piwik no script img

Abgesoffen!

■ Gemeinsames WM-Team legt BRD-Schwimmer trocken

PRESS-SCHLAG

Gewaltig war das Entsetzen im Lager der bundesdeutschen Schwimmerinnen und Schwimmer, als die böse Kunde zu ihnen durchdrang: Schon bei der Weltmeisterschaft im australischen Perth im Januar 1991 wird ein gesamtdeutsches Team an den Start gehen. Bei den Deutschen Meisterschaften vom 8. bis 11. November in Freiburg, die als WM-Qualifikation gelten soll, werden auch die Aktiven aus der DDR an den Start gehen. Michael Groß, einer der wenigen, der die Qualifikation für Perth noch schaffen dürfte, brachte die allgemeinen Ängste auf eine einfache Formel: „Wo bleiben wir eigentlich?“

Die Antwort ist in den meisten Fällen recht simpel: zu Hause. In kaum einer Sportart war der Leistungsunterschied zwischen BRD und DDR, vor allem bei den Frauen, derart kraß wie im Schwimmen, kaum ein Bereich wird daher von den Folgen der Vereinigung so hart getroffen. Obwohl die sieggewohnten Wassermänner und -frauen aus der DDR im Zuge der politischen Veränderungen einiges an Tempo eingebüßt haben, sind sie ihren westlichen Genossinnen und Genossen in der Regel immer noch um einige Armlängen voraus. Jedes Land bekommt bei der WM jedoch nur zwei Plätze in den einzelnen Disziplinen - zu wenig für die meisten Westler. Michael Groß jedenfalls sieht „eine Rücktrittswelle“ anbranden und prohezeit: „Viele werden jetzt sagen, es hat keinen Sinn mehr.“

Drum fordert der vielfache Olympiasieger eine Art Sozialplan für den BRD-Schwimmsport und richtet einen flammenden Appell an die Obrigkeit: „Jetzt sind die Politiker gefordert.“ Das Innenministerium solle dafür sorgen, daß eine größtmögliche Mannschaft nach Perth fliegen darf, die Staffeln sollten statt bisher mit vier Leuten mit sechs besetzt werden. Im Klartext: die aus der DDR ins Wasser, die aus der BRD auf die Tribüne. Dabeisein ist alles! Außerdem plädiert Groß für eine Quotierung in den Einzelwettbewerben: „Jetzt wie bislang zu sagen, die beiden Schnellsten sind qualifiziert, das geht nicht.“ Die Plätze sollten paritätisch besetzt werden. Ein Vorschlag, der wiederum im Ostteil des Landes nicht unbedingt auf Begeisterung stoßen wird.

Auch die Forderung von Groß, eine Riesenmannschaft zu entsenden, wird wohl an der bekannten Knauserigkeit des Bundesinnenministeriums scheitern. Eindeutig mehr Erfolg verspricht ein anderer Weg: Wenn die BRD schwimm-mäßig schon nicht das Niveau der DDR erreichen kann, gelingt es ja vielleicht, die DDR auf das Niveau der BRD herabzuziehen. Einige der führenden östlichen Trainer wie Achim Rother aus Chemnitz (Karl-Marx-Stadt), Coach der Olympiasiegerin Heike Friedrich, haben bereits ihre Kündigung erhalten, andere werden im Zuge des Einigungsprozesses folgen. Das Sagen beim Zusammenschluß haben die westdeutschen Funktionäre und die haben vor allem die Sicherung ihrer eigenen Macht im Auge. „Wer schafft sich schon gern selbst ab“, wie es Groß ausdrückt.

„Das Schwimmprogramm des vereinten Deutschlands wird das der Bundesrepublik sein“, stellte Lutz Wanja aus Potsdam, Trainer von Jörg Hoffmann, vor einigen Wochen bei den Goodwill Games in Seattle resigniert fest, und auf lange Sicht dürfte damit durchaus ost-westliche Leistungsgleichheit zu erreichen sein. Die Medaillen werden dann allerdings von anderen Nationen abgesahnt, was ja auch durchaus dem olympischen Geist entspricht. „Wir lassen uns nicht unterbuttern“, kündigte Wanja in Seattle an, und Kollege Rother skizzierte interessante Zukunftsperspektiven: „Wenn's sein muß, gehen wir alle nach Dänemark und bringen die in die Weltspitze.“

Matti

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen