: US-Interessen am Golf
■ Jahrelang haben die USA den Irak unterstützt - jetzt drohen sie mit Krieg / Aber, so ein Bush-Berater, Irak ist nicht Panama / Die USA beziehen nur 3,6 Prozent ihres Öls aus Kuwait und Irak, dennoch suchen sie eine Veränderung des Status quo im Mittleren Osten zu verhindern
Von Jochen Hippler
Es dürfte kaum eine Region der Welt geben, in der die USA, die Sowjetunion und die Länder der EG sich einem solchen Gemisch miteinander verknüpfter Interessen gegenübersehen wie im Nahen Osten. Die Ölversorgung, die Sicherheit Israels, die Lösung der Konflikte in Palästina und im Libanon, andauernde Geiselnahmen, der islamische Fundamentalismus, die innere Stabilität Saudi Arabiens und der anderen Feudalstaaten am Golf, revoltierende Kurden in der Südosttürkei - und die Eroberung Kuwaits durch den Irak: Ein ganzes Bündel sich gegenseitig beeinflussender Probleme, die kaum zu lösen sind, an denen aber schon einmal ein Präsident gescheitert ist: Jimmy Carter.
Die außenpolitischen Ursachen für die massive Militäroperation der USA in Saudi Arabien und im Golf scheinen einfach, sind es aber nicht. Offiziell geht es darum, zu demonstrieren, daß „die Aggression gegen einen kleinen Staat nicht toleriert“ werde. Dieser ehrenwerte Grund hat natürlich mit der Realität wenig gemein: Ein Land, das noch vor kurzem den Kleinstaat Panama mit der Begründung eroberte, dort einen Kriminellen festnehmen zu wollen, geht mit diesem Prinzip selbst höchst „flexibel“ um. Ein Berater Präsident Bushs formuliert demgegenüber den Grund der aktuellen Militäraktion sehr pointiert: „Wir brauchen das Öl. Es klingt gut, vom Eintreten für die Freiheit zu reden. Aber Kuwait und Saudi Arabien sind auch nicht gerade Demokratien. Wenn ihre wichtigsten Exportprodukte Orangen wären, dann hätte ein mittlerer Beamter des Außenministeriums eine Stellungnahme (zur irakischen Aggression) abgegeben, und wir hätten das Außenministerium für den August geschlossen.“
Aber auch diese realistisch klingende Einschätzung ist oberflächlich. Zur Sicherung der Ölversorgung wären die großen Militäraktionen nicht erforderlich, sie könnten durch ihr Eskalationspotential den Ölfluß eher gefährden. Schließlich hat der Irak nicht deshalb Kuwait erobert, um den Export von Öl einzustellen, sondern im Gegenteil. Einer der Gründe für die Eroberung lag schließlich im Interesse, sich die kuwaitischen Ölvorkommen anzueignen. Und unter allen denkbaren Szenarios wird der Irak (ob mit oder ohne Kuwait) auf den Export von Öl angewiesen sein: 95 Prozent seiner Deviseneinnahmen stammen daher.
Wenn es schon nicht um die Sicherheit der Ölversorgung eht, so geht es zumindest doch - nebenbei - um das Interesse an niedrigen Ölpreisen. In den USA wird heute bereits darüber diskutiert, daß die fragile US-Konjunktur selbst bei einem Ölpreis von 25 Dollar pro Faß bereits in eine Rezession abrutschen könnte. Und eine Kontrolle des kuwaitischen Öls durch den Irak (zusammen ein Fünftel der Weltreserven an Erdöl) würde mittelfristig vermutlich höhere Preise bedeuten: auf der letzten Opec-Konferenz hatte der Irak versucht, exakt 25 Dollar pro Faß durchzusetzen - und war an Kuwait und anderen gescheitert.
