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Jelzin: UdSSR „raubt“

■ Ukraine will eigenen Außenhandel / Keine SU- Gewinne aus Ölpreis-Steigerung / Krise in Bulgarien

MIT DEN AUSSENSTÄNDEN AUF DU UND DU

Kiew/Moskau/Sofia (adn) - Der Vizepremier der Ukraine, Viktor Urtschukin, hat sich am Montag nachdrücklich für ein eigenes Gesetz der Republik zur Außenhandelstätigkeit eingesetzt. Er unterstützte die Vorschläge zur Gründung einer ukrainischen Nationalbank. Zur Einführung einer nationalen ukrainischen Währung äußerte er sich zurückhaltend, da dies, wie er sagte, „einen stärkeren Schock als der Markt verursachen kann“. Gegen das Programm der Unionsregierung, das Preiserhöhungen beim Übergang zur Marktwirtschaft für unumgänglich hält, hat sich der russische Parlamentspräsident Boris Jelzin erneut stark gemacht. Im fernöstlichen Nachodka, einer weiteren Station seiner dreiwöchigen Rußlandreise, stellte er diesem Vorhaben laut Interfax das eigene Programm seiner Republik gegenüber, das vor allem auf das Lebensniveau des Volkes gerichtet sei. Als „Raub“ bezeichnete Jelzin, daß Rußland jährlich 70 Milliarden Rubel für den Unionshaushalt bereitstellen muß. Rußland werde in Zukunft auch keine unentgeltliche Hilfe mehr an andere Staaten zahlen.

Die Sowjetunion ist praktisch nicht in der Lage, aus der gegenwärtigen angespannten Situation auf dem Weltölmarkt Nutzen zu ziehen. Das geht aus einem Beitrag der Zeitung 'Iswestija‘ hervor. Die Förderleistung der Erdölgroßmacht falle unaufhaltsam. Schon 1989 sei die Produktion um drei Prozent gefallen. Ein weiterer Rückgang um vier Prozent trat im ersten Quartal dieses Jahres ein. Voraussichtlich werden sich die Lieferungen an den Westen in diesem Jahr gegenüber 1988 etwa um die Hälfte verringern. Bereits heute ist der Export in die osteuropäischen Länder entgegen den abgeschlossenen Verträgen gekürzt.

Die Behauptung, die Energiekrise in Bulgarien sei durch die UdSSR ausgelöst worden, hat jedoch der Handelsvertreter der UdSSR, Viktor Wassiljew, in einem am Wochenende in der Zeitung 'Otetschestwen Westnik‘ veröffentlichten Interview zurückgewiesen. Seit Jahresbeginn bis zum 6.August habe die Sowjetunion nur 581.000 Tonnen weniger geliefert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Diese Differenz könne nicht die Ursache für die Energiekrise in Bulgarien sein.

Daß sich die Wirtschaftskrise in Bulgarien vertieft, stellte die Zentralverwaltung für Statistik in der am Wochende veröffentlichten Bilanz der Produktionstätigkeit im Zeitraum Januar bis Juli 1990 fest. In den sieben Monaten wurden Erzeugnisse im Werte von 38,9 Milliarden Leva produziert, 9,4 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Hauptgründe dafür liegen im Fehlen von Rohstoffen und Materialien sowie im ungesicherten Absatz der Erzeugnisse. Ferner gibt es ökologische Gründe.

Gleichzeitig hat sich der Durchschnittsverdienst in einigen Wirtschaftszweigen um 19,4 Prozent erhöht. Die Warenproduktion in diesen Zweigen je Beschäftigter stieg um 2,4 Prozent. Mit Ausnahme der Textil- und Bekleidungsindustrie ist in allen Industriezweigen ein Produktionsrückgang zu verzeichnen. Der Export verringerte sich um 5,3 Milliarden Leva. Auf dem Binnenmarkt besteht ein Defizit bei 188 der 293 Waren des Grundbedarfs. Es mangelt vor allem an Fleisch, Fisch, Bohnen, Linsen, Eiern, Kinderbekleidung, Trikotagen, Schuhen, Streichhölzern, Seife, Kühlschränken. Von Mai bis Juli sind die Lebenshaltungskosten um acht Prozent gestiegen. Experten aus den USA untersuchen zur Zeit die ökonomische Situation Bulgariens, um bis Oktober gemeinsam mit bulgarischen Fachleuten ein Programm für den Übergang der Wirtschaft zu Marktprinzipien auszuarbeiten.

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