: Anarchie
■ betr.: Bildunterschrift in der taz vom 8.9.90, Seite 8
betr.: Bildunterschrift in der taz vom 9.8.90, Seite 8
Unter einem ap-Funkbild aus Liberia findet sich eine Kurzbeschreibung, eine blutige Impression des Krieges dort. Darin steht der Satz: „In Liberia regieren weiter Terror und Anarchie.“ Anschließend werden dort verübte Greueltaten aufgelistet.
Die Autorin/der Autor des Textes verwendet nicht nur den Begriff Anarchie falsch, sondern unterstellt auch noch, dieser Begriff „regiere“. Abgesehen von solch unsinniger Abstraktion: anarchistische Regierung gibt es per Definition nicht. Immanuel Kant: „Anarchie ist Gesetz und Freiheit ohne Gewalt.“ Mit Anarchismus bezeichnen frau und mann Utopien und Theorien freier Gesellschaften ohne Macht von Menschen über Menschen. „Die Freiheit des Menschen als höchster Wert,“ so schreibt Franz Neumann in seinem Handbuch Politische Theorien und Ideologien, „erträgt keine Regierung, gleich welcher Legitimation, auch nicht die Demokratie, da deren Realisierung (im bislang unerreichten Idealfall, hk) die Herrschaft der Mehrheit auf repräsentativem Wege bedeutet.“
Die Verbindung von „Anarchie und Terror“ war und ist gängige Praxis in den staatsfixierten Medien. Sie dient seit Jahrzehnten der Einhämmerung und unterschwelligen Verfestigung von Vorurteilen über die Theorie und Praxis des Anarchismus. Der jeweilige politische Status quo wird verlogen abgegrenzt gegen die Auseinandersetzungsmöglichkeit mit dem Anarchismus, indem der Begriff so oft und plump wie möglich durch seine Umwertung diskriminiert, mindestens aber seines Gehaltes beraubt wird. Er dient als Abschreckungsvokabel zu beliebigen katastrophischen Anlässen.
So etwas heißt „Demagogie“. Ich frage mich im Falle der taz: gedankenlos oder absichtsvoll?
Hajo Kann, Frankfurt am Main (BRD
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