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Leben nach der Vereinigung

■ „Disput“, Di.'DFF2, 20.00 Uhr

Ein Streitgespräch hätte es werden sollen. Leider kam es dazu erst in den letzten Minuten. Die vom Gewerkschaftsjugendrat ausgewählten 30 Jugendlichen zeigten den MinisterInnen erst kurz vor Schluß die Zähne. Zunächst gab's Geplänkel von Elf 99-Moderator Michael Beck: Ob Ministerin Hildebrandt „Blümchen mag“ oder warum „Fräulein“ Schubert so gerne Linseneintopf ißt.

Satiriker Terhorst durfte die deutsche Frage wiederaufbereiten. „Gibt es ein Leben nach der Vereinigung?“ Die PolitikerInnen konnten ihre Meinung zum Thema „Zu jung für die Marktwirtschaft“ sagen. Die Betroffenen kamen erst spät zum Zug: Die Maßnahmen, die die DDR-Regierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vorgetragen hatte, seien „unwirksame Mittel, die aus der BRD übernommen wurden“, schimpfte ein Gewerkschaftsjugendlicher.

Nachbereitung, Nachbesserung, Beschwichtigungstherapie, keine echte Lösung, was die PolitikerInnen an den Mann bringen wollten. Endlich Klartext nach 50 Minuten Politiker -Statements, aber, wie gesagt, leider zu spät. Vorbei war die Sendezeit, die Moderator Michael Beck mit der Eieruhr messen mußte, weil der Computer defekt war. Die Ministerinnen Regine Hildebrandt, Arbeit und Soziales, und Schubert, Jugend und Sport, sowie der Leiter der Beruflichen Bildung im Ministerium für Bildung und Wissenschaft, Rainer Weidmann, hatten ausgiebig Gelegenheit, ihre Notstandsprogramme auszubreiten.

Naja, vielleicht wußten noch nicht alle vom neuen Berufsgrundbildungsjahr oder Berufsförderungsjahr, das Ministerin Hildebrandt als Lösung für die drohende Jugendarbeitslosigkeit anpries. Auch Rainer Weidmanns Ermahnungen, den „Rechtsrahmen voll auszuschöpfen“, mögen hilfreich gewesen sein; über die Probleme der Jugendlichen wurde jedoch wenig gesprochen. Keine Gelegenheit ließen die Regierungsvertreter aus, Jugendliche zu Eigeninitiative aufzurufen und ihre Hilfe zuzusichern.

„Die Verantwortung wird hier nur an die Jugendlichen verwiesen“, kritisierte der Präsident des Arbeitslosenverbandes Klaus Grehn. Statt konkreter Lösungen gab es utopische Ziele und gute Ratschläge. Rainer Weidmann: „Jeder Jugendliche soll bis zum 1.September einen Ausbildungsplatz haben.“ Regine Hildebrandt: „Bleiben Sie dran!“ Cordula Schubert: „Arbeitslosigkeit gab es schon immer. Das ist jetzt nur nicht mehr verschleiert.“ Das heißt nichts anderes als: Jugendarbeitslosigkeit ist unvermeidbar. Die Volkskammer hat zwar die Unkündbarkeit von Ausbildungsverträgen verabschiedet, nichtsdestotrotz wurden 10.000 Jugendliche in den letzten drei Wochen gekündigt. Firmen, die in Konkurs gehen, können auch ihre Lehrverträge nicht einhalten. Statt Vater Staat wird in Zukunft die Wirtschaft für Berufsausbildung zuständig sein. Nur bei guter Konjunktur werden Arbeitskräfte benötigt und ausgebildet. Rund 50.000 Jugendliche sind seit dem 1.Juli arbeitslos geworden - Tendenz steigend.

Karin Mayer

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