Aus-saniert

■ Zum Rücktritt des Chefs der Treuhandanstalt Gohlke

KOMMENTARE

Götter-, nein Wichteldämmerung im vereinten Deutschland. Das Panorama des Desasters ist komplett und offensichtlich die rasende Dekomposition der DDR. Ein stehendes K.o., bei dem die bundesrepublikanische Presse laut mitzählt. Dennoch ist das Bild nur die halbe Wahrheit, also unwahr, weil es als die Wahrheit der anderen Hälfte Deutschlands abgehandelt wird. Die DDR-Regierung verantwortet allein ihre moralische Verwahrlosung. Doch der Vorwurf, sie sei eine Laienspielschar ist falsch, weil die Inkompetenz hüben und drüben sich nichts nimmt. Kein Ostberliner, kein Bonner Politiker ist der Vereinigung gewachsen. Traumtänzer sind sie alle. In dieses Bild gehört die Flucht Gohlkes aus dem Amt. Er schweigt sich über den Anlaß aus, aber die Gründe sind überdeutlich.

Was wird dem Chef der Treuhandanstalt vorgeworfen? Er habe „nicht schnell genug“ privatisiert. Sicher ist, daß es einigen bundesdeutschen Konzernen, die im Geschäft sind, nicht schnell genug ging. Die Planwirtschaft deckte monopolistisch den Bedarf. Das Motiv für den Einstieg westlicher Firmen war selbstverständlich der monopolistische Extraprofit und nicht die Marktwirtschaft. An diesem Punkt haben sich die SED-Ausverkäufer mit den westlichen Aufkäufern sofort verstanden. Wenn die Steigenberger-Kette die Interhotels übernehmen wollte, hieß das, praktisch das Hotelwesen der DDR übernehmen. Natürlich funktionieren solche Manöver nur durch Schnelligkeit. Aber ist das wünschenswert? Gohlke wird vorgeworfen, er habe mehr saniert als privatisiert. So der Wirtschaftsteil der 'Faz‘. Ein Vorwurf, der heiter stimmt. Sollte Gohlke etwa Firmen privatisieren, wenn sie illiquide waren, war er nicht vielmehr verpflichtet, zu sanieren, um zu privatisieren? Aber die Zeit, die eine Sanierung braucht, hat die Anstalt nicht.

Überhaupt: schon wie seine Aufgabe öffentlich umschrieben und von den gesamtdeutschen Laienpolitikern vorgedacht wurde, zeigt die ganze Absurdität dieser Unternehmung. Es galt angeblich, 8.000 Betriebe zu privatisieren. Diese 8.000 Betriebe sind aber nebenbei praktisch die Volkswirtschaft. Unsere bundesdeutschen Strategen der Marktwirtschaft haben nicht sehen wollen, daß auch die DDR-Wirtschaft ein Kreislauf ist. Der Kreislauf ist zusammengebrochen, und die Aktiva der Betriebe stecken irgendwo im Kreislauf. Die Milliarden D-Mark Dispositionsmasse, die der Anstalt zur Verfügung stand, hat die Währungsunion aufgefressen, weil sie den Kreislauf zusammenbrechen ließ. Denn logischerweise mußten die Betriebe aus den Krediten die Löhne bezahlen. Mithin fehlte das Geld für die Sanierung. Die Treuhandanstalt versagt nicht im Zusammenbruch der DDR -Wirtschaft; sie ist ein Teil des Zusammenbruchs geworden.

Diese ganze Treuhandanstalt ist eine Fehlkonstruktion; der öffentliche Beweis für die wirtschaftspolitische Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung - allein tauglich als teuer Nebelwerfer, der dazu dient, das factum brutum zu verschleiern, daß die gesamte DDR-Wirtschaft mit der Währungsunion in Konkurs gehen mußte. Ein Chef dieser Anstalt steht unter Druckverhältnissen, an denen jeder scheitern muß: die SED-Kader der mittleren Ebene, die alle Chancen zur Korruption und Blockade haben; der Druck bundesdeutscher Konzerne, die ihren Marktanteil in der DDR sichern wollen; der Druck der Bonner Regierung, die das Haushaltsloch begrenzen will; von Arbeitslosigkeit, Illiquidität der Betriebe und allgemeiner Wut ganz zu schweigen. Ein Schlangennest übermächtiger Interessen, ohne jede Öffentlichkeit. Genaugenommen ist diese Anstalt ein Zwitter der bundesdeutschen und der realsozialistischen Kommandowirtschaft. Staatmonopolistische Interessen und Überlebensinteressen der bürokratischen Planwirtschaft sind da ein unkeusches Bündnis eingegangen. Angesichts des politischen Scheiterns erhebt sich die grundsätzliche Frage

-für die natürlich auch keine Zeit zur Verfügung steht - ob überhaupt die Ablösung der Planwirtschaft durch die Marktwirtschaft ohne eine Demokratisierung der Wirtschaft selbst möglich ist.

Eine Anstalt ist per se nicht in der Lage, Öffentlichkeit zu schaffen und politische Prioritäten zu setzen. Die Politiker haben die Frage der Priorität wiederum an die Anstalt abgegeben. Aber die wichtigste Prioritätsentscheidung: Sanierung oder Privatisierung um jeden, das heißt den schlechtesten, Preis gehört ausschließlich in die Verantwortung der Politik, aus der sich Bonn und Ost-Berlin geflüchtet haben. Die Anstalt selbst hat letztlich keinen anderen Sinn, als diese Verantwortungslosigkeit zu verschleiern. Es macht in diesen Tage keinen Spaß recht zu behalten. Ich habe kürzlich die Absurdität der Vereinigung als den Versuch beschrieben, daß ein Wohlfahrtsausschuß in Bonn das „Ancien Regime“ beauftragt, die Gesellschaftsumwälzung in der DDR durchzuführen. Ausdruck dieser administrativen Revolution ist die Treuhandanstalt. Am Ende wird sich zeigen, daß alles schneller gegangen wäre, wenn man sich mehr Zeit gelassen hätte. Und daß eine demokratische Umwälzung dem Steuerzahler weniger gekostet hätte als die Administration der Vereinigung.

Klaus Hartung