Frei heraus geschwindelt

■ „Was immer dieser Mund auch spricht“ - „Lautlinie“ im Bethanien

Den Knoten, von dem die Darstellerin sprach, den sie, Bein um Bein und Ellenbogen über Ellenbogen und Arm vorbei am Kinn rund um den Hals geschlungen und Wirbelsäule dreifach in sich verdreht, aus sich herausspuckte, -kotzte, -würgte, hatte ich nach der Vorstellung im linken Zeh. Nicht, weil sich das Gezeigte so dramatisch verwoben hätte, eher, weil gar kein Gewebe entstand, weil die Lautgehäcksel zusammenhanglos im Raum hingen, weil, wie es dem bewährten Performance-Genre entspricht, jedes Element sich möglichst unabhängig vom anderen frei flottierend in seine Einbahnstraße begab, weil alles zusammen ereignisheischig, dem Zufall unterworfen und sensitiv improvisiert nur den Ausschlag der Herztonkurve eines sich gerade selbst Erdrosselnden ergab. Die DDR-Kunst, die das Andere zur offiziell verordneten Kunst probierte, griff in ihrer Ratlosigkeit nach den sich avantgardistisch gebärdenden West -Vorgaben, lernte vom Westen, daß Sinnfreiheit top ist und möglichst beliebig aneinandergereihte, schrille Sprech- und Gesangsübungen, gekoppelt mit zerhackten Gesten und monotonen Instrumentalbegleitungen, die Jetztzeit-Kunst per se darstellen („Collage„/„Experiment„/„Emotionsdiagramm“ u.ä. wurden im Westen schon vor geraumer Zeit als Kunstlegitimationstermini verboten). Jetzt kommt sie mit ebensolchen Spontanerzeugnissen wie aus Rache in den westdeutschen Spielraum zurück. Als „starkes Stück“ hatte die „Lautlinie“ beim Münchner Theaterfestival angeblich die starkdeutschen Bayernherzen erobert - in dem auf Avantgarde abonnierten ehemaligen Bethanienkrankenhaus fühlte sich die norddeutsche Prosaseele nur weiter in seichte Gewässer entführt.

Auf gewisse Kehlkopföffnungsübungen folgte an jenem luftlosen Abend nach dem obligatorischen Tanzpüppchenaufzieharmgehebe und -gesenke ein Stöckelschuhtestgehen über maßstabsungetreue Klopapierstreifen hin zu einem Punkt der Verhedderung, an dem frau sich entschied, ihr Pumpsschuhwerk loszuwerden, und sich zum Tierwerden entschloß. Die Laute wurden alsdann gurriger, knurriger, ungezähmter: das Tiersein zeigte sich vor allem in einer alle Ausdrucksmittel, wie Stimme, Gestik und Mimik, befallenden Konvulsivität. Sätze kamen daher auf der bekannten Stimmbandbreite zwischen Geflüster und Geschrei, frei herausgeschwindelt aus dem Satzrepertoire vom eineinzigen Müller bis zum sinnlose Sätze verbietenden Wittgenstein.

Hysteria im schwarzen Schlangennoppenschlauch entblödete sich nicht, alles siebzehnmal zu wiederholen und mit möglichst redundanten Gesten zu unterlegen - man kam immerhin in den Genuß alter Küchenschlager, wie „so lange du die Füße unter meinen Tisch stellst“, des Beichtspiegels „mehrmals habe ich meinen Mund bewegt; ich habe mich artikulieren gelernt“ und realsozialistischer Kampfsprüche wie „Kaninchen aller Länder, vereinigt euch“. Dabei rollten und knirschten die Pupillen, wurden Wangenpolster massiert, drehten sich Halsmuskeln zu Stahlseilen. Auch die Entpuppungsnummer mit der Embryostellung und dem Existentialsatz, geboren worden und dabei nicht gefragt worden zu sein, wurde uns nicht vorenthalten. Der Teppichland-Werbespruch war angesiedelt zwischen „mein Geheimnis ist mir Pflicht“ und „laß mich schweigen“. Bei „Mutter, nimm bitte den Haß von meinen schwachen Schultern“ wurde deutlich etwas von der Schulter gewischt.

Hat man mich verstanden? Die nervenzerrende, ununterbrochene Minimalbeschallung auf Querflöte, Klavier, Kontrabaß und Gitarre verhinderte immerhin, daß die Leere aus dem Bühnenquadrat fiel - dafür wuchs die Leere in einem selbst, eine Leere, die sich irgendwie zu einem Mühlstein verknotete. Falsch verdichtet und daneben verschoben muß es gewesen sein, wenn man Leere, Mühlstein und Knoten in einer Metapher zusammenbringt...

Michaela Ott