: „Montts Wahl wäre ein gewaltiger Schritt zurück“
■ Die Zunahme von Gewaltverbrechen in Guatemala führt zum Ruf nach „dem starken Mann“ und gefährdet die junge Demokratie / Davon könnte der ehemalige Diktator Efrain Rios Montt politisch profitieren / Verfassungsstreit über seine Berechtigung zur Präsidentschaftskandidatur am 11. November
Von Martin Lettmayer
„Wegen nur einem Toten allein fahren wir gar nicht mehr hin. Nicht in diesem Land. Das passiert hier jeden Tag. Wenn drei, vier oder mehr gefunden werden, an einer Stelle, ja dann vielleicht.“ Das sagte Mario Ryes, Fotograf der auflagenstärksten Tageszeitung Guatemalas 'Prensa Libre‘, auf die Frage, ob ich ihn nicht einen Tag begleiten könne, wenn im „Morgen-Grauen“ von der Polizei die Leichen der letzten Nacht aufgesammelt werden. Am ersten Juliwochenende waren es 46 Tote; weitere 55 wurden schwer verletzt in die Krankenhäuser des Landes eingeliefert. Manchmal weisen die „Cadaver“, so das spanische Wort für Leiche, auch deutliche Spuren von Folter auf.
„Man fand ihn erlöst durch den Gnadenschuß“. Mit diesem eigenartigen Satz beschreibt man in Guatemala das jammervolle Schicksal jener, die mit Folterspuren und einer einzigen Kugel im Kopf, dem „Gnadenschuß“ eben, in der Gosse oder auf Müllhalden aufgefunden werden. Die gegenwärtige Zunahme von Gewalttätigkeiten in Guatemala paralysiert das Land. 1989 fielen in Guatemala laut Polizeistatistik 477 Menschen einem Verbrechen zum Opfer. Diese Zahl war in diesem Jahr schon nach den ersten 4 Monaten erreicht. 525 waren es von Januar bis April. Bis heute hat sich die Zahl der Toten nahezu verdoppelt. Wer die Männer, Frauen, die Jugendlichen waren, ist meistens bekannt.Über die Identität der Verbrecher und ihre Motive weiß man in der Regel nichts. Niemand kann sagen, in welchen Fällen es sich um politisch motivierte Verbrechen handelt und in welchen um gewöhnliche Kriminalität.
Angesichts der ständig zunehmenden Gewalt wird in Guatemala der Ruf nach einem starken Führer, der für Ordnung und Sicherheit sorgt, einem Militär, immer lauter. Diese Stimmung im Volk gefährdet die demokratische Entwicklung des Landes, gerade weil in diesem Jahr, am 11.November, Wahlen stattfinden werden. Nach einer Umfrage erachten nur 37 Prozent der Guatemalteken die Demokratie für die geeignete Regierungsform. 84 Prozent wünschen sich einen „starken Präsidenten“ und 59 Prozent meinen, er solle „rechts“ sein. So einer bietet sich jetzt dem Volk an: Efrain Rios Montt.
Rios Montt war schon einmal Staatschef dieses Landes. Am 23.März 1982 gelangte er durch einen Militärputsch an die Macht. Am 8.August 1983 wurde er dann seinerseits mit Gewalt aus dem Amt gejagt. In seiner kurzen Regierungszeit wütete der religiöse Fanatiker wie ein Schlächter, besonders unter der indianischen Bevölkerung des Landes. Tausende Tote, Tausende Verschleppte und etwa eine Million Vertriebene sind das statistisch erfaßbare Resultat seiner Regierungstätigkeit.
Das Leid, das Rios Montt im Land verursacht hat, ist nicht erfaßbar und hält bis heute an:Nach wie vor ungeklärt ist das Schicksal der spurlos Verschwundenen, obwohl der christdemokratische Präsident Marco Vinicio Cerezo Arevalo 1985 vor seinem Amtsantritt öffentlich versprochen hat, deren Verbleib aufzuklären. Ein leeres Versprechen, weiß man heute in Guatemala.
Ende Mai besetzte die guatemaltekische Menschenrechtsorganisation GAM (Grupo die Apoyo Mutuo) die Zentrale des Internationalen Roten Kreuzes in Guatemala Stadt. „Lebend hat man sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück“ - seit Jahren verhallt dieser Ruf Tausender Demonstranten ungehört.
„Die Wahl Rios Montts wäre ein gewaltiger Schritt zurück“, sagt die Vorsitzende der GAM, Nineth Montenegro Garcia, und spricht ganz offen von ihrer Angst und Verzweiflung angesichts des Zuspruchs, den Rios Montt bei großen Teilen der Bevölkerung findet.
Das Geheimnis seines Erfolges sind das Charisma eines Führers und sein Image, der Garant dafür zu sein, die offensichtliche und zügellose Korruption zu bekämpfen. Vor allem aber gehen viele für Montt auf die Straße, da er mit erbarmungsloser Härte gegen die Kriminalität auf Guatemalas Straßen vorging: Wer auch nur in den Verdacht geriet, ein Gewaltverbrechen begangen zu haben, fand sich vor einem Sondergericht und wenig später im Grab. Viele Guatemalteken schwärmen noch heute von den angeblich sicheren Zeiten. „Sicherheit“ ist es, was sie auch dieses Mal wieder von ihm erwarten.
Derzeit gibt es in Guatemala einen Verfassungsstreit: Die Frage ist, ob Rios Montt überhaupt kandidieren darf. Artikel 186 der Verfassung von 1986 sagt, daß der Führer eines Putsches nicht für das Amt des Präsidenten kandidieren dürfe. Die gleiche Verfassung sagt aber auch, daß Gesetze keine rückwirkende Geltung haben können. Und Montt putschte 1983. Das ist das stärkste Argument Montts.
Die Entscheidung steht seit Wochen aus und die Befugnis dazu wird ratlos hin und her geschoben: vom Parlament zum Gericht und wieder zurück. Sogar die verfassungsgebende Nationalversammlung von 1986 tagte, um diese Frage zu erörtern, um Artikel 186 zu interpretieren. Aber niemand in Guatemala will es entscheiden. In Wahrheit fürchtet man beides: die Zulassung von Rios Montt zur Kandidatur und die Ablehnung.
Am vorletzten Sonntag lud Rios Montt zu einer Wahlveranstaltung vor dem Nationalpalast, und Tausende folgten seinem Ruf. Niemand weiß heute, was seine Anhänger machen werden, wenn man ihrem Kandidaten das demokratische Recht abspricht, an der Wahl teilzunehmen. Und politische Beobachter fürchten, daß er, wenn er kandidiert, auch gewählt wird und daß das die demokratische Entwicklung des Landes lähmt.
Die Schuld an dieser instabilen politischen Situation trifft sicher unter anderem auch die von der Bonner CDU -Regierung mit mehreren hundert Millionen Mark massiv unterstützte christdemokratische Regierung Guatemalas. Deren Versagen in den meisten Fragen und ihre unverschämt offene Korruption kommentieren viele Guatemalteken so: „Wenn das die Demokratie ist, dann brauchen wir sie nicht“. Und: „Die Christdemokraten gewinnen hier in den nächsten 25 Jahren nichts mehr.“ Und diese Einstellung schlägt sich auch in allen Umfragen nieder. Der christdemokratische Kandidat Alfonso Cabrera liegt mit 6 Prozent Zustimmung weit abgeschlagen zurück.
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