: Schwarzer Peter
■ DDR-Parteien beschäftigen sich am Tag nach dem Koalitionsbruch mit gegenseitigen Schuldzuweisungen
Gegenseitige Schuldzuweisungen und tastende Suche nach der jeweils günstigsten Parteitaktik für die letzte Runde DDR bestimmten gestern nach dem definitiven Ende der Großen Koalition in Ost-Berlin das politische Geschäft. „Flucht aus der Verantwortung“ lautete das Verdikt, das der alleingelassene Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere seinem Koalitionspartner hinterherschickte. Die Sozialdemokraten machten hingegen das „koalitionszerstörende Verhalten“ des Ministerpräsidenten und das „parteitaktische Zusammenspiel“ zwischen Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident de Maiziere für den Bruch verantwortlich.
Die SPD hatte am Sonntagabend in einer eigens anberaumten Sitzung der Volkskammerfraktion erwartungsgemäß die Trennung besiegelt. Nach 130 Tagen kündigten die Genossen die Koalition und beschlossen, alle SPD-Minister und Staatssekretäre aus ihren Ämtern zurückzuziehen. Nur noch fünf der 68 anwesenden Abgeordneten, darunter der von allen CDU-Attacken unbeeindruckte Fraktionschef Schröder, wollten noch an der Regierung festhalten. Die streitbare Arbeitsministerin Regine Hildebrandt enthielt sich der Stimme. DDR-Außenminister Meckel, der im März das Zustandekommen der Koalition maßgeblich betrieben hatte, war gestern morgen der erste, der sein Amt niederlegte. Seine Geschäfte wird der Regierungschef persönlich zu Ende bringen.
Obwohl nach dem Rauswurf von SPD-Finanzminister Romberg niemand mehr ernstlich mit einer Fortsetzung der Koalition rechnete, verbrachte die Union die letzten Stunden vor der entscheidenden Fraktionssitzung der SPD mit demonstrativer Schadensbegrenzung: De Maiziere stellte sich naiv und bedauerte die harte Reaktion der Genossen, mit der er so nicht gerechnet habe. Parlamentspräsidentin Bergmann-Pohl erschien überraschend zur Sitzung des Fraktionsvorstandes, um ihren Appell an die verbliebenen SPD-Minister zu richten, doch weiter zu amtieren.
Mit dieser Rettungsaktion wollte sich die Union quasi in letzter Minute kooperationsbereit präsentieren. Nicht de Maizieres Ministerrauswurf, sondern die parteitaktisch motivierte Starrköpfigkeit der Genossen sollte als Ursache des Bruchs erscheinen. Dazu paßt auch, daß de Maiziere während der jüngsten Krise immer wieder seine Gesprächsbereitschaft angeboten hatte, weil es doch gelte, „im Interesse der Menschen in der DDR die schwierigen Probleme gemeinsam zu lösen.“
Ungeachtet der Tatsache, daß seine Regierung mit dem SPD -Ausstieg keine parlamentarische Mehrheit mehr besitzt, hält de Maiziere am bisherigen Fahrplan für die Einigung fest. Erst gelte es, den Einigungsvertrag mit Bonn auszuhandeln und zu verabschieden; dann solle der Beitritt zeitgleich mit den Landtagswahlen am 14.Oktober vollzogen werden.
SPD-Chef Thierse wies die Schuldzuweisungen aus der Union zurück. Systematisch sei der Einfluß der SPD bei den Einigungsverhandlungen eingeschränkt worden. Die „öffentliche Brüskierung“ durch den Koalitionspartner habe demselben Zweck gedient. Jetzt werde man aus der Opposition heraus versuchen, in der Eigentumsfrage und bei der Länderfinanzierung Verbesserungen für die DDR-Bevölkerung zu erzielen.
Doch auch Thierse baute gestern wie seine West-Genossen bereits vor: Auch im Fall, daß der Einigungsvertrag am Widerstand der SPD scheitere, entstünde nach dem Beitritt kein rechtsfreier Raum in den DDR-Ländern. Auch in einem Überleitungsgesetz könnten wesentliche Punkte zur Wahrung der DDR-Interessen rechtlich fixiert werden. Dieses inhaltliche Kriterium, nicht die Alternative Einigungsvertrag oder Überleitungsgesetz, sei letztlich entscheidend.
eis
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