Grüne und der Irak

■ betr.: "Für einen Wirtschaftsboykott Iraks", "Sich heraushalten geht nicht", taz vom 11.8.90

betr.: „Für einen Wirtschaftsboykott Iraks“ (Bernd Ulrich), „Sich heraushalten geht nicht“ (Udo Knapp), taz vom 11.8.90

(...) Wirtschaftskrieg oder heißer Krieg, das sind die Kategorien, in denen beide schwelgen. Sieg oder Niederlage. Deutschland als Großmacht, das seiner weltpolitischen Verantwortung gerecht werden muß. Darum geht es den beiden. Worum es ihnen nicht geht, ist die Frage, wie die Völker der Region zu einer gerechteren, sozialen und demokratischen Ordnung finden können, damit die vielen kleinen und größeren Saddams nicht länger ihre eigenen Untertanen und die als billige Arbeitskräfte importierten Menschen aus Pakistan und den Philippinen unterdrücken und in blutige Kriege stürzen können.

Bernd Ulrich und Udo Knapp zeigen damit, daß sie weder von den kulturellen Umbrüchen noch von den sozialen Spannungen und politischen Gärungsprozessen, die die Länder des Nahen und Mittleren Ostens durchziehen, etwas verstehen. So hat beispielsweise die Popularität Saddam Husseins in Jemen oder Jordanien viel mit der Palästina-Frage und dem Abbruch der US-Gespräche mit der PLO zu tun und weniger mit einem eingefleischten islamischen Fundamentalismus, vor dem Udo Knapp und Bernd Ulrich sich so fürchten. Letzterer wurde und wird immer wieder dadurch geschürt, daß die Regierungen des Westens im Süden weniger als Sachwalter der Demokratie auftreten, sondern vielmehr als Wegbereiterinnen skrupelloser Geschäftemacher und Unterstützerinnen blutrünstiger Diktaturen. Es sei hier nur an die mehr als moderate Haltung gegenüber der VR China nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung erinnert und die oftmalige Verweigerung politischen Asyls für chinesische StudentInnen hier bei uns.

Natürlich ist es Sache der UNO, der irakischen Aggression mit den geeigneten Mitteln Einhalt zu gebieten. Aber die Isolierung und Neutralisierung des Irak sollte nicht mit blauäugigem Gerede von einer internationalen Staatengemeinschaft, die jetzt zusammenstehen müsse, herbeigeführt werden. (...)

Weder sollten die Grünen einer Ausweitung des Nato-Gebietes das Wort reden, noch der heute in aller Munde befindlichen eigenständigen Militärmacht Europäische Gemeinschaft ihre Zustimmung geben. Sie sollten sich weniger für eine Weltpolizei als vielmehr für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einsetzen.

Dieter Weiser - Mitarbeiter der Grünen im Europaparlament

Kommentare und Gastkommentare mögen unterschiedliche Meinungen vertreten, was die unmittelbaren Handlungsvorschläge betrifft; ähnlich sind sie sich in ihrem Standpunkt: der ist doitsch.

„Was sollen wir Deutschen als Deutsche denn nun tun?“ lautet die Frage. Und weiter werden keine Fragen gestellt. Der Weltfrieden soll gesichert werden (Udo Knapp). Wessen Weltfrieden? Egal, Hauptsache Ruhe und Ordnung. Bloß keine Verschärfung „der Auseinandersetzung um Fundamentalismus, Diktaturen und Gesellschaftsstrukturen“. Laßt uns Diktaturen ganz entspannt im Hier und Jetzt betrachten? Irgendwelche Probleme?

Aber ja doch, die benennt Bernd Ulrich: der „Konflikt zwischen Islam und Aufklärung“ und die „fundamental -islamische Verachtung uns gegenüber“.

Mal kurz ein paar Fakten:

1. Die Baath-Partei ist keine islamische Partei. Sie beruft sich vielmehr auf „sozialistisches Gedankengut. Ihr Chefideologe war ein Christ.

2. Saddam Hussein hat muslimische Gruppierungen aller Art verfolgt und Tausende ihrer Anhänger umgebracht.

3. Die Ichwan ul Muslimin in Ägypten, Jordanien und im Ghaza -Streifen haben die Invasion verurteilt.

4. Nationalismus und Islam schließen sich grundsätzlich aus. Das gilt auch für arabischen Nationalismus. Darin sind sich auch die verschiedensten islamischen Gruppen einig.

5. Von „Selbstbestimmungsrecht“ der Völker im Nahen Osten (und anderswo) kann so lange nicht die Rede sein, solange der Westen/die Weltmächte sich Diktatoren nach dem Muster Saddam Husseins anschaffen und hochpäppeln, auf die gleiche Weise und zum gleichen Zweck, wie sich ein Zuhälter einen Pitbullterrier leistet.

Frantz Fanon sprach von der Kolonisierung des Bewußtseins und den Gehirnverkleisterungen, die das auch bei den Bewohnern der Metropolen bewirkt. Jüngstes Beispiel: Da zerbrechen sich Grüne und Linke den Kopf der Bundesregierung und der „Weltmächte“ in Sachen „Anforderungen an eine Weltmacht“. (...) Logik: Da der Westen besagte Bullterrier füttert, darf und muß er sie auch an die Leine legen (wegen der Verantwortlichkeit). Frage: Wie läßt sich das am einfachsten und risikofreiesten bewerkstelligen?

Also, wenn das die aufgeklärte Haltung ist, dann habe ich dafür wirklich nur fundamentale Verachtung übrig. Für so was bin ich glatt zu undeutsch. Die Bruchlinie zwischen deutscher Politik (ihrer Verantwortung als Weltmacht bewußt) und bundesrepublikanischer Industrie (skandalumwittert) will mir einfach nicht einleuchten. Und inwiefern Proamerikanismus bedeuten würde, Figuren wie Saddam Hussein (wahlweise Pinochet, Marcos, Somoza) nicht zu akzeptieren, begreife ich auch nicht. Ich bitte die aufgeklärten Kommentatoren um Aufklärung.

Pia Köppel, Hamburg (BRD)