: Streikwelle gegen Sparkurs in Peru
■ Verzehnfachung des Mindestlohns gefordert / Morgen landesweiter Streik / Bombenanschlag auf Präsidentenpalast / Industrieminister will zurücktreten / Perez de Cuellar reist nach Lima
Lima (ips/ap) - Nach der Einführung eines wirtschaftlichen Schockprogramms durch die Regierung Fujimori steht Peru eine Reihe von Streiks bevor, mit denen die Beschäftigten eine Kompensation des Kaufkraftverlusts ihrer Löhne erreichen wollen. Die rund 35.000 Bankangestellten befanden sich am Montag bereits im Ausstand, die Gewerkschaft CITE, in der Staatsangestellte organisiert sind, begann gestern mit einer Kampagne des „zivilen Ungehorsams“, die am Donnerstag in einen unbefristeten Ausstand münden soll. Für Donnerstag haben auch der linksgerichtete „Allgemeine Verband Peruanischer Arbeiter“ (CGTP) und der kommunistische Gewerkschaftsverband CTP zu einem landesweiten Streik aufgerufen. Der CGTP verlangt die Einführung eines Mindestlohns von 50 Millionen Inti (umgerechnet derzeit 156 US-Dollar). Im Moment beträgt der gesetzliche Mindestlohn weniger als ein Zehntel davon. Unternehmerverbände haben sich für eine Anhebung auf höchstens 15 Millionen Inti (etwa 50 US-Dollar) ausgesprochen. Das Arbeitsministerium erklärte, man wolle vor einer Neuregelung der Mindestlöhne erst die Auswirkungen der ökonomischen Maßnahmen auf die Kaufkraft der Beschäftigten abwarten.
Der CGTP hat bereits Verhandlungen mit anderen Arbeitnehmervertretungen aufgenommen, um diese zur Unterstützung des Streiks zu bewegen. Die Gewerkschaft der Bergbau- und Metallarbeiter will ab 22.August in einen unbefristeten Ausstand treten.
Ein von der Regierung angekündigtes Hilfsprogramm, mit dem Nahrungsmittel im Wert von 415 Millionen US-Dollar an die Ärmsten verteilt werden sollen, wird noch im August beginnen. Die italienische Regierung kündigte am Montag eine Lebensmittelspende in Höhe von 15 Millionen Dollar an, die über Volksorganisationen und Stellen der katholischen Kirche verteilt werden soll.
Die Panikstimmung im Gefolge der massiven Preiserhöhungen hatte letzte Woche zu Plünderungen, Zusammenstößen mit dem Militär und der Festnahme von 6.000 Personen geführt. Mindestens 18 Personen kamen seit Freitag nach Angaben der Behörden bei den Unruhen um. Trotz schärfster Bewachung von Supermärkten und Lebensmittelgeschäften wird in Außenbezirken Limas weiter zu plündern versucht. Berichten zufolge soll es in den Vororten auch immer wieder zu Überfällen auf Lastwagen kommen, in denen Lebensmittel transportiert werden. Aus Feldern an den Siedlungsrändern graben die Slumbewohner Kartoffeln und andere Ackerfrüchte aus. Am Dienstag früh wurde auf den peruanischen Präsidentenpalast ein Bombenanschlag verübt, der beträchtlichen Schaden anrichtete. In Huantar, 465 km nordöstlich von Lima, hat der maoistische Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) den Bürgermeister und zwei Gemeindevertreter ermordet.
Die katholischen Bischöfe riefen am Montag Bevölkerung und Regierung dazu auf, Gewaltakte zu vermeiden. Der Lebensstandard der Armen dürfe sich nicht weiter verschlechtern; man solle „von denen mehr verlangen, die mehr haben“. Nach Schätzungen internationaler Organisationen leben in Peru sieben Millionen Menschen in absoluter Armut. „Der Schock hat Peru in ein Land verwandelt, das aussieht, als sei ein Krieg verloren“, schrieb ein Kommentator. „In Lima gibt es nur noch leere Restaurants, geschlossene Kinos, verlassene Klubs und Bars, es gibt keine Vergnügungsstätten mehr.“
Sprecher des peruanischen Industrie- und Handelsministeriums sagten voraus, daß Fujimoris Schockprogramm über 70 Prozent der nationalen Produktion, insbesondere auf dem Industriesektor, lahmlegen werde. Industrieminister Guido Pennano sehe sich daher gezwungen, seinen bereits dem Ministerrat angebotenen Rücktritt amtlich zu machen, sobald Regierungschef Miller seinen Wirtschaftsplan im Parlament vorgestellt habe, hieß es.
Gestern sollte UN-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar zu einem viertägigen Besuch in seinem Heimatland eintreffen, um mit Präsident Fujimori Möglichkeiten einer internationalen Hilfe für das krisengeschüttelte Land zu besprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen