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Der Nuclear-Nonproliferation-Tango

■ Am 20.August beginnt in Genf die vierte Überprüfungskonferenz des „Nuclear Nonproliferation Treaty“ (NPT) und wird traurige Bilanz ziehen Problemkinder für die „Großen“ waren und sind die sogenannten „Schwellenländer“ wie Irak, Pakistan oder Nordkorea

Von Thomas Scheuer

Auf dem Höhepunkt des Transnuklear-Skandals, als selbst Minister Töpfer einen Moment lang der „schreckliche Verdacht“ beunruhigte, waffenfähiges Spaltmaterial sei womöglich aus bundesdeutschen Atommeilern nach Libyen oder Pakistan verschoben worden, rutschte ein gewisses Vertragswerk für ein paar Tage in die Titelschlagzeilen. Doch schnell spülten es die Mediengezeiten wieder aus dem öffentlichen Bewußtsein in die exklusiven Zirkel der Experten und Insider. Die Rede ist vom Atomwaffensperrvertrag. Von Öffentlichkeit und Medien bisher kaum beachtet, werden ab nächster Woche wichtige Vorentscheidungen über das weitere Schicksal dieses internationalen Vertrages fallen: Ab 20.August tagt in Genf die 4.Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages; es ist die letzte vor seinem Auslaufen im Jahre 1995.

Die Diplomaten- und Expertenrunde hat Bilanz zu ziehen, inwieweit die Vertragsziele, nämlich Nicht-Weiterverbreitung (Non-Proliferation) von Atomwaffen und Abrüstung der bestehenden Arsenale, in den vergangenen fünf Jahren umgesetzt werden konnten. Brisantester Streitpunkt wird die Forderung einiger Länder nach einem totalen Teststopp sein. Auch sonst birgt die Tagesordnung spannenden Stoff: Ausgerechnet jetzt, wo sich die Supermächte erstmals in der Geschichte zu echten Abrüstungsschrittchen durchgerungen haben, wachsen in einigen Ländern der Dritten Welt neue Arsenale atomarer und chemischer Massenvernichtungswaffen samt den dazugehörigen Trägerraketen - ein neues Risikopotential, wie in diesen Tagen am Golf deutlich wird. Acht Staaten gelten derzeit als „Schwellenländer“, als Länder also, die den Schritt in den Club der Atomwaffenländer bereits geschafft haben oder auf dem besten Weg dorthin sind: Argentinien, Brasilien, Indien, Irak, Israel, Nordkorea, Pakistan und Südafrika.

Vor allem die geheimen Atomprogramme des Irak und Nordkoreas dürften in den Genfer Kulissen für hitzige Debatten sorgen: Beide Staaten sind Vertragsparteien; das Erschleichen militärischer Atomtechnik würde somit einen Bruch des Atomwaffensperrvertrages bedeuten. Daneben haben die Atomexportskandale in einigen Industrieländern - die Bundesrepublik steht hier einsam an der Spitze - in den letzten Jahren die Lücken des internationalen Kontrollsystems offenbart. Die trübe Bilanz wird durch einen mediengerechten „Erfolg“ aufpoliert: Nach 20jährigem Sträuben steht die Republik Südafrika pünktlich zur Genfer Konferenz kurz vor der Unterzeichnung des Sperrvertrages (vgl. taz vom 30.7.).

Ein von der Genfer Politik-Stiftung „Groupe de Bellerive“ Mitte Juni zusammengetrommeltes Experten-Symposium zeigte, daß die traditionellen Fronten auch die kommende Review -Conference durchziehen werden: Auf der einen Seite die Atombombenmächte USA, UdSSR und Großbritannien, die den Status quo wahren möchten. In ihrem Schlepptau haben sie die Creme der hochtechnisierten Industriestaaten, die den NPT (Nuclear Nonproliferation Treaty) als „wichtiges Element zur Stabilisierung der internationalen Beziehungen“ preisen. Wie gerade die endlose Serie bundesdeutscher Atomexportskandale zeigt, haben sich einige Industrieländer gleichwohl bei der Umsetzung der NPT-Normen in die nationale Gesetzespraxis nicht gerade ein Bein ausgerissen. Die Handelsbilanz geht hier allemal vor. Auf der anderen Seite formierte sich eine Gruppe Dritte-Welt-Länder, die zwar mehrheitlich gar kein Interesse an Atomwaffen haben, den NPT aber trotzdem als „Diskriminierung“ ansehen, der ihnen unter dem Vorwand des Weltfriedens die Teilhabe an den Segnungen der atomaren Elektrifizierung vorenthalte.

