
Einer solchen Interpretation ihres Gutachtens hat die BKA -Sachverständige Wagner, die vor der Sommerpause als Zeugin im Hornstein-Prozeß vor dem nun verhandelnden 4.Senat gehört wurde, heftig widersprochen. In der schriftlichen Begründung des Hornstein-Urteils, das ebenfalls vom 5. Senat unter dem Vorsitz von Schmid gefällt wurde, heißt es, daß der Senat „auch aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen Wagner zu der Überzeugung“ komme, „daß Andrea Sievering alle drei Briefumschläge beschriftet hat. Er schließt es aus, daß ein Dritter durch Verstellung zufällig einen so seltenen Grad an Übereinstimmung seiner Schrift mit derjenigen von Sievering erreichen konnte.“ Diese Schlußfolgerung, so Frau Wagner, die den schriftlichen Urteilstext bis dahin nicht kannte, wörtlich im Gerichtssaal, „ist abwegig“.
Ein Antrag der Verteidigung, jetzt Ockelmann als Zeugen zu laden, lehnte der 4. Senat ab. Angst vor der einstigen Geheimwaffe?
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