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Der Gesinnungs-TÜV und seine Altlasten

■ Rot-grüner Kultusminister Wernstedt in Niedersachsen: Berufsverbote „politisch-moralisch falsch“ - Unrecht aber war's nicht Bei laufenden Disziplinarverfahren Nachzahlung / Verurteilte gehen leer aus

Aus Hannover Jürgen Voges

Acht Jahre werde es wohl dauern, bis in Niedersachsen alle Opfer der Berufsverbote wiedereingestellt sind, dämpfte der Kultusminister Rolf Wernstedt jetzt die Erwartungen an die rot-grüne Landesregierung. Daß in Niedersachsen der Radikalenerlaß aufzuheben ist und „die Opfer der Berufsverbote, soweit möglich, rehabilitiert werden“, hatten SPD und Grüne in Hannover schon in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt. Noch keine Woche war das Kabinett Schröder im Amt, da hatte es Ende Juni den Erlaß und die Regelanfrage beim Verfassungschutz über Bewerber für den Staatsdienst abgeschafft. Doch die Pläne zur Rehabilitierung der beim Gesinnungs-TÜV Durchgefallenen, über die jetzt seit sechs Wochen eine Arbeitsgruppe von Beamten aus dem Innen-, Kultus-, Wissenschafts- und Justizministerium brütet, dürften manches Opfer der Berufsverbote enttäuschen.

„Verfahrensrichtlinien“ für drei verschiedene Gruppen von Opfern der Gesinnungsschnüffelei hat die interministerielle Arbeitsgruppe zu erstellen: Für aus dem Dienst entfernte Beamte, für Beamte, gegen die immer noch bei Gericht ein Berufsverboteverfahren läuft, und für diejenigen Bewerber, die die Anhörung beim Verfassungsschutz nicht überstanden haben. Bei Gericht sind zur Zeit noch acht Berufsverboteverfahren anhängig. Es geht dabei ausnahmslos um Leherende, die wegen Kandidaturen für die DKP mit Berufsverbot belegt werden sollten. Alle acht haben inzwischen allerdings der DKP den Rücken gekehrt. Suspendierungen vom Dienst haben die Bezirksregierungen allesamt aufgehoben, so daß alle wieder unterrichten können. Die Verfahren laufen allerdings weiter. Von sich aus beenden kann die Landesregierung nur noch eines dieser Verfahren, weil dies bei einem Arbeitsgericht und nicht bei den Disziplinargerichten anhängig ist. Ein bereits laufendes Disziplinarverfahren kann nämlich nicht unterbrochen werden. Wegen sieben Verfahren, die nun zu Ende verhandelt werden müssen, hat der Niedersächische Disziplinarhof allerdings schon eine Anfrage an die Regierung gerichtet. Diese beabsichtigt nun „bei den Disziplinargerichten anzuregen“ die Prozesse wegen „geringer Schuld“ und mangels „öffentlichen Interesse an der Verfolgung“ einzustellen. So jedenfalls der Vorschlag der interministeriellen Arbeitsgruppe, über den das Kabinett Schröder Anfang nächsten Monats entscheiden will. Nach der erwarteten Einstellung durch die Gerichte würden diese Berufsverboteopfer sogar für Gehaltskürzungen Nachzahlungen erhalten, die zwischen 70.000 und 140.000 DM lägen.

Nur durch ein Amnestiegesetz oder eine Begnadigung durch den Ministerpräsidenten können nach Auffassung der Arbeitsgruppe jene 59 niedersächsischen Berufsverboteopfer wieder in den Staatsdienst gelangen, die durch eine rechtskräftiges Urteil der Disziplinargerichte aus dem Dienste enfernt worden sind. Zu dieser Gruppe gehören auch die vier einzigen rechten Lehrer, die seit der Einführung des Radikalenerlasses im Jahre 1972 in Niedersachsen mit Berufsverbot belegt worden sind. Im Unterschied zu allen anderen sind diese vier wegen Verfehlungen im Untericht, wegen rechtsradikaler Lehrinhalte, entlassen worden. Da ein Amnestiegesetz „eine Berücksichtung der Einzelfälle nicht zuläßt“, auch die Rechtsradikalen zurück in den Schuldienst holen würde, haben sich die Arbeitsgruppe und auch Kultusminister Wernstedt für „individuelle Begnadigungen“ durch den Ministerpräsidenten entschieden. Um eine solche Begnadigung müssen die aus dem Dienst entfernten Lehrer selbst nachsuchen. Mit dem Gnadenentscheid soll der Betroffene automatisch wieder in sein früheres Bematenverhältnis eingesetzt werden. Diese begnadigten Berufsverboteopfer sollen allerdings weder Nachzahlungen noch Entschädigungen erhalten.

Hunderachtzigtausendmal sind seit 1972 Berweber für den öffentlichen Dienst durch den niedersächsischen Verfassungschutz überprüft wurden, so weist es die Statistik des Innenministeriums aus. Bei 723 Bewerbern gab der Geheimdienst Erkenntnisse weiter. 106 der angehenden Beamten, die ja vor ihrer Überprüfung schon eine Stellenzusage vorliegen hatten, zogen daraufhin ihre Bewerbung zurück. Weitere 138 wurden nach der Anhörung durch das Innenministerium wegen „mangelnder Verfassungstreue“ abgelehnt. Die Rehabilitierung dieser größten Gruppe von Berufsverboteopfern würde für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bedeuten, daß das Land die Stellenzusagen an diese ehemaligen Berwerber erneuert. „Allen durch die Überprüfung Gefallenen muß eine Stelle angeboten werden“, sagte der Sprecher des GEW-Landesverbandes. Diese Position vertritt allerdings weder der niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt, noch die zuarbeitenden Ministerialbeamten. Alle durch den Gesinnungs-TÜV Gefallenen sollen sich zwar jetzt neu bewerben können, und das Ministerium bietet auch diesen Opfern Gespräche an. Doch der Kultusminister will sie keinesfalls gegenüber normalen Berwerbern „bevorzugen“. Trotz der Stellenzusage, die diese Opfer des Erlasses einst hatten, stehen damit die Chancen für eine Rehabilitierung ersteinmal schlecht: Auf 1.018 Lehrerstellen in Niedersachsen kamen jüngst 9.200 Bewerber. Bisher haben sich erst 17 Berufsverboteopfer beim Kultusministerium gemeldet und eines davon wollte lediglich eine schriftliche Bestätigung, das ihm Unrecht widerfahren sei. Doch für den rot-grüne Kultusminister Rolf Wernstedt waren die Berufsverbote zwar „politisch-moralisch falsch“. „Unrecht“, so sagt Wernstedt, „ist den Betroffenen nicht geschehen.“

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