Die Frustration der Ideologen

■ Zum Entwurf der „Plattform“ für die Vereinigung von Grünen und Wahlbündnis90 / Das Produkt der zentaurischen Vereinigung ist offensichtlich unter Schmerzen geboren worden / Wahlplattformen sind ideologische Formelkompromisse

Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - Das erste Produkt der zentaurischen Vereinigung zwischen Grünen und Bürgerrechtsbewegung ist eine Wahlplattform (der Entwurf liegt der taz vor). Die Beratung soll am kommenden Sonntag im „Haus der Demokratie“ in Ost-Berlin stattfinden. Wahlplattformen sind, bei den Grünen zumal, ideologische Formelkompromisse, die ausgestanden werden müssen. Der Wahlkampf unterliegt dann den Forderungen der Realität. Nur kommunistische Parteien glauben an „Plattformen“.

In der Präambel heißt es, nachdem versichert wurde, daß man die Identität der beteiligten Organisationen achten werde: die Bürger- und Bürgerinnenbewegungen der DDR gaben den Anstoß für die friedliche Revolution, deren basisdemokratischen Erfahrungen sie in der neuen deutschen Republik fruchtbar machen wollen. Nur basisdemokratische Erfahrungen, nicht auch Erfahrungen der Staatszerstörung, der Gesellschaftsveränderung? Die neue Vereinigung will die Augen offen halten, während die herkömmlichen Parteien aus Machtkalkül die Augen verschließen. Das gemeinsame Weltbild also: Die Menschheit befindet sich in einer Fehlentwicklung, die gekennzeichnet ist durch vermeintlichen technischen Fortschritt, materiellen Lebensanspruch und selbstzerstörerischen Raubbau und Gewalt an Natur und Menschen im Zuge des herrschenden Weltmarktsystems. „Herrschendes Weltmarktsystem“ - das sollte eigentlich nach den Willen der West-Grünen „Kapitalismus“ heißen. Solche Sprachformeln, in der die östliche Sensibilität gegenüber sozialistischer Terminologie mit den westlichen linksradikalen Formeln abgestumpft wird, ziehen sich durch den Text. Aber mit dem Absatz ist auch der Generalton angeschlagen: die Beendigung des Ost-West-Gegensatzes wird nicht als politische Chance zur Politik begriffen. Es ist da kein Aufatmen im Text. Es wird auch nicht wahrgenommen, daß das alte Links-rechts-Schema zerbricht und neue Bundesgenossen denkbar sind. Die Epochenwende wird nur als neue Krise, als Verschärfung der ökologischen Katastrophe und als Zuspitzung des Nord-Süd-Konfliktes abgehandelt. Folgerichtig fehlt im Text jedes Engagement für die Demokratisierung Osteuropas - obwohl das die naheliegende Alternative zur beschworenen nationalstaatlichen Politik Kohls wäre. Der Untergang des Realsozialismus für die DDR erscheint als eine Art Apokalypse: Wachstum, Wachstum über alles! Heißt es nun wieder in der DDR, diesmal nicht unter kommandowirtschaftlichen Vorzeichen, sondern unter profitwirtschaftlichen: Blechlawinen, Giftmüllberge, todsichere Atomkraft, Raubbau an der Natur. Es wird zwar betont, daß die DDR bereits durch den real existierenden Sozialismus ökologisch schwer angeschlagen sei. Aber was jetzt kommt, wird schlimmer sein. Wie soll eigentlich diese Düsterkeit in der DDR überzeugen, wo die Leute schließlich wissen, daß die Lebenserwartung der DDR-Bürger gegenüber dem bundesdeutschen geringer war, aufgrund der Kommandowirtschaft.

