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Ethnokrimi in der „Abendschau“

■ Mit Hans-Werner Kock auf „Jugo-Jagd“

UNSER TÄGLICHER RASSISMUS

Irgendwie freut man sich immer, wenn man um 19 Uhr 21 vom zweiten ins erste Programm umschalten kann und dann die vertraute Melodie der Abendschau erklingt. Man weiß, daß sich die Sendung nichts sehnlicher wünscht, als wieder die Hofberichterstattung für Schattenkönig Eberhard übernehmen zu dürfen, und daß immer noch beim Verlesen der Meldungen aus dem „Ostteil unserer Stadt“ leichtes Angewidertsein in den Stimmen klingt. Alle Erwartungen werden erfüllt, wenn die Reporter kurz vor der Tagesschau zuverlässig jene wirklich schönen Bilder von den kulturellen Großveranstaltungen präsentieren, die sonst unbemerkt an einem vorbeigerauscht wären. Montag zum Beispiel die Fahrt der waghalsigen Lebenspyramide im Olympiastadion mit unzähligen ineinander verknoteten Polizisten und so weiter und so weiter.

Dienstag aber überschritt das Magazin mit einem halb kulturellen, halb kriminalistischen Schlußbeitrag seine selbstgesteckten Grenzen - geographische und andere auch. Nach den deftigen Beiträgen über die „Zigeuner“, die entweder klauen oder unsere Grünanlagen ruinieren, über Polen, die Aldi leerkaufen und mit Videorecordern unsere Kantstraße blockieren, ging es diesmal um das „Hütchenspiel“, das derzeit populäre Glücksspiel mit drei Streichholzschachteln und darunter bzw. nicht darunterliegenden Perlen. Vor allem auf dem Ku'damm werden Einkaufende und Touristen zum Mitspielen, Mitraten, Mitgewinnen aufgefordert. Und zwar von Jugoslawen. Laut Recherche der Abendschau ist es dabei in letzter Zeit immer häufiger zu Zwischenfällen gekommen. Blut floß. Einem Spieler wurde sogar vom Mitglied einer rivalisierenden Gruppe „vor den Augen der Passanten die Kehle durchgeschnitten“. In Folge solcher sich häufender, den Berliner belästigender Ereignisse wurde sich das Stadtmagazin seiner Macht als meinungsbildendes Organ bewußt und verlangte endlich Gegenmaßnahmen. Zu diesem Zweck entschloß man sich in der Abendschau-Redaktion zu einer Hetzkampagne, wie man sie lange nicht mehr gesehen hat. Hans -Werner Kock und seine Kollegen ließen sich die Sache etwas kosten und schickten ein Reporterteam (Bericht: Holger Senft) ins makedonische Skopje. Dort nämlich befindet sich „die Kaderschmiede“ der Spieler, und die Berliner konnten sehen, in welch „schmutzigen Hinterzimmern“ die gemeinen Tricks gelehrt werden. Auf den Fahrten durch die Straßen von Skopje wurde demonstriert, daß nichts als Müll vor den armseligen Hütten dieser Stadt liegt und dunkle Gestalten, statt den Unrat wegzuräumen, sich im Hütchenspiel üben, damit sie später um so versierter die Ahnungslosen auf dem Ku'damm reinlegen können. Dem Team gelang es vor Ort, Hütchenspieler vor die Kamera zu bekommen, sie zum Auspacken zu bringen und in Nahaufnahmen ihre kriminelle Tätigkeit zu filmen: Schwarze (schmutzige?) Hände schieben in atemberaubendem Tempo weiße Schächtelchen hin und her, durchtrieben, dämonisch, gefährlich. Im Anschluß an diese beunruhigenden Bilder über die neue „Mafia“ aus Jugoslawien wurden Berliner Sachverständige interviewt. Eine Beamter der „Jugo-Kripo“ (!) rief die Justiz auf den Plan: Wenn die Polizei einen Hütchenspieler in flagranti erwische, so der blonde Experte für ethnospezifische Kriminalität, dürfe der Übeltäter nicht ungestraft am nächsten Tag wieder freigelassen werden. Sonst würde sich der „Teufelskreis“ nicht durchbrechen lassen ... Das bekräftigte ein über den Beitrag sehr zufriedener Moderator Hans Werner Kock: „Großzügig ist sie, unsere Justiz. Wahrscheinlich muß erst einmal ein Staatsanwalt ordentlich über den Löffel barbiert werden, bevor wirklich etwas geschieht. Macht's gut, Nachbarn!“

Hella Knappertsbusch/Dorothee Wenner

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