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Revisionsmäßig eine Menge zu tun

■ Warum Abschlächter Blücher bleiben darf und Karl Marx gehen muß

In Friedrichshain sollen der französische Bastille-Stürmer Babeuf und sein späterer KP-Kollege und Widerständler Timbaud weg. In Hellersdorf sind Ideologie-Veteran Albert Norden und Schießbefehl-Minister Karl-Heinz Hoffmann dran. In Weißensee wird dem üblen tschechoslowakischen Altstalinisten Klemens Gottwald seine Allee aberkannt, sie heißt bald wieder Berliner Allee. Auch Treptow hat schon eine lange Liste. In den sieben weiteren Ostberliner Stadtbezirken steht es ebenfalls nicht gut um die sozialistischen Säulenheiligen aus Theorie und Praxis.

Für Straßenumbenennungen kursieren seit vergangenem November verschiedene Vorschlagslisten in der Hauptstadt. Mal ist von 40, mal sogar von 160 Schildern die Rede, die nach Bürger-, Parteien- und Staatswillen revidiert werden sollen. Öffentlich gemacht wird davon vorerst nur sehr wenig. Auch der Westen mischte sich schon heftigst beispielgebend ein in Neukölln, im Westteil, möchte die CDU die Karl-Marx -Straße umbenennen. Der „überholte“ Name sei einer Einkaufsstraße in diesen Zeiten nicht mehr würdig.

Dem Fall von Mauer und System soll auch der der Symbole folgen, verständlich. Doch weil das Umtaufen von Straßen keine so einfache Sache ist wie das Abmontieren der SED -Shakehands von allerlei Gebäuden, muß eine Kommission her. Und so wird in den nächsten Tagen erstmals der Magistrat gemeinsam mit den Bezirken tagen, um die Vorschlagslisten von der Basis zu koordinieren. Später sollen die Bezirke dann die Umtauf-Aktionen für sich selbst regeln, so wie das auch in West-Berlin üblich ist.

Im Osten gibt es revisionsmäßig eine Menge zu tun. Denn im Lauf der vier demokratischen Republikjahrzehnte wurden dort viele militaristische, monarchistische, antisemitische, preußische und großdeutsche Überbleibsel bereinigt. Eine Menge Fortschrittliches kam hinzu - ganz im Gegensatz zum Westteil, wo sich viele preußische und sogar noch von den Nazis gegebene Namen erhalten haben. So wurde im Ostteil aus der Artilleriestraße eine Tucholskystraße, auf dem Kaiser -Franz-Grenadier-Platz durfte sich fortan Heinrich Heine austoben. Die frühere Kronprinzenstraße heißt Tollerstraße, der Wilhelm-Platz bekam den Namen Thälmann-Platz. Geradezu selbstverständlich allerdings der Mangel an Frauen - in beiden Stadthälften das gleiche traurige Straßen-Bild.

Doch leider achtete die Staatspartei SED auch peinlichst darauf, daß die eigenen Leute nicht zu kurz kamen. So wurden die knallharten Funktionäre ebenso mit Straßen bedacht wie die von der drögen Sorte - ganz zu schweigen von manchen Durchgreif-Stalinisten. Stadtauswärts, Richtung Marzahn, wurde das ganze Ulbrichtsche Politbüro auf Schildern beerdigt: Winzer, Maron, Verner, Norden, Hoffmann und so weiter. Nur Ulbricht selbst kriegte nie eine Straße. Honecker persönlich ließ alle seine Spuren beseitigen. Noch zu Ulbrichts Lebzeiten wurde die nach ihm benannte Sportarena ins „Stadion der Weltjugend“ umgewandelt.

Was in den fünfziger und sechziger Jahren großflächig ablief, ging bis in die jüngste Zeit weiter - allerdings etwas behutsamer: 1974, zum 25. Republik-Jubiläum, wurden in Prenzlauer Berg 18 Straßen umbenannt. Sie trugen vormals Namen der ehemaligen Ost-Gebiete und wurden nun nach Nazi -Widerständlern benannt, quotiert in christliche und kommunistische. 1977 bekamen drei Straßen des Pankower Neubaugebiets Buch III die Namen von Antifaschisten. 1989, zum 200. Geburtstag der Französischen Revolution, kamen die schon erwähnten beiden Franzosen nach Friedrichshain. Zur Schildereinweihung sprachen damals noch Krack und Schabowski.

West-Berlins Straßenverzeichnis hingegen gleicht auch heute noch eher einem Militaria-Katalog. Preußens Gloria überall. Pionierstraße, Exerzierstraße, Kadettenweg, zwei Feldzeugmeisterstraßen. Auch einen ganzen Sack voll historischer Militaristen gibt's gleich doppelt: Goeben, Knesebeck, Manteuffel. Jeweils dreimal werden die Generäle Blücher und von Seydlitz sowie der Stallmeister des Großen Kurfürsten, ein Herr Froben, geehrt. Verewigt sind auch die Arbeitsplätze dieser Abschlächter. Wie etwa Wittenberg, Nollendorf, Dennewitz, Fehrbellin oder Sedan. Ebenfalls gut vertreten ist der Adel, am besten der Reichsschmied Bismarck, ganze neunmal Blut & Eisen an Plätzen und Straßen. Auch diverse Nazi-Vorbilder (Einemstraße, Dietrich-Schäfer -Weg), Nazi-Helfer (Seecktstraße) und begeisterte Antisemiten (Treitschkestraße) sind noch mit von der Partie.

Auch Straßenumbenennungen der Nazis selbst sind noch heute in Kraft: vier Straßen sind es im Bezirk Tiergarten: Einemstraße, Kluckstraße, Graf-Spee-Straße, Bissingzeile. In Tempelhof haben ganze 16 Straßen das Tausendjährige Reich überlebt. Im „Fliegerviertel“ nahe des Flughafens erinnern sie an „Fliegerhelden“ des Ersten Weltkriegs (siehe auch Abbildung).

Aus der nach dem Zweiten Weltkrieg geplanten pazifistischen Umbenennungswelle (1.600 Straßen) wurde nichts, weil die Stimmung schnell kippte. Doch auch danach - sogar in der jüngsten Zeit - hatten es gutmeinende UmtäuferInnen stets schwer. Neben den politischen Verhältnissen in den zuständigen Bezirken standen auch die Gesetzesvorschriften dagegen. Weil Berlin als eine Verwaltungseinheit gelte, so heißt es dort, dürften Namen nicht doppelt in beiden Teilen der Stadt vorkommen - und natürlich hatte Ost-Berlin die besten Namen immer schon besetzt...

Jetzt, wo der Osten an seine Straßen ranwill und die 28 Jahre lang angeblich so sehnlichst abgewartete städtische Einheit endlich da ist, könnte endlich etwas geschehen gegen die Geschichts-Defizite. Und das würde garantiert billiger werden als das Kohl-Mausoleum am Spree-Ufer. Herr Mühsam und Frau von Suttner freuen sich schon auf ihre Alleen.

Hans-Hermann Kotte

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