piwik no script img

„Die erfolgreichste Schwimm- sportnation verschwindet“

■ DDR-Schwimmsportland Nummer eins geht unter / Erfolgreiches Leistungssystem zerbröckelt / 'adn'-Interview mit dem DSSV-Präsident Wilfried Windolf

INTERVIEW

Berlin (adn) - Die BRD-Schwimmer jammern: Für die Weltmeisterschaft in Australien im Januar müssen sie sich gegen die überlegenen DDR-Kollegen qualifizieren - für die meisten das Aus (s. taz vom Dienstag). Schon fordert Michael Groß, nervös geworden, einen Sozialplan für die Aktiven des DSV: Ihm schwebt eine Halb-und-halb-Quotierung vor, was im Endeffekt nichts anderes bedeutet, als viele schnelle DDR -Schwimmer zugunsten langsamerer aus der BRD daheim zu lassen. Vom sportlichen Gesichtspunkt aus völliger Unsinn. Als weitere Variante fordert Groß eine zahlenmäßige Aufstockung der WM-Mannschaft, wofür wiederum das knauserige Bundesinnenministerium wenig Verständnis aufbringen wird. Weit und breit also keine rettende Idee in Sicht - unter den BRD-Schwimmer herrscht Endzeitstimmung.

Doch in der Noch-DDR ist die Stimmung nicht besser: Auf dem Weg zur deutschen Einheit zeichnet sich ab, daß der DDR -Schwimmverband nur „zweiter Sieger“ sein wird. Das ist bitter für einen Verband, der sich größter Erfolge rühmt, der noch 1988 in Seoul Platz eins im Weltschwimmsport hielt. Hinter den Kulissen rumort es. Wilfried Windolf, dem Präsidenten des Deutschen Schwimmsport-Verbandes der DDR, über die aktuelle Problematik.

'adn‘: Am vergangenen Wochenende hat der Schwimmverband/West (DSV) den Vorschlag des Schwimmverbandes/Ost (DSSV) akzeptiert, zu den Weltmeisterschaften im Januar 1991 in Perth nur ein deutsches Team zu entsenden. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?

Wilfried Windolf: Ursprünglich hatten wir vor, daß sich der DSSV als erfolgreichster Verband der letzten Jahre bei den Weltmeisterschaften mit einer starken Mannschaft, mit guten Leistungen von der Bühne des internationalen Schwimmsports verabschiedet. Auf Grund der in raschem Tempo erfolgenden deutschen Vereinigung bei gleichzeitiger Auflösung der bisherigen Strukturen im DDR-Leistungssport, wurde die Bildung zweier WM-Mannschaften jedoch in Frage gestellt. Mit vollzogener Einheit könnte sich jeder Sportler bei den Deutschen Meisterschaften um die WM-Qualifikation bemühen, eine Trennung in zwei Mannschaften wäre gar nicht mehr möglich. Das DSV-Präsidium hat sich nun unseren Argumenten angeschlossen, nachdem es lange für zwei getrennte Mannschaften plädiert hatte. Für die unmittelbare WM-Vorbereitung würden wir unseren Anteil erbringen, und wir wollen mit Hilfe des NOK der DDR auch einen finanziellen Beitrag leisten.

Wie geht es weiter auf dem Vereinigungsweg?

Bis Ende September wird die Bildung der Landesverbände abgeschlossen, die in Thüringen, Brandenburg und Berlin schon existieren; in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Mecklenburg -Vorpommern in Vorbereitung sind. In den ersten Oktobertagen erfolgt ihr Antrag auf Beitritt zum DSV, über den der DSV -Verbandsbeirat laut Satzung zu entscheiden hat. Danach löst sich der DSSV auf. Mit diesem Ablauf ist dann eine ordentliche Teilnahme der Aktiven aus der jetzigen DDR im November an den Deutschen Meisterschaften als der alleinigen WM-Qualifikation gewährleistet, wobei einheitliche Nominierungskriterien zur WM, gültig für die Aktiven wie auch für die Zusammensetzung des Trainerstabes, zu erarbeiten wären.

Was wird aus dem Personalbestand des DSSV nach der Verbandsauflösung?

Es gibt ein Stufenprogramm des Abbaus. Per 31.Dezember wird es keinen hauptamtlichen Angestellten mehr im jetzigen Verbandsbereich geben. Es ist aus heutiger Sicht noch unklar, in welcher Größenordnung hauptamtliche Kräfte in den DSV übernommen werden. Das gilt auch für unsere erfolgreichen, erfahrenen Trainer. Die auf dem jetzigen DDR -Gebiet vorgesehenen sechs Bundesstützpunkte sollen nach DSV -Konzept mit nur je einem vom Bundesausschuß für Leistungssport bezahlten hauptamtlichen Trainer bestückt werden. Was das Mitspracherecht des Ostens im DSV angeht, so wehren wir uns gegen das Vorhaben, die Vorsitzenden der neuen Landesverbände nur in die Verbandsbeiräte einzugliedern, und mich ohne Stimme als einen der Vizepräsidenten in das Verbandspräsidium zu kooptieren. Es ist leider so, daß der DSV an keiner Stelle seine Position aufgeben will.

Kann es sich der deutsche Schwimmsport leisten, im Osten reichlich vorhandenes Leistungspotential dem Verfall preiszugeben?

Der heutige DDR-Leistungssport verfügt über erfahrene Fachleute und Manager, für die es aber nur eine ganz geringe Chance gibt, übernommen zu werden. Es ist Fakt: Die erfolgreichste Schwimmsportnation verschwindet. Die Leute gehen in andere Berufe oder ins Ausland, große Erfahrungswerte fließen, wesentliche Bestandteile der Struktur sind schon kaputt, das Sichtungssystem, das System der Förderung über die Trainingszentren zu den Klubs. Es gibt gravierende Einschränkungen in der Gestaltung des Trainings im einheitlichen Prozeß mit der schulischen Ausbildung. Es bröckeln die Strukturen bis hin zur sportmedizinischen Betreuung.

In der Diskussion um die Deutschen Meisterschaften und die WM-Mannschaft wird auf bundesdeutscher Seite wieder der Dopingvorwurf artikuliert. Sehen Sie darin ein Problem?

Wir waren die erste Mannschaft, die den von Spitzenschwimmern wie Michael Groß und Adrian Moorhouse bei den Europameisterschaften 1989 in Bonn erlassenen Aufruf gegen das Doping unterstützte. Anfang Januar dieses Jahres haben wir dem DSV den Entwurf für eine Vereinbarung über gegenseitige Dopingkontrolle in Training und Wettkampf vorgelegt. Der DSV hat sich damit jedoch nicht weiter befaßt, durch seinen Präsidenten lediglich mitteilen lassen, daß für solche Vorhaben kein Geld zur Verfügung stehe. Ich finde, es hat keinen Zweck, sich jetzt etwa gegenseitig Vorwürfe zu machen. Unser Vorschlag liegt, wie gesagt, seit langem auf dem Tisch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen