: „Wir schreiben niemandem mehr was vor“
■ Eine Erkundung bei der PDS in Hellersdorf / Kein Entrinnen vor Wort-Ungetümen / Schlichte Weltbilder in schweren Zeiten
Hellersdorf. An diesem milden Augustabend hat die Satellitenstadt Hellersdorf etwas Dörfliches. In dem kompakten Betonklotz in der Kastanienallee 6-8 hat die Hellersdorfer PDS-Kreisorganisation noch eine halbe Etage. Den Rest des früheren Kreisleitungsgebäudes hat sie an Parteien, Gruppierungen und an Firmen vermietet. Ein harmloser Satz des Pförtners erinnert an längst vergangene Zeiten: „Da mußt du in den vierten Stock gehen.“ Diese kumpelhafte Duzerei, auch von Fremden, gibt's tatsächlich immer noch.
Dagegen sieht die Wandzeitung oben im Gang auf originelle Weise erneuert aus. Statt mit rotem oder blauem Fahnentuch ist sie mit heller DDR-Auslegware bezogen. Unter dem simplen Wort „Information“ stehen Termine, Berichte und eine „Übersicht über Aktivitäten auf dem Gebiet der politischen Bildung durch den Bezirksvorstand“. Kein Entrinnen vor solchen Wort-Ungetümen.
In der Kantine treffen sich die Basisgruppensprecher aus dem „Wahlkreis 3“. „Inhaltliche Schwerpunkte“ habe der Kreisvorstand für die bevorstehende „Kreisdelegiertenkonferenz rausgearbeitet“, erklärt Vorstandsmitglied Udo Kreißl. Gnadenlos fliegen die Fetzen dieses verkorksten Hülsengeredes durch den Raum. „In den Basisgruppen hat sich bewahrheitet, daß die Diskussion zur Erneuerung überall entfaltet ist...“ Der Kreisvorstand müsse verkleinert werden, von 35 auf 25. „Die Erfahrung hat gezeigt: Diese Größe ist zu groß. Wir ham doch keenen Apparat mehr, Leute“. So salopp war man früher nicht.
Basisgruppensprecher Peter Wiese, sechs Frauen und drei Männer haben sich später zum Gruppentreffen versammelt - in einem bedrückend winzigen und über und über geblümelten Raum, von der Tapete bis zu den Gardinen. Das Arbeiterwohnheim im Feldberger Ring knöpft ihnen in Zukunft jedesmal 30 Mark dafür ab.
Im Januar fand sich die Gruppe zusammen, über 30 Mitglieder, inzwischen noch 27, und an diesem Abend gehen zwei weitere. Bis auf eine Frau, die heute fehlt, waren alle in der SED. Aus den Betrieben verwiesen, sammelten sie sich Anfang des Jahres in der „WPO“ (Wohngebietsparteiorganisation) und teilten sich in kleinere Gruppen auf. Man kannte sich schon vorher „über die Kinder oder durch Veranstaltungen im Wohngebiet“. Spielplatz saubermachen, Müllplatz aufräumen - das hätten „immer die Genossen gemacht“, erklärt eine Teilnehmerin.
Peter Wiese berichtet, die anderen hören zu. Wie hatte der Kreisvorsitzende Glawe die neuen Gepflogenheiten erklärt? „Wir versuchen, die Basis weitestgehend allein arbeiten zu lassen, greifen nicht mehr ein.“ Das ist auch gar nicht nötig. Diszipliniert sprechen sie über die Möglichkeiten, sich „in den Wahlkampf einzubringen“. „Disziplin“, dieses Wort bringt die Rentnerin Esther Warnitz ins Gespräch. Zwar interessiere sie „diese Wahl auch nicht mehr, aber als Genossen sind wir verpflichtet, uns für unsere Partei einzusetzen.“ Die Partei gehöre zu ihrem Leben. Und „die uns verlassen haben, sind die Karrieristen“, erklärt sie später.
Dem Juristen und Fachschullehrer Hans Rausch würde es „schon reichen, wenn wir ins Parlament reinkommen“. Den Rechten dürfe man nicht einfach das Feld überlassen. Ursula Kübler, „Finanzkaufmann“, drückt ihr Weltbild schlichter aus: „Der Sozialismus ist für mich noch lange nicht gestorben. Man sieht ja jetzt, daß es im Kapitalismus Obdachlose gibt.“
Einig sind sie sich darüber, daß sie im Wahlkampf den Leuten mit Versammlungen und „großer Politik“ nicht kommen dürfen. Simone Hillen schlägt ein Kinderfest im September vor, bei dem man auch eine „Diskutierecke“ einrichten könne. Die Berufsschullehrerin ist 1982 in die SED eingetreten, „weil ich mitwirken wollte. Ich habe in den letzten Monaten oft überlegt, ob ich austrete. Aber ich habe keine andere Gruppierung oder Partei gefunden, die mir eine Heimat sein könnte.“ Auch die Kindergärtnerin nennt als wichtigen Grund für ihr Hiersein, „sich irgendwo aussprechen zu können“.
Was sie unter Erneuerung verstehen? „Daß Sie an unserer Versammlung teilnehmen können“, meint Esther Warnitz, „und daß wir offen und ehrlich geantwortet haben.“ Das wäre früher undenkbar gewesen. „Daß jeder die Möglichkeit hat, in den Kreisvorstand zu gehen und denen die Meinung zu sagen“, sagt Peter Wiese. Das Ritual läuft nach veränderten Regeln, aber der Sinn ist unklar. Wiese erklärt, „Probleme mit der Identität der Partei“ zu haben. „Wie wird das, wenn wir nicht gewählt werden, wie wollen wir unsere Ziele erreichen. Da hab‘ ich auch keine Vorstellungen.“
Schließlich verkündet ein farbloser junger Mann noch seinen Austritt. Verlegen steht er am Fenster, die Hände ineinander verschränkt. Er sei bei der Polizei und verkrafte „die Diskriminierungen psychisch und physisch nicht mehr. Die haben schon Gysi-Spitzel zu mir gesagt. Fällt mir wirklich schwer.“ Mitfühlendes Seufzen. „Ist eine schwere Zeit heutzutage“, sagt die Rentnerin Esther Warnitz. Vielleicht ist es diese schwüle Wärme, die sie beieinander hält. Auch die Gelassenheit gehöre zur Erneuerung, meint die Kindergärtnerin: „Wir schreiben niemandem mehr was vor.“
Susanne Steffen
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