Nun ist allerdings fraglich, ob dieses begrenzte wirtschaftliche Interesse an etwas niedrigeren Ölpreisen als Begründung der US-Operation ausreicht. Diese ist ökonomisch ebenfalls nicht ohne Risiko: Bei einer Eskalation zum Krieg gegen den Irak würden die Kosten für die USA bei schätzungsweise 1 Milliarde Dollar pro Tag liegen, was angesichts der Lage des US-Staatshaushaltes katastrophal wäre. Darüberhinaus würde ein tatsächlicher Krieg am Golf mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ölexporte der gesamten Region (einschließlich Saudi Arabiens) stoppen - was dann die Weltrohölversorgung wirklich ernsthaft bedrohen und die Preise in astronomische Höhen befördern würde.
Der großangelegte Truppenaufmarsch am Golf hat zwar mit der strategischen Bedeutung der Region für die Erdölversorgung zu tun, aber nicht auf eine so direkte und schematische Weise. Das vorwiegende Interesse besteht für die USA in der Sicherung der Stabilität der Gesamtregion, einer Stabilität im US-Sinne. Saudi Arabien, Kuwait und die anderen Golfstaaten haben seit dem Zweiten Weltkrieg für die USA und die westeuropäischen Länder - verschiedene Funktionen übernommen, von denen hier drei am wichtigsten sind:
1. die physische Gewährleistung der Ölversorgung;
2. eine konsistente Niedrigpreispolitik, die das Interesse der westlich dominierten Weltwirtschaft über das finanzielle Eigeninteresse stellte;
3. die Kontrolle und Bekämpfung nationalistischer oder revolutionärer Bewegungen und Tendenzen.
Demgegenüber repräsentieren sowohl der Irak als auch der Iran seit dem Sturz des Schahs die Gegenpositionen. Beide selbst in hohem Maße repressiv, treten sie doch für den Sturz der Regime der diversen Regime feudaler Prinzenherrschaft am Golf ein und stellen daher schon eine Bedrohung der US-freundlichen Stabilität dar. Zugleich haben sich beide Länder massiv für eine Hochpreispolitik beim Erdöl eingesetzt, eine Notwendigkeit, die durch die hohen Kriegskosten noch zugenommen hat. Die USA und Frankreich hatten ja während des Golfkrieges den Irak deswegen unterstützt, um die revolutionäre Bedrohung durch den Iran von der arabischen Halbinsel fernzuhalten.
Außerdem: Hätten sich die USA nach dem Überfall des Irak auf Kuwait nicht massiv auf die Seite der Scheichtümer und Saudi Arabiens gestellt, dann hätten sich diese notwendigerweise politisch - und in der Ölpreispolitik - dem Irak annähern müssen. Sie hätten den Eindruck gewonnen, die Schutzzusagen der USA seien nutzlos und hätten sich mit Bagdad arrangieren müssen. Dies wäre aus US-Perspektive höchst unerfreulich gewesen: Der Irak wäre unbestrittene Vormacht am Golf gewesen, die USA hätten die Region nur noch schwer kontrollieren oder auch nur beeinflussen können.
Schließlich spielt noch eine Rolle, daß die USA aus eigenem Interesse auch die Interessen anderer Industriestaaten schützen - und schützen müssen. Auch wenn die USA selbst auf das Öl der Golfregion verzichten könnten - was große Schwierigkeiten verursachen würde, aber nicht völlig ausgeschlossen wäre, (schließlich beziehen die USA nur 3, 6 Prozent ihres insgesamt konsumierten Öls aus Kuwait und dem Irak, 7,1 Prozent aus Saudi Arabien) -, andere Länder könnten das nicht. Frankreich bezieht 35 Prozent seines Öls aus dem Golf, Japan sogar 64 Prozent. Falls diese und andere Staaten auf Golf-Öl verzichten müßten, wären dort tiefgreifende Wirtschaftskrisen unvermeidlich. Und in den USA wird argumentiert, daß solche Krisen in den europäischen Ländern oder Japan auch die US-Ökonomie in den Abgrund stürzen würden.
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