Zum Beweis ihrer These, daß es den Supermächten gar nicht um echte Abrüstung gehe, führen diese Kritiker stets deren ständig wachsende Atomwaffenarsenale ins Feld. Tatsächlich verpflichteten sich die Atomwaffeninhaber USA, UdSSR und Großbritannien (Frankreich und die VR China sind nicht Vertragsparteien) mit ihrer Unterschrift seinerzeit zur aktiven atomaren Abrüstung. Diese Vertragspflicht haben sie aber eindeutig nicht erfüllt. Zwar können die Delegationen der USA und der UdSSR auf der bevorstehenden Konferenz erstmals auf eine geringfügige Reduzierung ihrer Atomwaffenbestände verweisen. Doch der indische Teilnehmer am Bellerive-Symposium, sinnigerweise ein hoher Luftwaffengeneral, läßt dazu nur eine einzige Grafik auf die Wand des Genfer Konferenzzentrums projizieren. Sie zeigt eine steil nach oben verlaufende Kurve. Seine Erläuterung dazu: Selbst wenn die Supermächte ihre atomaren Arsenale von heute auf morgen um 50 Prozent reduzieren würden, lägen diese noch um ein Vielfaches über dem Stand von 1970, als der NPT in Kraft trat. Die eigentlichen Sorgenkinder der NPT -Gemeinde sind naturgemäß jene an Atomwaffen interessierten Regierungen, die dem Vertrag aus offenkundigen Gründen schlicht und einfach nicht beigetreten sind - etwa Indien, Pakistan, Argentinien, Brasilien, Israel und Südafrika. (Zwar verweigern bislang auch die erklärten Atomwaffenmächte VR China und Frankreich ihre Unterschrift, doch haben beide jetzt erstmals offizielle Beobachter für eine Überprüfungskonferenz akkreditiert.) Alarmstimmung herrscht im Wiener Hauptquartier der IAEA (Internationale Atom -Agentur) jedoch besonders dann, wenn Unterzeichnerstaaten in den Verdacht geraten, an geheimen Atomwaffenpogrammen zu werkeln, mithin eindeutig den Bruch des Vertrages ansteuern. Besondere Besorgnis herrscht am Vorabend der Genfer Konferenz über Bestrebungen Nordkoreas und - vor dem Hintergrund der aktuellen Konflikte am Golf - des Irak.

Brisantes Bildmaterial hatten US-Beamte in ihren Aktenmäppchen, die im Frühsommer letzten Jahres zu einem Geheimdienst-Briefing ihrer südkoreanischen Verbündeten nach Seoul reisten: Satellitenfotos, auf denen ein ungewöhnlich großer Forschungsreaktor (50 Megawatt) nahe Yongbyon, nördlich der nord-koreanischen Hauptstadt Pjöngjang zu erkennen war. Alarmstimmung löste vor allem eine fortgeschrittene Baustelle aus, die auf den Fotos neben dem Reaktor zu erkennen war: sehr wahrscheinlich eine Wiederaufarbeitungsanlage zur Gewinnung von Plutonium. Erst 1985 hat Nordkorea auf Druck der UdSSR den NPT gezeichnet, weigert sich jedoch seither, die genannten Anlagen der Überwachung durch IAEA-Safeguards zu unterstellen. Die Diplomaten Pjöngjangs bestehen auf dem Abzug der US -amerikanischen Atomwaffen aus Südkorea und drohten mit der Möglichkeit einer Aufkündigung des NPT. IAEA-Funktionäre hoffen auf eine Safeguards-Vereinbarung noch vor der Genfer Überprüfungskonferenz. Falls die bis dahin nicht zustande kommt, erwartet der südkoreanische Technologie-Minister Kunmo Chung „eine dramatische Resolution“ von der Genfer Runde.

Die aktuelle Kriegsgefahr am Golf rückt natürlich besonders die atomaren Optionen des Irak ins Blickfeld der Überprüfungskonferenz. Der Irak hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und bestreitet öffentlich - im Gegensatz zu den Giftgaswaffen, die eingesetzt wurden und mit denen offen gedroht wird - jede Ambition auf die Atombombe. Trotzdem gibt es seit Jahren immer wieder eindeutige Hinweise auf ein geheimes Programm zur Produktion waffenfähigen Spaltmaterials. Dabei haben sich die irakischen Atomiker für den technisch komplizierten und teuren Weg über die Hochanreicherung von Uran auf über 90 Prozent entschieden (im Gegensatz zur Plutonium-Gewinnung aus Natur-Uran in Schwerwasser-Reaktoren). So ging es denn auch bei allen bisher aufgeflogenen Schwarzmarktoperationen der Irakis um Komponenten für ultraschnelle Gaszentrifugen, die technischen Herzstücke der Uran-Anreicherung: In ihnen wird der Anteil des Bombenstoffes U-235 im gasförmigen Uranhexafluorid von 0,7% (Gehalt in Natur-Uran) auf über 90% gesteigert.

Als wichtigsten Helfer beim Bau einer geheimen Anreicherungsanlage haben Geheimdienste die VR China ausgemacht, als weitere Zulieferer Brasilien und Pakistan. Wichtige technische Komponenten und Geräte akquirierten irakische Beschaffungsagenten aber vorwiegend bei westdeutschen sowie schweizerischen, britischen und US -amerikanischen Spezialfirmen. Das Uran für die Anreicherung soll aus Brasilien, Portugal, Italien und dem Niger stammen. Seit längerem ist bekannt, daß der Irak Anfang der 80er Jahre von der Hanauer Nukem abgereichertes Uran erhielt.

1981 bombardierten israelische Kampfjets den von Frankreich gelieferten Atommeiler Osirak bei Tammouz kurz vor der Fertigstellung. 12,5 kg hochangereichertes Uran aus Frankreich stehen nach Angaben der Wiener IAEA unter deren Kontrolle.

Daß Iraks Stand bei der Entwicklung eigener Atomwaffen von den meisten Medien weit übertrieben wird, ist wenig beruhigend: Gerade weil ihnen das atomare Drohpotential fehlt, ist die Gefahr um so größer, daß die Generäle in Bagdad auf ihre oft auch als „Atombombe des armen Mannes“ bezeichneten Giftgas-Waffen zurückgreifen. „Von der Atombombe sind die Irakis zwar noch mindestens zehn Jahre entfernt. Trotzdem beobachten wir ihre Bemühungen mit großer Sorge.“ So faßt der Proliferations-Experte und ehemalige IAEA-Safeguard Bob Sanders gegenüber der taz seine Einschätzung des irakischen Atomprogrammes zusammen, der erst vor wenigen Wochen im Auftrag des UNO-Generalsekretärs den Nahen Osten einschließlich des Irak bereiste.

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