: Die sogenannte deutsche Verantwortung in der Welt
■ Die Politik der Stabilisierung des Nahen Ostens durch gleichgewichtige Aufrüstung der Staaten ist endgültig gescheitert
Die Diskussionen um eine Entsendung der Bundesmarine in den Golf werden bislang überwiegend unter den Aspekten der grundsätzlichen moralischen Rechtfertigung militärischen Handels und vor dem spezifischen Hintergrund der deutschen Geschichte und den daraus bei der Wiederbewaffnung und dem Nato-Beitritt der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren festgelegten Rechtsprinzipien geführt. Das sind und bleiben notwendige Kategorien zur Beurteilung von Regierungs- wie Oppositionspolitik. Doch mindestens ebenso wichtig ist die Frage, ob und wem ein Einsatz deutscher Soldaten am Golf nutzen würde und warum diese Diskussion jetzt geführt wird.
Für das militärische Kräfteverhältnis in der Krisenregion ist die Entsendung bundesdeutscher Schiffe ohne große Relevanz. Die Flotten anderer westeuropäischer Staaten etwa der Briten - sind stärker und besser ausgerüstet. Doch selbst für den Fall, daß die Westeuropäische Union (WEU) eine Armada losschicken sollte, an der sich nach Kohls Vorstellung die Bundesmarine ja beteiligen soll, gilt weiterhin: Militärisch entscheidend ist die Präsenz der US -Streitkräfte. Daß Washington die WEU vergangene Woche zur Entsendung einer Streitmacht drängte, hat politische Gründe: Die Bush-Administration will vermeiden, daß sich der Haß alter und künftiger Feinde in Nahost allein auf die USA richtet.
Doch könnte dieser im aktuellen Krisenfall noch symbolische Akt einer WEU-Flotte den Präzedenzfall für den Aufbau und künftigen - dann militärisch relevanten - Einsatz einer westeuropäischen Eingreiftruppe bieten.
Kohl, Thatcher und Konsorten wittern die Chance, die gerade erst begonnene Diskussion um die künftigen Formen einer gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur in eine bestimmte Richtung zu bewegen: Sie streben nicht eine gesamteuropäische Friedensordnung weitgehend abgerüsteter Einzelstaaten an, in der allerhöchstens noch eine multinationale Truppe zur Befriedung ausschließlich innereuropäischer Konflikte existiert, sondern eine westeuropäische Streitmacht, gerüstet und ausgebildet zur militärischen „Sicherung“ globaler Interessen. An diesem Modell wird in den Verteidigungsministerien der Staaten Westeuropas schon lange gebastelt. Wie im US-Pentagon liegen die neuen Süd-Nord-Bedrohungsszenarien zumindest theoretisch längst auf dem Tisch. Es fehlte bislang an einem konkreten Krisenszenario. Das hat Saddam Hussein jetzt geliefert - und damit hat er nicht zuletzt all jenen in Westeuropa und den USA einen Bärendienst erwiesen, die sich für eine Entmilitarisierung der Nord-Südbeziehungen eingesetzt haben. Deutlicher Beleg hierfür ist der Umschwung bei der SPD und selbst bei einzelnen Grünen hin zur auch militärischen „Wahrnehmung deutscher Verantwortung in der Welt“. Die SPD ist hier Gefangene der Nahostpolitik, die sie selbst als Regierungspartei bis 1982 betrieben hat. Wie heute unter Kohl und Genscher, nur manchmal etwas verschämter, hieß die Logik dieser Politik Stabilisierung der Region durch gleichgewichtige Aufrüstung. Wenn Waffen mit Rücksicht auf die deutsch-israelischen Beziehungen nicht direkt an arabische Staaten geliefert werden konnten - wie seinerzeit die Leopard II-Panzer unter Kanzler Schmidt - wurde sichergestellt, daß sie über Dreiecksgeschäfte mit Frankreich oder anderen Ländern ihren Weg zu den arabischen Abnehmern fanden. Die anderen westlichen Staaten folgten ebenso wie die UdSSR derselben Logik. Diese Politik ist neben vielen anderen Faktoren - mitverantwortlich für die aktuelle Golfkrise, die nun zugleich ihr völliges Scheitern signalisiert. Auf die außer Kontrolle geratene Militarisierung der Region, die die Spannungen und Probleme nur verschärft hat, soll jetzt mit der militärischen Intervention reagiert werden. Das ist Kurzschlußpolitik, die eine politische Lösung des Nahostproblems auf Jahre hinaus noch schwieriger machen wird, als sie es bisher schon war. Diese Nützlichkeitserwägung allein wäre, neben allen anderen Gründen, ein ausreichendes Argument gegen eine Entsendung der Bundesmarine an den Golf.
Andreas Zumach
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