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Befreiungsschlag

■ Der Vorstoß des Verfassungsschutzes zur Zusammenlegung der RAF-Gefangenen

KOMMENTARE

An einem läßt Christian Lochte keinen Zweifel: er will die RAF - oder deren versprengte Reste - endlich und endgültig zerschlagen. Es ist weder Humanitätsduselei noch die Sorge um die Gefangenen, die ihn treibt. Es ist sein Job. Daß er diese Selbstverständlichkeit so vehement betont, schließt Mißverständnisse von vornherein aus. Und das ist gut so.

Der Hamburger VS-Chef, der immer schon etwas klüger war als die meisten seiner Kollegen, reagiert auf eine Niederlage, die er gleichzeitig vehement bestreitet. Die Niederlage ist nicht politischer, sie ist militärischer Natur. Mit keinem ihrer Argumente hat die RAF je die „Massen“ erreicht, noch viel weniger mit ihren Aktionen. Aber sie bleibt „militärisch“ unbesiegbar, solange es sie gibt. Die 20jährige Existenz der RAF ist eine Niederlage des Staatsschutzes - nicht des Staates. Den tangiert das Überleben der bewaffneten Militanz immer weniger. Nach dem Mord an Herrhausen währte die Aufregung kaum eine Woche, Neusel beendete die Diskussion ein paar Stunden nach dem Anschlag per Pressekonferenz. Insofern ist die „Position der Stärke“, aus der heraus Lochte seinen Vorstoß zur Zusammenlegung der Gefangenen unterbreitet, mehr als eine Floskel.

Natürlich wissen die Verfassungsschützer nicht erst seit gestern, daß die Rekrutierung neuer RAF-Aktivisten seit 1972 ohne Ausnahme über das Engagement gegen die Haftbedingungen läuft. Das Lochte-Angebot zielt deshalb, wenn nicht vorrangig, so doch wesentlich auch auf die aktiven Kämpfer der RAF. Da betreibt einer die „Austrocknung des RAF -Umfelds“ mit anderen Mitteln.

Faktisch geht der Vorstoß aus Hamburg über alles hinaus, was bisher von staatlicher Seite kam. Ein Papier aus dem Kölner Amt, das während des letzten Hungerstreiks in die Öffentlichkeit lanciert wurde, beinhaltete nicht die Möglichkeit, daß die Gefangenen selbst bestimmen, wer mit wem zusammenkommt. Auch von „freier“ Kommunikation zwischen den Gruppen war nicht die Rede.

Ein Vorschlag ist noch kein Angebot. Im Gegenteil: Bisher hat sich auf der politischen Ebene und auch in anderen Bereichen des Staatsschutzapparats stets die dumpf -rachsüchtige Position eines Kurt Rebmann durchgesetzt. Und die hieß: Isolation der Gefangenen mindestens von ihren Genossen. Immerhin, der Generalbundesanwalt deliriert nun nur noch a.D. in den Talkshows der Privatsender. Ein Hoffnungsschimmer.

Die Gefangenen müssen mit einem Vorschlag umgehen, der so weit nicht entfernt ist von ihrer Hungerstreikforderung nach „ein oder zwei großen Gruppen“. Wenn sie Verbesserungen ihrer Haftsituation wirklich wollen - und wer wollte daran zweifeln -, müssen sie jetzt reagieren. Einfach ist diese Situation für die Gefangenen nicht. Sie sind, anders als im Hungerstreik, erstmals Objekt der Überlegungen des Staatsschutzes. Und worauf die hinauslaufen, daran läßt Lochte keinen Zweifel: er ist überzeugt, daß die bereits vorhandenen Risse im „Gefangenen-Kollektiv“ spätestens nach Vollzug der Zusammenlegung zur „politischen Fraktionierung“ und damit zum Bruch führen. Die Gefangenen erwarten das Gegenteil: eine Stärkung ihrer politischen Kampfkraft, die Zusammenlegung als „Übergang“ auf dem Weg in die Freiheit. Das Restrisiko scheint gleichmäßig auf beide Seiten verteilt. Wer am Ende recht behält, ist nur praktisch zu ermitteln - möglichst vor dem nächsten Anschlag.

Gerd Rosenkranz

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