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„Eine weitere Hinauszögerung wäre verheerend“

■ SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier über die Notwendigkeit des schnellen Beitritts Anpassungsregelungen können im Bundestag „unter Mitwirkung von Volkskammerabgeordneten“ getroffen werden

INTERVIEW

taz: Weshalb plädieren Sie jetzt für einen schnellen Beitritt der DDR?

Ingrid Matthäus-Maier: Ich bin für einen schnellstmöglichen Beitritt, weil offensichtlich das Chaos unter der De-Maiziere-Regierung komplett ist. Klare Verantwortlichkeiten müssen her und auch nach außen sichtbar auf Bundeskanzler Kohl übergehen. Es geht um Klarheit in der Eigentumsfrage, denn Unklarheit ist auch ein Investitionshindernis. Des weiteren müssen Sofortmaßnahmen in Gang gesetzt werden zur Gesundung der Betriebe und zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Das alles geht nur mit klaren Verantwortlichkeiten, deshalb: möglichst schneller Beitritt. Jeder Tag vergrößert außerdem die Kosten. Eine weitere Hinauszögerung wäre für Ost und West verheerend.

Worin liegen die konkreten Vorteile beim schnellen Beitritt?

Es ginge dann endlich gemeinsam los in einem gesamtdeutschen Parlament. Es gibt Klarheit für die Investoren. Man kann sofort einen gesamtdeutschen Haushalt aufstellen, was ja bisher nicht möglich ist. Herr Waigel kennt natürlich all die Zahlen von Herrn Romberg. Deshalb war es ein böses Spiel, Herrn Romberg für all die Etatlöcher verantwortlich zu machen, die Herr Waigel kennt und für die er verantwortlich ist, weil er den Finanzrahmen des ersten Staatsvertrages zu eng geschneidert hat. Weiterhin kann die Eigentumsfrage sofort geklärt werden. Vor allem kann schneller entschieden werden. Beispielsweise auch, daß Leute aus der westdeutschen Beamtenschaft in den mittleren Bereichen der DDR helfen können. Wir hören ja täglich, daß alte SED-Kader immer noch verhindern, daß es im Lande aufwärts geht. All dies wäre in einem einheitlichen Staat viel einfacher.

Und die Ängste vor dem schnellen Beitritt?

Es besteht das Mißverständnis, es würde sofort die Rechtsordnung der Bundesrepublik übergestülpt. Das ist nicht der Fall. Die Anpassungsregelungen können alle getroffen werden in einem Überleitungsgesetz unter Mitwirkung von Volkskammerabgeordneten. Bisher hat es die Regierung de Maiziere versäumt, endlich an das milliardenschwere Vermögen der SED/PDS und der Blockparteien heranzugehen. Ich halte das für ganz unerträglich. Man fordert von den Menschen in Ost und West Opfer, und da liegt ungenutzt ein Milliardenvermögen, mit dem man einiges finanzieren könnte. Manche befürchten, daß nach einem schnellen Beitritt Bundesrecht gilt und möglicherweise dieses Vermögen nur noch schwer erreichbar wäre. Das wäre der größte denkbare Skandal, wenn die Ost-CDU oder Herr Gysi dieses unrechtmäßige Vermögen unter den Schutz des Artikels 14 des Grundgesetzes hineinretten würden. Noch diese Woche kann in der Volkskammer bezüglich der Parteivermögen ein Schnitt gemacht werden, um sofort Geld für den Aufbau zu haben.

Verändern sich die Fraktionsstärken mit 144 Volkskammerabgeordneten im Bundestag?

Rein formal haben natürlich die Bundesbürger und deren parlamentarische Vertreter ein Übergewicht. Nach diesem Schema darf es aber nicht gehen. Jeder, der vernünftig ist, weiß, daß ein Überstimmen der DDR-Abgeordneten etwa in der Frage der Finanzausstattung der Länder außerordentlich kurzsichtig wäre. Wenn die DDR-Länder finanziell nur so ausgestattet werden, daß sie für alle Zeiten die Fußkranken der Nation sind, ist das nicht nur gefährlich für die DDR, sondern auch tödlich für die Bundesrepublik und die West -Länder.

Es gibt aber auch von den Bundesländern Vorstöße, sich jetzt noch gewisse Vorteile zu verschaffen. Kündigt sich da ein Länder-Egoismus an?

Es ist verständlich und nachvollziehbar, daß jetzt alle Bundesländer sagen: so nicht. Im Mai sagten Kohl und Waigel, die Kosten der Einheit seien aus der Portokasse zu finanzieren. Jetzt, da die Wahrheit scheibchenweise ans Licht kommt, greift man anderen, den Ländern, in die Tasche.

Wehren Sie sich immer noch gegen Steuererhöhungen?

Ich weigere mich, an Steuererhöhungsdebatten teilzunehmen, wenn nicht zuerst ernsthaft eingespart wird. Es muß einem Politiker aber mehr einfallen als entweder über Pump zu gehen oder gleich über Steuererhöhungen zu diskutieren. Wir geben allein zweieinhalb Milliardem DM für Munition aus, das ist fast soviel, wie die DDR jetzt ausgeben will für ein Infrastrukturprogramm. Man muß mal diese Größenordnungen vergleichen. Wir müssen endlich energisch beim Verteidigungshaushalt einsparen.

Plant die Bundesregierung nicht sogar Steuersenkungen?

Tagtäglich wird wiederholt, daß es in der nächsten Legislaturperiode eine Senkung der Steuern für Unternehmer und Spitzenverdiener geben soll. Dabei geht es um 25 Milliarden Mark. Solange die Steuersenkungsdebatte nicht vom Tisch ist, ist eine Steuererhöhungsdebatte unverantwortlich. Dies alles kann und muß diskutiert werden, wenn die Bundesregierung endlich einen gesamtdeutschen Haushalt vorlegt. Man konnte nicht Ende September den bisherigen Bundeshaushalt diskutieren, vor dem Beitritt. Aber die Verknüpfung, den Haushalt erst nach der Wahl vorzulegen, ist unmöglich. Erstens: Nach unserer Verfassung können neue Aufgaben über einen nicht verabschiedeten Haushalt nicht in Gang gesetzt werden, und wir brauchen dringend die Finanzierung neuer Aufgaben. Und zweitens brauchen Investoren und Kapitalmärkte Klarheit über die Höhe der Neuverschuldung.

Betreibt also die Bundesregierung aus politischem Kalkül eine Art Obstruktion?

Hier wird offensichtlich versucht, sich über die Runden zu retten und die Bevölkerung zu täuschen, um irgendwie in das nächste Jahr hineinzurutschen. Die Verschiebung des Haushalts ist ein Versuch der Täuschung.

Interview: Anna Jonas

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