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■ Ein neues Wir-Gefühl? - Die deutsche Linke und die Golfkrise

GASTKOMMENTAR

Die Kontroverse zwischen Bernd Ulrich und Udo Knapp betrifft die Frage, ob militärischer Druck gegen den Irak in der derzeitigen Nahostkrise zu unterstützen sei oder nicht. Unstrittig scheint ein deutsches Wir-Gefühl als Ausgangspunkt der Argumentation zu sein. Ist das auch ein Zug, der nicht aufzuhalten ist? Bleiben neben den Gleisen nun auch für Grüne Aspekte liegen, die das gezeichnete Bild stören: die Ängste, die bei vielen Menschen in Europa doch noch vor „Deutschland“ vorhanden sind; die nach wie vor bestehenden Defizite der bundesdeutschen Demokratie, die diejenigen Kräfte erst hervorgebracht hat, aus denen sich schließlich die Grünen gebildet haben; die katastrophale Rolle, die international die Bundesrepublik zusammen mit anderen westlichen Staaten auf dem Weltmarkt spielt?

Letzteren Aspekt für die Politik seines Staates zu thematisieren, bleibt dem US-amerikanischen Professor Norman Birnbaum vorbehalten (taz vom 8.8.90). Ist das vielleicht der friedensgefährdende „bloße Antiamerikanismus“, von dem Udo Knapp spricht?

Die Frage der Haltung in der derzeitigen Nahostkrise scheint auf den ersten Blick gar nicht so kompliziert zu sein. Saddam Hussein macht es relativ einfach: eine Diktatur, in der auf übelste Weise seit jeher die Menschenrechte verletzt werden. Ein Staat, der mit modernsten und verheerenden „Waffen“ hochgerüstet ist und seine militärische Kapazität einsetzt. Doch dann wird es bereits kompliziert. In Ermangelung einer Friedensbewegung und einer Linken, die glaubwürdig eine Position zumindest formulieren, wenn auch nicht politisch durchsetzen könnten, scheint für nicht wenige das Kriterium für die Glaubwürdigkeit der eigenen Position die Möglichkeit ihrer politischen Durchsetzbarkeit zu sein. So kommt es unbesehen zu einer mehr oder weniger starken Anlehnung an die (groß)machtpolitischen Handlungsebenen, die von den politischen „Machern“ vorgegeben sind. Alles andere wird (taz vom 11.8.) unisono als bloß hehre Argumente pazifistischer Unschuld, mit der über die Anforderungen an eine Weltmacht hinweggegangen wird (Ulrich), als Hilfsargument, um der neuen Weltfriedensverantwortung Deutschlands am Ende doch auszuweichen (Knapp) und als Wunsch nach gutem Gewissen derjenigen, die unter keinem Handlungsdruck stehen (Christian Semler), abgetan.

Es macht Mühe, politische Hilflosigkeit einzugestehen und/oder Positionen zu beziehen, die in den herrschenden Machtkategorien nicht durchsetzbar sind. Ich halte auch nichts von dem Bedürfnis nach einem reinen Gewissen, verbunden mit vermeintlich moralisch unangreifbaren Positionen im gesicherten eigenen Sessel. Aber muß das bedeuten, die eigene Position nur noch unter der Fragestellung zu formulieren: „Was würde ich tun, wenn ich Bundeskanzler oder Verteidigungsminister wäre?“

Bei dem Versuch, eine grün-links-friedensbewegt -geschichtsbewußte Position in der derzeitigen Nahostkrise zu entwickeln, muß eingestanden werden, daß es keine klaren und eindeutigen Antworten gibt; die Debatte um eine Position zur aktuellen Krise im Nahen Osten folgende Aspekte berücksichtigen muß:

1. Die Grünen sind bisher mit guten Gründen gegen jeden Versuch, Konflikte militärisch lösen zu wollen, eingetreten. Der Libanon-Konflikt sollte alle die nachdenklich machen, die jetzt fragen, ob militärischer Druck jetzt notwendig ist.

2. Der Libanon-Konflikt zeigt deutlich die Grenzen der innerarabischen Konfliktlösungspotentiale.

3. Die Verwendung der Kategorien „antiamerikanisch“ und „antiisraelisch“ würgt Diskussionen ab. Auf die komplexen Funktionen der US-Politik in der derzeitigen Nahostkrise hinzuweisen, wie Norman Birnbaum dies tut, ist nicht „antiamerikanisch“.

Die Politik des Irak bietet den herrschenden politischen Kräften in Israel eine willkommene Gelegenheit, von der Bedeutung und der aktuellen Ausprägung des israelisch -palästinensischen Konfliktes abzulenken; das zu sagen, ist nicht „antiisraelisch“. Es sollte nicht Ausdruck einer apologetischen Haltung gegenüber der Politik des Irak sein, zu sehen, daß „die palästinensische Sympathie ... für Saddam Hussein vor allem das Ergebnis von Schamirs Politik ist, den Palästinensern fundamentale Rechte zu verweigern“ (taz vom 11.8.). Die Bedrohung Israels durch den Irak wird nicht bestritten, die Ängste von Israelis werden nicht beiseite gewischt, und den Palästinensern muß erklärt werden, daß ihre mögliche Sympathie für Saddam Hussein vielleicht verstanden, aber nicht akzeptiert wird.

4. Die Rolle bundesdeutscher Firmen bei der Aufrüstung des Irak kann nicht bloß als Ausdruck einzelner geschäftsgieriger Unternehmer personalisiert werden. Diese Vorgänge sind die Kehrseite „unserer“ Marktwirtschaft.

5. Das (auch von Knapp) geforderte Verbot jeglichen Rüstungsexportes in den Nahen Osten verweist einmal mehr auf die Notwendigkeit, sich bei der Formulierung der eigenen Position nicht zu dicht an die herrschenden Machtkategorien zu begeben. Man könnte damit schnell an einen Endpunkt kommen, wo diese Forderung nicht mehr aufrechtzuerhalten wäre. Saudi-Arabien könnte argumentieren, es wäre vielleicht möglich gewesen, darauf zu verzichten, die USA ins Land zu holen, wenn die Bundesrepublik vor Jahren die gewünschten Leopard-Panzer geliefert hätte. Und die israelische Regierung, die demnächst endgültig über die Beschaffung zweier U-Boote aus der Bundesrepublik zu entscheiden hat, würde dann darauf verweisen, wie notwendig diese zur Abschreckung des Irak seien.

Jörn Böhme

Der Autor ist ehemaliger Israel-Referent der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste und derzeit vertretungsweise Nahostreferent der Fraktion Die Grünen

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