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„Nicht nur ein Cafe boheme“

■ Akademie der Künste ringt um Identität / Zwölf Millionen Mark Etat stehen Einnahmen in Höhe von 200.000 bis 300.000 Mark gegenüber / Kein Panoptikum kultureller Sonderentwicklung

Von Wolfgang Richter

Die Akademie der Künste zu Berlin arbeitet an einem neuen Statut, was dem Ministerpräsidenten vorgelegt werden soll. Der neuberufene Direktor der Akademie, Prof. Dr. Ulrich Dietzel erklärte gegenüber 'adn‘ die Notwendigkeit: Die Akademie hatte Mitte Juli das bisherige Statut außer Kraft gesetzt, „weil sein Anachronismus zu offenkundig geworden“ sei. Jetzt ginge es darum, „die Bewahrung des Bewahrenswerten, das sich auf 300jährige Traditionen stütze, mit einer Neubestimmung ihres Platzes in einer veränderten Gesellschaft zu verbinden“. Mit anderen Worten, das Spezifische dieser Akademie in die kulturelle Vielfalt eines vereinten Deutschlands einzubringen.

Dazu gehöre auch die Entwicklung deutscher Kunst und Literatur in diesem Teil Deutschlands und daß das gültig bleibe, was 1950 bei der Neugründung genannt worden ist: zeitgenössische Kunst zu fördern, Debatten über Kunstproduktion und Kunstrezeption zu initiieren, mit dem künstlerischen Nachwuchs zu arbeiten, über Sinn und Nutzen der Kunst für die Gesellschaft nachzudenken und der Öffentlichkeit entsprechende Angebote zu unterbreiten. Nur in dieser Einheit könne seiner Meinung nach die Akademie in Zukunft bestehen, natürlich müsse sie auch das sein, was Arnold Zweig „nicht nur ironisch als Cafe boheme“ bezeichnet hat.

Darüber sei man sich mit allen zuständigen Stellen einig, so der Direktor. Er habe nach Gesprächen im Amt des Ministerpräsidenten, dem die Akademie unterstellt ist, im Kulturministerium und mit Partnern in West-Berlin und der Bundesrepublik den Eindruck gewonnen, daß man „an einer Liquidierung der Akademie genau so wenig interessiert ist, wie an der Möglichkeit, daß sie mit der Auflösung der DDR in ein finanzielles Nichts gerät“. Bestimmte Dinge, die in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt hätten, so die monatliche Aufwandsentschädigung für die Mitglieder, seien aus der Welt. Aufwendungen für die Akademie müßten künftig über Honorare entschädigt werden. Auch über eine „spürbare personelle Verringerung“ der gegenwärtig 338 Mitarbeiter sei man sich einig, auch wenn sie schmerzlich sei. Das eigentliche Problem bestehe jetzt jedoch in der Sicherung der rechtlichen Voraussetzungen und finanziellen Grundlagen für die Arbeit, sagte Prof. Dietzel. Der Jahresetat betrage 12 Millionen Mark, dem Einnahmen in Höhe von 200.000 bis 300.000 Mark gegenüberständen. Bis zum Wirksamwerden der Kulturhoheit der Länder werde eine Überbrückungsfinanzierung benötigt. „Wir gehen davon aus, daß sie in diesem Jahr gesichert ist und daß wir die Voraussetzungen schaffen können, sie auch für 1991 zu sichern.“ Die gegenwärtigen Probleme der Akademie könnten nicht durch eine schnelle Vereinigung mit der Westberliner Akademie gelöst werden. Zunächst müßte man das Besondere beider Akademien ausloten, das Gemeinsame und das Unterschiedliche in den Strukturen beider Häuser. In dieser Frage bestehe Übereinstimmung zwischen beiden Akademiepräsidenten, Heiner Müller und Walter Jens. „Wir glauben, daß beide Akademien für eine absehbare Zeit - vielleicht sogar generell - in einer solchen Stadt von europäischem Zuschnitt, wie sie Berlin mehr und mehr werden wird, mit genau definierten Programmen für eine Kooperation und Arbeitsteilung nebeneinander bestehen könnten.“ So gebe es bestimmte Schwerpunkte der Westberliner Akademie, die das ihr eigene Gesicht prägen. In der DDR seien es die Meisterschülerausbildung, die wissenschaftliche Arbeit und der in seinem ideellen und materiellen Wert unschätzbare Fonds der Archive und Sammlungen, der wie keine andere kulturelle Einrichtung in Deutschland Vorgeschichte und Geschichte der kulturellen Leistungen, die in der DDR erbracht worden sind, dokumentiere. Der Gesprächspartner wandte sich gegen den in der Öffentlichkeit geäußerten Vorwurf, daß die Kunstakademie nur ein Teil der Fassade dieses Landes gewesen sei. Bei aller Notwendigkeit, nach dem Versagen und der Mißbrauchbarkeit der Akademie zu fragen, sollten ihre Leistungen nicht vergessen werden. Sie habe Widerstand geleistet und trotz Schelte und Maßregelungen versucht, an ihrem auf Demokratisierung und Humanisierung des ganzen Deutschlands gerichteten Gründungsauftrag festzuhalten. „Wir sollten heute davon ausgehen, daß das, was an DDR-Kunst und Literatur geschaffen wurde, Teil der Entwicklung deutscher Kunst und Literatur in diesem Jahrhundert ist. Wir verstehen unsere Archive und Sammlungen nicht als Panoptikum von 40 Jahren kultureller Sonderentwicklung, sondern als Teil jener Kulturentwicklung, deren Wurzeln bis in die Jahrhundertwende hinabreichen und nach vorn hin offen ist.“ Die kulturellen Leistungen der DDR gehörten zu den Positiva, die in das geeinte Deutschland eingebracht und bewahrt werden müßten. Er hoffe, daß „Glanz und Elend, Anpassung und Widerstand, Aufbegehren und Mitschuld“ dieser Akademie auch wissenschaftlich untersucht würden.

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