Es gibt nicht einmal eine Idee der Vereinigung, die diese Plattform der Einigungspolitik entgegensetzt. Es zeichnet sich ab: nach Anschluß und Einführung der D-Mark steigen Aggression, Überfälle, Ellbogenmentalität. Zudem hat die DDR-Bevölkerung kein Geld, um mit den Konsumangeboten des Westens dem sich verstärkenden sozialen und psychischen Elend den Konsumschleier des Vergessens überstülpen zu können. Das Wahlbündnis will ebensowenig die massenhafte Armut in der Gesellschaft der BRD als Preis für profitable Betriebe anerkennen, wie auch nicht akzeptieren, daß die DDR das ausbeutbare Hinterland der BRD wird. BRD und DDR sind so getrennt, als ob es diese beiden Länder im Wahlkampf noch geben werde. Bei den Forderungen zur sozialen Gerechtigkeit sind viele Forderungen der DDR-Bürgerbewegung übernommen worden, zum Beispiel Die einklagbaren Anteilsrechte am Volkseigentum. Das wird gefordert, als ob es den Staatsvertrag und die Teuhandstalt nicht gäbe. Überhaupt werden in der Plattform die verlorenen Schlachten des letzten halben Jahres geschlagen. Ansonsten sollen die Umstrukturierung der DDR-Wirtschaft, die Schuldenstreichung und riesige Infrastrukturprogramme finanziert werden. Von wem? Wodurch? Eine allgemeine Steuererhöhung fordern die Plattformer jedoch nicht - nur eine erhöhte Besteuerung der Reichen, obwohl sie wissen, daß allein die Besteuerung der Masseneinkommen etwas bringt. Der klassische Opportunismus der Linken in der Steuerfrage. Gleichzeitig wird natürlich die sofortige Stillegung lebensfeindlicher Produktionsstätten in der DDR verlangt, was wohl den größten Teil der DDR-Wirtschaft betrifft, der umstrukturiert werden soll.

Die Demokratiefrage: Im Ökologieteil der Plattform taucht das Wort Demokratie nicht auf. Es geht also nicht um demokratische Entscheidungsregelen für ökologische Widersprüche, die mit der Vereinigung sich ja zuspitzen sollen. Aber bloße Reparatur durch staatliche Interventionen bei ökologischen Problemen wird auch abgelehnt. Im Demokratie-Kapitel selbst wird postuliert, daß die Struktur der repräsentativen Demokratie und die Emanzipation der BürgerInnen in einen offenen Widerspruch zueinander geraten sind. Schön wär's! Aber wenn's so wäre, dann könnte die gesamte DDR nicht als totale ökologische und ökonomische Misere beschrieben werden. Dann müßte wenigstens ein kleiner Hoffnungston zur Vereinigung in diesem Papier sein! Fragwürdig ist auch, daß die andere Demokratie automatisch Basisdemokratie genannt wird. Aber die Bürgerrechtsbewegung ist darunter nicht subsumierbar: sie hat mehr zu tun mit der Idee der „civil society“ in Osteuropa, mit dem engagierten Citoyen zu tun. Basisdemokratie ist hier nur die Betroffenenalternative zur repräsentativen Demokratie. So sind die Forderungen nach einer Verfassung, nach einem Volksentscheid, nach Bürgerbegehren formal und abstrakt. Die Bündnispartner werden nicht sichbar, weil die Idee fehlt. Wie soll die Wahl gewonnen werden? Kohl abwählen, heißt es. Kohl machte den nationalen Alleingang und die SPD ist auf der deutschnationalen Welle mitgeschwommen. Die SPD muß sich überlegen, ob siewill und bereit ist, eine echte Alternative zur Politik der Bundesregierung zu bieten. Kein Versuch, den Bündnispartner SPD zu definieren, die rot -grüne Perspektive selbst zu formulieren. Entweder will die SPD oder nicht!

Die Plattform ist schlecht geschrieben; der Schrotschuß der Begriffe trifft nur irgendwie die Wirklichkeit. Nicht nur wird lähmend die Misere beschworen, die Schreiber sind auch gelähmt. Sie wollen für eine solidarische und ökologische, radikaldemokratisch und gerechte, emanzipatorische und feministische, gewaltfreie und multikulturelle Gesellschaft streiten. Als Konrad Weiß zu den sechs Attributen noch das Adjektiv „freundlich“ vorschlug, wurde es abgelehnt.